Arnaud Bertrand
Dieses Interview zählt zu den spannendsten und anregendsten, die ich in diesem Jahr gelesen habe. Mao Keji, einer der vielversprechendsten Wissenschaftler Chinas und Research Fellow am International Cooperation Center der mächtigen Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) – Chinas oberster Organisation für Wirtschaftsplanung und -politik –, gibt tiefgehende Einblicke in globale Entwicklungen.
Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen aus dem vollständigen Artikel, den Sie hier nachlesen können: thechinaacademy.org/starting-the-t…
1) Trumps Reformen und ihr Einfluss
Mao Keji erklärt, dass die Amerikaner für Trump gestimmt haben, weil „die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme Amerikas so tief verwurzelt sind, dass sie nicht mehr mit herkömmlicher Politik gelöst werden können.“
Gleichzeitig erinnert ihn Trumps Vorgehen an Chruschtschow in der Sowjetunion: „Als Chruschtschow in seiner Geheimrede auf dem 20. Parteikongress viele dunkle Taten Stalins enthüllte, festigte er zwar seine politische Position, doch beschädigte er dauerhaft die Autorität der sowjetischen Partei im Inland sowie ihr internationales moralisches Ansehen. Die chinesisch-sowjetische Spaltung war eine direkte Folge. Ebenso sind die unermüdlichen Bemühungen von Musk und Trump, den sogenannten ‚tiefen Staat‘ zu entlarven, für die neue US-Regierung sicherlich von Vorteil, aber der Schaden für Amerikas Institutionen und moralische Autorität ist unumkehrbar und unkalkulierbar.“
Zudem äußert er „ernsthafte Zweifel“ an Trumps radikalen Reformen und hinterfragt, „ob sie wirklich im Interesse Amerikas liegen oder nur den Eigeninteressen einzelner Personen dienen.“ Dennoch räumt er ein, dass „die Tatsache, dass ein unkonventioneller Reformer wie Trump aufsteigen konnte, darauf hinweist, dass das amerikanische System tatsächlich eine starke Fähigkeit zur Selbstkorrektur besitzt.“ Man solle lieber die Auswirkungen von Trumps Reformen überschätzen, als riskieren, sie zu unterschätzen.
Er zieht eine Parallele zwischen Trumps Reformstil und der chinesischen Kulturrevolution: „Eine kleine Gruppe politischer Außenseiter hat mit der stillschweigenden Billigung ihres Führers Zugang zum Machtzentrum erlangt. Sie nutzt weitverbreitete soziale Unzufriedenheit, um eine große Zahl einfacher Bürger – vorwiegend aus den unteren Schichten und junge Menschen ohne viel Erfahrung – gegen das bestehende System aufzuhetzen. Gegenwärtig scheint es, als ob die Maßnahmen des Department of Government Efficiency (DOGE), die schockierende Enthüllungen in den sozialen Medien aufdecken, weniger darauf abzielen, echte Reformen voranzutreiben, sondern vielmehr dazu dienen, die ‚revolutionäre Legitimität‘ dieser Bewegung aufrechtzuerhalten. Dies erzeugt letztlich eine sich selbst verstärkende Dynamik, die immer weiter eskaliert.“
Mao Keji argumentiert, dass die Trump-Regierung weniger arrogant sei als viele etablierte US-Denkfabriken und Medien, weil Trump – anders als diese – nicht automatisch davon ausgeht, dass amerikanische Werte überlegen sind. Eine Prognose für Trumps zweite Amtszeit hält er für äußerst schwierig, doch eines sei klar: „Der globale Einfluss der USA wird erheblich schrumpfen. Sollte Trumps Politikgestaltung im derzeitigen Tempo fortgesetzt werden, werden am Ende seiner vier Jahre das US-Bündnissystem, der Status des Dollars als Weltwährung, Amerikas Einfluss auf multilaterale Institutionen, seine militärische Präsenz sowie seine ideologische und mediale Dominanz erheblich geschwächt sein.“
Dies sei eine bewusste Entscheidung der Trump-Regierung, die wohl darauf beruht, dass die Kosten für die Aufrechterhaltung globaler Verpflichtungen deren Nutzen für die USA übersteigen. Allerdings bedeute dies nicht, dass Amerika isolationistisch werde. Vielmehr könne Trump „die Einflusssphären-Doktrin des 19. Jahrhunderts wiederbeleben“, was einer Rückkehr zu einer Ära gleichkäme, in der Großmächte einfach Linien auf Landkarten ziehen, um das Schicksal kleinerer Nationen zu bestimmen.
