Im allerletzten Moment stellte die Regierung der DDR fünf Prozent ihres Staatsterritoriums unter Naturschutz. Ausgerechnet die letzte Volkskammerwahl am 18. März 1990 hätte das beinahe vereitelt


„Grüne Aktion“ an der Chemnitz am 2. Mai 1990, um gegen die Wasserverschmutzung zu protestieren

Foto: Imago/HärtelPress


Fast wäre es nichts geworden mit dem größten Naturschutz-Coup in der deutschen Geschichte. Fast wäre dieser – welch Ironie – ausgerechnet auf demokratischem Wege zu Grabe getragen worden: Vor 35 Jahren, am 18. März 1990, wählten die Ostdeutschen erstmals demokratisch eine Volkskammer. Das Wahlbündnis „Allianz für Deutschland“ gewann mehr als 48 Prozent der zwölf Millionen Wählerstimmen. Angeführt wurde diese Allianz von der „Blockflöten“-CDU, jener Partei, die zuvor in der „Nationalen Front“ mit der SED gemeinsam regiert hatte. Jetzt aber setzte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) auf dieses Personal. Und so wurde nach dieser Wahl auch eine Blockflöte Umweltminister der DDR. Keine b

Kohl (CDU) auf dieses Personal. Und so wurde nach dieser Wahl auch eine Blockflöte Umweltminister der DDR. Keine besonders gute Konstellation für die Pläne von Michael Succow.„Die Wendezeit war eine kurze Phase, in der die Menschen beseelt waren“, erinnert sich Succow, der als Vater des Naturschutz-Coups gilt. Jahrelang hatte sich der promovierte Biologe mit anderen Naturschützern für Schutzgebiete starkgemacht – mit mäßigem Erfolg. Zwar hatte das „Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz“ in Halle in den 1980er Jahren ein umfangreiches Programm zur Ausweisung von Biosphärenreservaten entwickelt. Zum Ende der DDR gab es allerdings lediglich 783 kleinere Naturschutzgebiete, ein „Inselnaturschutz“, der lediglich 0,9 Prozent der DDR-Fläche betraf.Dafür gab es gravierende Umweltprobleme, 1989 war mehr als die Hälfte der Wälder geschädigt, nur noch 20 Prozent der Flüsse eigneten sich zur konventionellen Trinkwassergewinnung. Es gab 13.000 Mülldeponien, darunter Tausende „wilde“, gelbe Luft – und eine wachsende Umweltbewegung, die regional stark wurde und sich für eine politische Wende einsetzte.1989 prangerte Michael Succow im DDR-Fernsehen die Umweltschäden an, live und unzensiertDie war auch auf der Montagsdemo am 9. Oktober 1989 vertreten, in Leipzig gingen 70.000 Menschen auf die Straße. Anders, als in Berlin befohlen, wurde nicht auf sie geschossen, Erich Honecker trat eine Woche später zurück. „Auf einmal war sehr, sehr viel möglich“, sagt Michael Succow. Zum Beispiel stellvertretender Minister zu werden.Ende November 1989 prangerte der Professor im DDR-Fernsehen die Umweltschäden im Arbeiter-und-Bauern-Staat an, live und unzensiert. Kurz darauf fragte ihn der damalige Umweltminister Hans Reichelt von der Bauernpartei DBD, ob Succow nicht sein Stellvertreter werden wolle, der die Geschäfte übernehmen würde. Der Naturschützer Succow witterte seine Chance: Er trat an, um zehn Prozent des Territoriums der DDR unter Naturschutz zu stellen.Dafür hatte er viel Unterstützung vor Ort. Am 26. November drangen Demonstranten am Ostufer der Müritz vor, ein jahrzehntelang geschlossenes Gebiet für die Jagdgelüste der Staatsoberen. Am 3. Dezember wanderten 2.000 Menschen auf den Brocken, wo Abhörexperten der Stasi und des KGB eine eigene Welt betrieben.Zu vielen gesperrten Gebieten verschafften sich die Leute Zugang und fanden fantastisch intakte Natur vor. Es entstanden starke Initiativen vor Ort, die dafür kämpften, diese Landschaften unter Schutz zu stellen, die Kreidefelsen auf Rügen etwa, die Wälder in der Rhön oder der Märkischen Schweiz oder in Sachsen, wo Naturschützer seit Jahren für die Errichtung eines Nationalparks Sächsische Schweiz kämpften. Michael Succow gab dem einen Rahmen und brachte die Naturschutzpläne im Januar 1990 beim Zentralen Runden Tisch ein, jener Parallelregierung, die in den revolutionären Tagen der DDR das Sagen hatte.Die Pläne ließen die Alarmglocken im (westdeutschen) Verkehrs- und Landwirtschaftsministerium schrillenSuccow wollte generelle Änderungen in der Landnutzung, die landwirtschaftlichen Großbetriebe mit ihren Meliorationskombinaten und Agrochemischen Zentren sollten weichen, sein Ziel war eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Deshalb beendete die Volkskammerwahl vom März 1990 auch seine politische Karriere.Der neue Minister Karl-Hermann Steinberg hatte ganz andere Pläne. Die „Blockflöte“ saß schon seit 1971 in der Volkskammer, zudem stellte sich nach seiner Amtszeit heraus, dass er inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war. Neues, ökologisches Denken war nicht seine Sache, Michael Succow trat nach wenigen Wochen im Streit zurück. Wolfgang Böhnert, ein Mitarbeiter der Naturschutzabteilung, notierte im Mai 1990: „Succow (linksliberal) ist politisch nicht mehr tragbar, weil sein ökologisch verträgliches Nullwachstum der CDU nicht mehr passt, die eine Wachstumswirtschaft will.