Der Weltmarktführer Spotify wird immer mächtiger. Die New Yorker Journalistin Liz Pelly forscht seit Jahren zu der Streaming-Plattform. Nun rechnet sie mit dem Giganten ab. Der zeigt sich kritikresistent. Es wird daher Zeit für Alternativen
Jagd auf Gespenster: Alternativen für Spotify zu schaffen, bedeutet Engagement von allen
Illustration: der Freitag
Mit #Wrapped hat der Streamingdienst Spotify die eierlegende Wollmilchsau der Marketingmaßnahmen geschaffen: Jeden Dezember kleistern Musiker*innen und Hörer*innen die sozialen Medien mit bunten Kacheln voller Daten zu, die den Musikkonsum ihres Publikums beziehungsweise ihren eigenen in Zahlen übersetzen und so ordentlich Werbung für den Dienst machen. Vergangenes Jahr flog dem schwedischen Unternehmen all das jedoch um die Ohren.
Zum einen zeigten sich viele Nutzer*innen enttäuscht, dass statt der Lieblingsgenres sonderbare Vibe-Kategorien wie „Coastal Grandmother Fingerstyle Yacht Rock“ aufgelistet wurden. Zum anderen ging eine Website namens Unwrapped online, mithilfe derer Künstler*innen ihre mageren Einnahmen aus den beeindruckenden Play-Zahle
bsite namens Unwrapped online, mithilfe derer Künstler*innen ihre mageren Einnahmen aus den beeindruckenden Play-Zahlen ausrechnen konnten. Und als der Backlash ausgestanden und der Tantiemenrechner per Anwaltsschreiben aus dem Verkehr gezogen war, meldete sich zu allem Überfluss Liz Pelly zurück.Früher war nicht alles besserDie New Yorker Journalistin befasst sich seit fast einem Jahrzehnt intensiv mit den Mechanismen der Plattform, mit Spotifys Einfluss auf Musikkultur und das Hörverhalten von Fans sowie mit den ökonomischen Dimensionen der Streamingwirtschaft. In ihrem aktuellen Buch Mood Machine. The Rise of Spotify and the Costs of the Perfect Playlist (Simon & Schuster) hat Pelly nach Jahren wilder Spekulationen das größte Rätsel der Streamingwelt gelöst.Seit 2016 war über sogenannte „Ghost Artists“ berichtet worden: Künstlerprofile mit generischen Namen und Bildern, die jenseits von Spotify nicht zu existieren schienen. Obwohl ihre Diskografie selten mehr als zwei, drei Stücke umfasste, verzeichneten sie Millionen von Plays. Denn sie wurden von der Spotify-Redaktion in Playlists für den Hintergrundgebrauch – alles, was „chill“ ist oder „deep focus“ verspricht – platziert.Im Laufe der Jahre konnten die Ghost Artists auf Unternehmen wie Firefly zurückverfolgt werden, die auf die Produktion von Gebrauchsmusik spezialisiert sind. Die Vermutung drängte sich auf, dass die Streamingplattform mit ihnen geheime Abkommen geschlossen hatte. „Diese Musik wird von Spotify zu geringeren Gebühren lizenziert, was ihren Einsatz auf der Plattform im Vergleich zu regulär lizenzierter Musik zur Ersparnis macht“, erklärt Pelly im Interview.Musik ist heute nur noch ContentSie hat erstmals Beweise für diese Praxis gefunden, die Spotify-intern Perfect Fit Content (PFC) genannt wird – „passgenauer Inhalt“, von Musik ist dabei nicht einmal mehr die Rede. Es wirkt sich aber auf Musiker*innen aus, die ähnliche Musik machen und im Playlist-Umfeld durch PFC strategisch benachteiligt werden. „Und wir reden hier nicht bloß von Hintergrundrauschen, sondern zum Beispiel von Beatmaking, Jazz und zeitgenössischer klassischer Musik und anderen reichhaltigen Musiktraditionen“, betont Pelly.Pelly hat Mood Machine nicht nur geschrieben, um auf die zunehmend prekäre Situation von Künstler*innen hinzuweisen, die angesichts von PFC und den großen Major-Labels beim Marktführer immer härter um jeden Centbruchteil kämpfen und sich mittels Features wie Discovery Mode oder Marquee ihre Sichtbarkeit buchstäblich erkaufen müssen. Sie rollt ebenso die Geschichte einer Plattform auf, die ihr Publikum zunehmend von den Macher*innen der Musik entfremdet, überwacht und infantilisiert – wofür übrigens #Wrapped ein grellbuntes Beispiel ist.Pellys Recherche ist tadellos, ihre Kritik schonungslos und nuanciert. So fällt sie nicht der Illusion anheim, in der Musikindustrie sei es zuvor gerechter zugegangen. „Plattformen wie Spotify haben Narrative gesponnen, denen zufolge ihre Angebote für das Publikum und die Musikwelt sehr ermächtigend sind“, erklärt sie ihren Ansatz. „Teil meiner Arbeit ist es, diese Erzählungen daraufhin zu hinterfragen, ob die Dinge nunmehr wirklich so anders sind als zuvor oder ob es sich dabei doch um dieselben ausbeuterischen Logiken handelt, die die Musikindustrie seit jeher prägen.