Drei Linke-Profis treten an, um ihre Partei über die Fünf-Prozent-Hürde zu hieven. Peinlich? Gar nicht: Mit Selbstironie und guter Laune gewinnen die drei jetzt schon Sympathie


Gregor Gysi will im Ostberliner Wahlkreis Treptow-Köpenick ein Direktmandat gewinnen

Foto: Florian Gaertner/photothek.de/picture alliance


Während die Ampel sich schreddert und die SPD ihren Kanzler und Kandidaten demontiert, schütteln bei der Linken die alten Kämpen den Staub alten Streites aus der Rüstung und ziehen mit weißen Haaren in den Kampf. Angekündigt als „Aktion“, dann als „Projekt“, wird es nun, nachdem Gregor Gysi (76) seinen Mitstreitern Bodo Ramelow (68) und Dietmar Bartsch (66) ein konstruktives Abendessen spendierte, zur „Mission Silberlocke“.

„Als evangelischer Christ ist mir das eine Freude“, meint der Noch-Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow. 2005 bis 2009 saß der frühere Gewerkschafter und Ex-Wessi schon einmal im Bundestag, war vorher Wahlkampfleiter für die damalige PDS. Die aktuelle Mission: Ü

ilberlocke“.„Als evangelischer Christ ist mir das eine Freude“, meint der Noch-Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow. 2005 bis 2009 saß der frühere Gewerkschafter und Ex-Wessi schon einmal im Bundestag, war vorher Wahlkampfleiter für die damalige PDS. Die aktuelle Mission: Überleben der Linkspartei, damit sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen kann.„Ohne uns gäbe es keine linke Stimme mehr im Bundestag“, warnt Bundestagsaltmitglied Gregor Gysi, der allerdings mangels Haarfülle ohne Silberlocke antritt, „das wäre eine ziemliche Katastrophe“. Schon jetzt sei man „die einzige linke Partei im Bundestag“, findet Bartsch, „alle anderen demokratischen Parteien kämpfen um die Mitte“, nicht „für die mit den niedrigen Einkommen“.Drei Linke-Direktmandate für den Einzug in den BundestagNach internen Streitereien, der Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht und Austritten Parteiprominenter wie Klaus Lederer ist der Wiedereinzug der Linkspartei in den Bundestag gefährdet. Umfragen sehen sie bei gut drei Prozent. Wenn jedoch mindestens drei Kandidaten direkt gewählt werden, wäre die Fünf-Prozent-Hürde umschifft. Gysi kandidiert erneut für den Wahlkreis Treptow-Köpenick im Osten Berlins, Bartsch für Rostock, Ramelow für Erfurt-Weimar. Mit diesen drei Direktmandaten wollen die drei Politiker die Linke also in den Bundestag tragen.Viel Zeit bleibt nicht, drei Monate vor dem vermutlichen Wahltermin am 23. Februar 2025. Doch sei immerhin die „Laterne des Streits“ von der Linken zur SPD weitergewandert, „das finde ich in Ordnung“, meint Bartsch. Natürlich wollen sie mit ihrem „seriösen und kämpferischen Projekt“ (Bartsch) auch Co-Vorsitzende Ines Schwerdtner in Lichtenberg, Sören Pellkamp in Leipzig, den neuen Co-Chef Jan van Aken und Heidi Reichinnek als Spitzenkandidierende unterstützen. Reichinnek ist die jüngste linke Bundestagsabgeordnete.Schwerdtner begrüßt denn auch im Namen der Linken als „Partei des täglichen Lebens“ die „Mission Silberlocke“, und zwar „als Teil einer Doppelstrategie mit ‚Garantiebrief’“: Die älteren Herren garantieren demnach den Wiedereinzug durch Direktmandate, und alle gemeinsam kämpfen „für ein starkes Zweitstimmenergebnis“.Bodo Ramelow: „An die Milliardäre muss man ran!