2) Wie Länder auf Trump reagieren sollten
Mao Keji betont, dass die beste Strategie gegenüber Trump darin bestehe, „zu zeigen, dass man sowohl in der Lage als auch bereit ist, ihm Kosten aufzuerlegen.“ Schwäche oder Angst würden nicht zu Mitleid führen, sondern nur weitere Aggressionen provozieren.
Er verweist auf Beispiele wie Kanada, Dänemark, Deutschland und die Ukraine: „Diese Länder haben gezeigt, dass zu viel Vertrauen in die USA und das Fehlen einer eigenen Strategie zum Widerstand sie anfällig gemacht haben. Als gehorsame Verbündete Washingtons waren sie Trumps Drohungen hilflos ausgeliefert und erlitten schließlich demütigende Rückschläge.“
3) Trumps Einfluss auf China
Überraschenderweise hält Mao Keji Trump für eine „marginale Variable“ in Bezug auf China. Der Grund: „China ist ein riesiges Land mit einer gewaltigen Bevölkerung und einer massiven industriellen Basis. Solange es seine inneren Angelegenheiten gut regelt, muss es keine unbeständige internationale Lage fürchten.“
Tatsächlich sei Trumps erste Amtszeit für China eher nützlich gewesen: „Sein Handels- und Technologiekrieg war ein Weckruf, der China klargemacht hat, wie dringend es unabhängige technologische Lösungen entwickeln und seinen Übergang zu intelligenten Technologien beschleunigen muss. Ohne Trumps extremen Druck hätte keine chinesische Behörde oder Firma diesen Wandel so entschlossen vorangetrieben.“
Dank dieser Entwicklungen sei China nun strategisch in einer Position, in der es „keine Notwendigkeit gibt, sich auf Trump zu fixieren.“
4) Indiens Beziehungen zu den USA und China
Mao Keji ist Experte für die chinesisch-indischen Beziehungen und sieht eine Abkühlung der US-Indien-Beziehungen unter Trump voraus. Er glaubt, dass Trump nicht sonderlich daran interessiert ist, Indien als Gegengewicht zu China zu nutzen, sondern eher versucht, durch den Export von Waffen, Energie und Technologie finanzielle Vorteile aus Indien zu ziehen.
Dies könnte dazu führen, dass Indien seine Strategie ändert. Bisher versuchte es, seinen zukünftigen Großmachtstatus als Gegengewicht zu China auszuspielen, um strategische Ressourcen ohne Gegenleistung zu erhalten. Sollte Trump nun „einen expliziten Preis für diese Ressourcen verlangen und Indien zwingen, die vollen Bedingungen zu akzeptieren, wird Modi sicherlich nicht einfach nachgeben.“
Dies wiederum könnte Indien dazu veranlassen, „das Engagement mit China wieder aufzunehmen“, zumindest als taktisches Mittel, um seinen Wert in den Augen der USA zu steigern.
Diese Analyse zeigt eine bemerkenswerte Perspektive aus China auf Trumps zweite Amtszeit und deren globale Auswirkungen. Mao Kejis Einschätzungen lassen erahnen, wie sich das geopolitische Machtgefüge in den kommenden Jahren verschieben könnte.