“Dementsprechend sieht sie in Spotify nicht das ultimative Übel, sondern nur ein Symptom eines viel größeren Problems. „Das System wurde nicht errichtet, um irgendjemandem außer den Künstler*innen der Major-Labels Geld zu geben“, sagt sie. Ihre Analyse gibt vielen in der Musikwelt zu denken und bereitet der PR-Abteilung des Unternehmens wohl schlaflose Nächte.„Spotify wird sich nicht selbst reformieren“Der Geschäftsführung von Spotify ist das aber egal. Gründer Daniel Ek macht einen massiven Reibach mit dem Erfolg seiner Firma. Über 700 Millionen US-Dollar hat er in den vergangenen zwei Jahren allein durch den Verkauf von Unternehmensaktien verdient. Beim Börsengang von Spotify im April 2018 wurden diese für 132 Dollar gehandelt, Mitte Februar dieses Jahres erreichte der Kurs seinen vorläufigen Höchststand von 648 Dollar.Das Jahr 2024 war das erste profitable in der Geschichte des 2006 gegründeten Unternehmens. Über eine Milliarde US-Dollar Bruttogewinn fuhr es ein. Diese für Ek und seine Firma erfreulichen Zahlen sind auf viele Maßnahmen zurückzuführen. PFC ist nur ein Baustein eines radikalen Sparprogramms, das auch die Streichung von Hunderten von Arbeitsplätzen umfasste.Es ist von perfider Ironie, dass die Kritik von Liz Pelly mit dieser Siegessträhne zusammenfällt. „Firmen wie Spotify werden nicht auf Kritiken wie meine hören und sich selbst reformieren“, räumt sie ein. „Das sollte ihnen nicht überlassen werden. Es braucht stattdessen Regulationen und ein anderes Konsumverhalten.“Pelly selbst stellt klar, dass sie Spotify-Nutzer*innen kein schlechtes Gewissen machen möchte. „Ich will niemandem sagen, dass sie ihre Spotify-Accounts löschen sollen. Stattdessen würde ich sie dazu ermutigen, eine unmittelbarere Beziehung zu der Musik aufzubauen, die ihnen wichtig ist.“ Nicht zuletzt sei aber auch die Musikwelt selbst gefragt, sich auf politischer Ebene mehr einzusetzen und eigene Alternativen aufzubauen.Genossenschaften statt MonopolDer Erfolg von Ersterem ist mit der Vereidigung von Präsident Donald Trump – für die Spotify Geld spendete – in den USA unwahrscheinlicher geworden. Die Arbeit an der Graswurzel scheint deshalb umso ratsamer. Pelly nennt ein Beispiel: Die Plattform Catalytic Soundstream wird von Akteur*innen der internationalen Improv- und Free-Jazz-Szene genossenschaftlich geführt.Die Gewinne werden zu gleichen Teilen unter den Mitgliedern aufgeteilt, die im Kollektiv über die Entwicklung des Services entscheiden. Pelly stellt klar, dass dieser Ansatz nur einer unter vielen möglichen ist. „Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass irgendeine andere App als Passepartoutlösung alle Probleme der Streamingwirtschaft lösen wird.“Die als Marktplatz für Musik in digitaler Form, Tonträger und Merchandising fungierende Plattform Bandcamp wurde lange Zeit als „Anti-Spotify“ gehandelt, dann aber erst an den Videospielgiganten Epic Games und schließlich an das Lizenzunternehmen Songtradr verschachert. In jüngerer Zeit tauchten aber weitere Initiativen auf. Mit Mirlo und der kurz vor dem Launch stehenden Plattform Subvert etwa bieten sich zwei neue digitale Marktplätze als Alternative an, die ebenfalls genossenschaftlich organisiert und somit nicht verkäuflich sind. Mirlo ist obendrein Open Source, das heißt, das System kann kostenfrei für andere Kontexte angepasst werden.Taylor Swift und Beyoncé, aber vor allem harter PunkMit Rokk ging zuletzt der Streamingservice eines deutschen Unternehmens an den Start. Der Clou: Obwohl dort auch die Musik von Beyoncé und Taylor Swift zu finden ist, richtet sich die Plattform redaktionell an die Bedürfnisse von Fans harter Gitarrenmusik. Da die in der Breite vor allem Rock, Punk und Metal hören werden, sollen die Künstler*innen dieser Genres mehr als doppelt so viele Tantiemen erhalten wie bei Diensten, die sich als Gemischtwarenläden an ein Mainstream-Publikum richten. Sollte das gelingen, könnte das Modell womöglich in anderen Subkulturen Schule machen.Spotify konsolidiert sich dank zahlreicher Kollaborationen mit anderen Diensten und Musikkonzernen als zentrale Konsumknotenstelle für Musikfans, die darüber nicht mehr nur Musik hören, sondern ebenso ihre Konzerttickets und Merchandising sowie Tonträger einkaufen können. Das erhöht den Druck auf die Indie-Welt, dort präsent zu sein.Doch sollte ihr Mood Machine in Erinnerung rufen, dass auch diese neuerliche Ausformung des Systems nicht in ihrem Sinne konstruiert wurde. Von ihr ist nun mehr Mut zur Nische gefragt. Dort schließlich könnte sie den Wert der Musik selbst bestimmen.