“„Wenn die Linke ausscheidet, gibt es keine linken Argumente mehr im Bundestag“, betont Gysi, „dann wird die Diskussion enger“. Und weil die Linke „nicht der Laden für die 1000 kleinen Dinge“ sei, konzentriere man sich auf sechs Schwerpunkte: Steuern/Gerechtigkeit, Frieden, Migration, ökologische Nachhaltigkeit, Gleichstellung von Mann und Frau und Ost-West-Gleichstellung.„Die Angst vor dem Alter, die Angst vor Kindern füttert den Populismus!“, sagt Ramelow. Er gibt zu, andere Pläne als Winterwahlkampf gehabt zu haben, und definiert mal eben Innere Sicherheit um: Da gehe es nicht nur um Polizei und Sicherheitsbehörden, sondern um die Frage von Armut und Reichtum, um Angebote für Familien: „Wir haben in Thüringen 96 Prozent aller Kinder im Kindergarten bei zehn Stunden Servicezeit.“ Diese „ostdeutsche Selbstverständlichkeit“ müsse gesamtdeutsch werden. Kinder und Alter dürften kein Armutsrisiko mehr sein. Statt am System herumzudoktern oder – „verheerende Fehlentscheidung“ – einer Aktienrente, brauche es gleiche Chancen für alle Kinder, beitragsfreie Bildung und Betreuung und „eine moderne Bürgerversicherung“, in die alle Geldverdienenden einzahlen. Und man müsse endlich an die Milliardäre ran. Deren Vermögen wächst parallel zur Kinderarmut – „da ist doch was schief im Land!“Angesichts einer drohenden Friedrich-Merz-Regierung und einer gestärkten Rechtsextremen scheint eine konstruktive Opposition nötiger denn je. „Wir wollen den Rechtsruck aufhalten und die Chance eröffnen, dass es wieder eine linke Politik gibt.“ Es gelte, ein deutliches „Signal gegen den Rechtsruck“ zu senden. „Wir schaffen das“, sagt Bartsch, „wir kommen in den Bundestag“. Gelingen soll es, indem neue Milieus gewonnen werden, etwas in der Freiberufler- und Künstlerschaft. Gerade auch für Ältere wolle man attraktiver werden.Eine Taurus-Rakete kostet so viel wie die Ausbildung von vier ÄrztenDafür ist es laut Ramelow auch wichtig, dass „Blockfreie“ im Bundesrat sitzen. Gysi erinnert an den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, den er als erster vorgeschlagen habe – bis er nach Jahrzehnten von den Mitte-Parteien umgesetzt wurde. „Die Aufgabe der Opposition im Bundestag besteht darin, den Zeitgeist zu verändern“, meint er.Beispiel Aufrüstung: Zurzeit ist eine Mehrheit dafür, und das könne sich ändern. „Eine Taurus-Rakete kostet so viel wie die Ausbildung von vier Medizinstudentinnen zu Ärzten“, erläutert Bartsch. Beispiel Milliardäre: „Die Aldi-Brüder zahlen keinen Cent Erbschaftssteuer.“ Beispiel Migration: „Es ist klar, dass in Deutschland nicht alle Flüchtlinge der Welt Platz haben“ (Gysi), doch seien Zäune und Verordnungen nicht der richtige Weg – man müsse Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtenden.Der „Seniorenexpress“ (Ramelow) will „den Jungen zuhören“ (Gysi), auch was die Work-Life-Balance betrifft. „Wir haben unser Leben immer nach unserer Arbeit gerichtet“, erinnert er sich, „die Jungen sagen, nee, die Arbeit muss sich nach meinem Leben richten“, und das sei womöglich „die bessere Haltung“. Ramelow fängt schon mal an vor laufender Kamera: „Schatz“, flötet er in Richtung seiner Ehefrau, „ich komm‘ gleich nach Hause“ – sie feiern nämlich 20-jährigen Hochzeitstag. Da fehlt dann wohl nur noch ein silberlockiger Wahlkampfsong, damit der Oldie-Wind of Change in die richtige Richtung weht.



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Von Veritatis

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