Die Linke hat die Schuldenbremse immer abgelehnt, weil sie soziale und ökologische Investitionen ermöglichen wollte. Jetzt muss sie sich mit einem Sondervermögen beschäftigen, das ausschließlich der Hochrüstung dient


Die roten Socken müssen sich parteilich neu aufstellen

Fotos: Imago/Eventpress


Die berechtigten Siegesfeiern sind vorbei, die zentnerschweren Steine von den Herzen der Abgeordneten, Funktionäre und Anhänger der Linken gefallen. Kommentatoren in und außerhalb der Partei haben inzwischen eine Vielzahl von Gründen für das überwältigende Comeback der noch vor wenigen Monaten totgesagten Linkspartei präsentiert: Die einen fühlen sich bestätigt, weil sie stets auf das akademische Großstadtmilieu gesetzt haben; andere sehen den Erfolg in der starken Betonung der sozialen Frage und der Dethematisierung der Friedensfrage, die es grünen Wechselwählern erleichterte, ihr Kreuz bei der Linken zu setzen. Wieder andere verweisen auf den intensiven Vorwahlkampf, das immense Engagement im Organizing und Haustürwahl

Dethematisierung der Friedensfrage, die es grünen Wechselwählern erleichterte, ihr Kreuz bei der Linken zu setzen. Wieder andere verweisen auf den intensiven Vorwahlkampf, das immense Engagement im Organizing und Haustürwahlkampf, die klare Ansprache oder die Gunst der Stunde: Dass Jan van Aken im Wahlkampf jene Milliardäre abschaffen wollte, die in den USA die Demokratie kapern und in Deutschland die AfD fördern, oder die verstärkte Präsenz auf TikTok und Instagram, und nicht zuletzt den Hype um Heidi Reichinnek.All diese Faktoren haben zum Comeback beigetragen. Dennoch überrascht, dass in den vielen Analysen wenig vom offensichtlichsten Grund die Rede war: Die Linke verdankt ihren Stimmenzuwachs bei den Bundestagswahlen vor allem einem externen Faktor. Er ist 1,98 m groß, Teil des rechten Flügels der Union und aller Wahrscheinlichkeit nach der nächste Bundeskanzler.Monatelang dümpelte die Partei in den Umfragen bei drei Prozent – auch noch im November, Dezember und bis weit in den Januar hinein. Erst als Friedrich Merz mit den Stimmen der AfD für eine Verschärfung der Migrationspolitik eintrat, begann sich die Dynamik zu verändern. Von da an stieg die Linke Woche für Woche um etwa einen Prozentpunkt: Merz erschien als Steigbügelhalter des Faschismus, die Linke als die konsequenteste Anti-Merz-Opposition.Der Wiedereinzug war auch eine Frage des GlücksEs ist eine marxistische Binse, dass objektive und subjektive Faktoren zusammenkommen müssen. Die Linke hatte das Glück der Tüchtigen: Der Wiedereinzug in den Bundestag ist das Resultat eines sehr guten Wahlkampfs – und günstiger äußerer Bedingungen. Zu Letzteren zählt nicht nur die Debatte um Merz und die Brandmauer. Auch die relative Marginalisierung der Außenpolitik im Wahlkampf spielte der Partei in die Hände. Wäre die aktuelle Zuspitzung des Ukraine-Themas und der damit zusammenhängenden Hochrüstungspläne eine Woche vor der Wahl statt eine Woche danach geschehen, hätte trotz aller Schwächen das BSW profitiert – und wäre wohl in den Bundestag eingezogen. Die Linke, die das Thema im Wahlkampf bewusst ausklammerte, hätte vermutlich Einbußen erlitten.Dass der Wiedereinzug in den Bundestag auch eine Frage des Glücks war, sollte stets im Hinterkopf behalten werden – insbesondere, weil es nun um eine weitaus größere Aufgabe geht: den inhaltlichen, strategischen und organisatorischen Neuaufbau einer Partei, die dank zehntausender neuer Mitglieder heute eine andere ist als noch vor einem Jahr.Wie integriert man die vielen neuen Mitglieder? Wie findet die neue Partei Antworten auf die ohnehin schon schwierigen strategischen Fragen? Wie positioniert sich Die Linke geopolitisch? Welche Haltung nimmt sie zu Regierungsbeteiligungen ein? Welche Wege führen zu einem zeitgemäßen Sozialismus – und was bedeutet Sozialismus im 21. Jahrhundert überhaupt? Es geht nicht nur um Inhalte und Strategien, sondern auch um die Regeln des innerparteilichen