“Aber Succow hatte da schon seine Mitstreiter ins Ministerium geholt, die sich längst an die Detailarbeit gemacht hatten: Hans Dieter Knapp etwa, der schon am Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz der DDR an einem Naturschutzkonzept gearbeitet hatte, Lutz Reichhoff, der auch aus diesem Institut kam, besagter Wolfgang Böhnert oder Matthias Freude und Lebrecht Jeschke – Weggefährten seit den 1960er Jahren.Allerdings geriet deren Arbeit unter dem neuen Minister in schweres Fahrwasser. Tatsächlich hatten Succows Pläne mittlerweile die Alarmglocken sowohl im (westdeutschen) Bundesverkehrs- als auch Bundeslandwirtschaftsministerium schrillen lassen, und auch die Wirtschafts- und Bauernlobbys wurden aktiv und fanden Gehör beim neuen Minister: Blockflöte Karl-Hermann Steinberg bremste die Pläne. Der Soziologe Steffen Mau bezeichnet das damals handelnde politische Personal als „Auftragnehmer westdeutscher Parteien“. Der Einfluss aus dem Westen nach der Volkskammerwahl habe zu einer „ausgebremsten Demokratisierung“ Ostdeutschlands geführt.Klaus Töpfer war begeistert von der Arbeit des OstkollegenNicht allerdings beim Kampf für mehr Naturschutz. Denn auch Klaus Töpfer (CDU) mischte mit. Succow, der stellvertretende Neu-Minister Ost, hatte schnell einen direkten Draht zum Bundesumweltminister West gefunden – und Töpfer war begeistert von der Arbeit des Ostkollegen. Dokumente belegen, dass er sich persönlich für die Pläne einsetzte. Zudem schickte er Hans Bibelriether nach Berlin, den Leiter des Nationalparks „Bayerischer Wald“. Der erfahrene Verwaltungsbeamte beriet die einzelnen Aufbauleitungen für die ostdeutschen Schutzprojekte juristisch, westdeutsche Umweltverbände lieferten die Computer, auf denen die Nationalpark-Verordnungen getippt wurden.Es war einer der hinteren Tagesordnungspunkte bei der allerletzten Sitzung der Regierung der DDR: Am 12. September 1990 verabschiedete der Ministerrat des untergehenden Staates sein „Nationalparkprogramm“. Damit wurden vor 35 Jahren 4.882 Quadratkilometer Landschaft unter Schutz gestellt, zwar nicht zehn Prozent, wie ursprünglich geplant, aber doch knapp fünf Prozent des Territoriums der DDR. Nachdem am 1. Oktober die Verordnungen in einem Sonderdruck des „Gesetzblattes der Deutschen Demokratischen Republik“ veröffentlicht wurden, traten sie in Kraft – zwei Tage vor dem Beitritt zum Geltungsbereich des westdeutschen Grundgesetzes.Der größte Coup deutscher Naturschützer im 20. Jahrhundert: Gegen Agrarlobby und Wirtschaftsverbände wurden fünf Nationalparks begründet, sechs Biosphärenreservate ausgewiesen und drei Naturparks geschaffen – im Spreewald zum Beispiel, in der Sächsischen Schweiz, im Oberharz, das Biosphärenreservat Mittelelbe, der Nationalpark Jasmund oder die Vorpommersche Boddenlandschaft.1997 erhielt Michael Succow dafür den alternativen Nobelpreis„Auf vielen anderen Gebieten in der DDR wurde das Territorium schon 1990 mit einer ‚einstweiligen Sicherung‘ belegt“, erläutert Dirk Treichel, Leiter des Nationalparks Unteres Odertal. Der einzige deutsche Auen-Nationalpark wurde 1995 gegründet, wegen des Rechtsstatus der „einstweiligen Sicherung“ durften auf dem heute 10.000 Hektar großen Gebiet keine Veränderungen mehr vorgenommen werden. „Praktisch ein erster Schutzstatus“, sagt Treichel. Succow und seine Truppe haben so wesentlich mehr Schutzgebiete geschaffen, als an diesem 12. September 1990 beschlossen wurden. Dirk Treichel urteilt: „Michael Succow ist die Graue Eminenz des deutschen Naturschutzes.“Placeholder image-1Dafür wurde Succow 1997 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Der heute 84-Jährige gründete mit dem Preisgeld eine Stiftung, die sich dem Moorschutz verschrieben hat. In den 2000ern wandte er sich von Deutschland ab, „mein Rat ist hier nicht gefragt“, sagte er resigniert. Er ging in den Osten, wo er Biosphärenreservate in Kirgisien, Kasachstan und Usbekistan initiierte, Nationalparks in der Mongolei, in Georgien, in Russland gründete. Ohne Michael Succow wären Kamtschatka, das Delta der Lena oder Karelien gewiss nicht Weltnaturerbe der UNESCO. Inzwischen lebt er wieder in Greifswald.„Es gab damals eine regelrechte Euphorie bei den Naturschützern“, erinnert sich Hans-Werner Frohn, Geschäftsführer der Stiftung Naturschutzgeschichte. In Westdeutschland seien bis dahin viele Projekte in der Bürokratie hängen geblieben, „jetzt machten die Ostdeutschen vor, dass es geht“. Und tatsächlich brachte das einen Schub für den deutschen Naturschutz: Heute gibt es 16 Nationalparks und 18 Biosphärenreservate in der Bundesrepublik.



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Von Veritatis

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