Ringens: Wer trifft Entscheidungen? Wer setzt sie wie durch – und wer sorgt für ihre Einhaltung? Die Linke hatte in den vergangenen Jahren nicht nur ein Image-, sondern auch ein massives Organisationsproblem.Die Aufrüstung stellt die Linke unter DruckDie strategischen wie inhaltlichen Probleme zeigen sich aktuell besonders in der Frage von Krieg und Frieden. Viele, die die Partei gewählt oder ihr beigetreten sind, stehen Waffenlieferungen in die Ukraine offen gegenüber – zu einem Zeitpunkt, in dem die ukrainische Regierung den Krieg nur noch durch massivste Zwangsrekrutierungen aufrechterhalten kann und die USA bereits nach einem Weg suchen, den Konflikt einzufrieren. Die Linke steht in dieser Situation unter enormem Druck.Während sich viele Politiker anderer Parteien mit immer neuen Milliardenforderungen für Waffenlieferungen überbieten, steckt die Partei in einem Dilemma: Die bürgerlichen Parteien hatten vor anderthalb Jahrzehnten im Glauben an den Markt und gegen den Staat die Schuldenbremse eingeführt – vor allem, um zu verhindern, dass linke Politik finanziert wird. Nun soll diese Regelung ausgerechnet für die Hochrüstung außer Kraft gesetzt werden.Hier haben Linke und AfD eine Sperrminorität. Die Linke hat die Schuldenbremse immer abgelehnt – aber weil sie soziale und ökologische Investitionen ermöglichen wollte, nicht um eine neue Ära der Aufrüstung einzuleiten. Nun wird sie umgarnt, einer Reform zuzustimmen, die ausschließlich der Hochrüstung dient. Während des Wahlkampfs betonten Spitzenpolitiker noch, sie würden keiner weiteren Aufrüstung zustimmen. Doch nun hat der Parteivorstand sich anders positioniert: Statt in dieser historischen Situation die eigene Macht zu nutzen, um eine Politik zu verhindern, die einen verlorenen Krieg auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung fortsetzt, neues Wettrüsten befeuert und dabei Sozialstaat und Demokratie gefährdet, zeigte man sich in einem Positionspapier bereit, für die Abschaffung der Schuldenbremse zu stimmen. Damit aber ermächtigt man die Hochrüstungs- und Kriegspolitik – während man die Regierung in reinster Symbolpolitik darum bittet, das auf Kredit bereitgestellte Geld doch bitte nur für zivile Zwecke einzusetzen.Scheitert der Neuaufbau der Partei?Im ungünstigen Fall könnte sich der Überraschungserfolg bei der Bundestagswahl sogar als Bremse für den Neuaufbau erweisen. Erfolg stärkt oft die Beharrungskräfte, die jede Organisation über die Zeit entwickelt. Daran ändert auch nichts, dass in der neuen Bundestagsfraktion viele Abgeordnete aus sozialen Bewegungen oder Betrieben kommen.Eine Partei, die wieder klassenpolitisch agieren und sich als dezidiert sozialistische Partei verstehen will, muss mit Blick auf die vielen neuen Mitglieder dringend innerparteiliche Bildungsformate schaffen und umsetzen. Sonst bleibt die antifaschistische Sammlung, die sich in den letzten Monaten gebildet hat, ein diffuses Bündnis – und kein substantielles sozialistisches Projekt. Die Linke muss es schaffen, aus ihren Einzelteilen eine Gesamtpartei zu formen – aber nicht durch den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern durch eine inhaltliche Weiterentwicklung. Denn Antifaschismus allein reicht als ideologische Grundlage nicht aus.Für die immensen Aufgaben, vor denen Die Linke steht, braucht es nicht nur stabile innerparteiliche Strukturen, sondern auch ein kritisches Vorfeld: unabhängige linke Medien, Bewegungen auf der Straße und Debattenräume, die den Finger in die Wunde legen, konstruktiv kritisieren und den Neuaufbau unterstützen. Jahrzehnte der Erosion, Fragmentierung und selbstzerstörerischer Spaltungen haben die sozialistische Linke geschwächt – doch nun gibt es die historische Gelegenheit, diese Dynamik umzukehren. Eine leichte Aufgabe wird das jedoch weder für die Partei noch für ihr Vorfeld.



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Von Veritatis

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