Auf dem Weg von der Weinkönigin zur Bundestagspräsidentin hat Julia Klöckner einige Kritik auf sich geladen: von Interessenkonflikten bis Falschaussagen. In aktuellen Berichten spielen die aber keine Rolle mehr


Julia Klöckner ist nicht nur Weinkönigin, manchmal ist sie auch Jeck

Foto: Thomas Lohnes/Getty Images


Julia Klöckner ist also neue Bundestagspräsidentin. Glückwunsch. Eine Personalie, die am Montag fleißig berichtet wurde. Wer die verschiedenen Variationen der Meldung durchforstet, stößt auf eine Art heitere Festschrift. Was erfährt man über die Person, die nun das zweithöchste Amt in Deutschland inne hat? Dass sie Bundesministerin war. Dass sie aus der CDU kommt. Und dass sie 1995 Weinkönigin war. Weinkönigin! Da spitzt sich der kulturhistorisch geneigte Lesende natürlich die Ohren.

Nun ist die Personalie im journalistischen Handwerk zumeist eher überraschungsarm, im Grunde sind es sachliche Nachrufe, ohne dass jemand gestorben sein muss, dementsprechend hält sich die Würdigung in Grenzen. Wesentliche Berufsstationen werden aufgelistet, gesellschaftliches und politisches Wirken erläutert und natürlich der Wechsel zur neuen Position vermeldet, der ja in der Regel der nachrichtliche Anlass für die Berichterstattung war.

Wir lesen und hören also, dass Klöckner, eine Leidenschafts-CDUlerin mit regionaler Verankerung, Theologie und Politologie studiert hat, in der Bundespolitik wie rheinland-pfälzischen Landespolitik aktiv, Bundeslandwirtschaftsministerin war und Schatzmeisterin ist. Die biografische Nacherzählung erscheint hier als geordnete Nobilitierung durch Amt und Partei.

Julia Klöckner, die Meisterin der Halbwahrheiten

Was allerdings in keiner Meldung stand: dass Klöckner sich nicht nur mit Wein, sondern auch mit Fehlinformationen auskennt. Kein Wort über ihr heftig kritisiertes Nestlé-Video aus 2019, in welchem sie – damals in ihrer Funktion als Landwirtschaftsministerin – das Unternehmen für die Reduktion von Zucker, Salz und Fett in seinen Produkten lobte.

In den Berichten findet sich auch nichts von dem Umstand, dass sie 2022 einen offensichtlich falschen Tweet verbreitete, wonach Geflüchtete 690 Millionen Euro Zahnarztkosten verursacht hätten – und diesen, obwohl die fehlerhafte Zahl öffentlich korrigiert, sie auf die Falschheit der Zahl hingewiesen und unter ihrem Tweet sogar von einer Community Note widerlegt wurde, bis heute nicht gelöscht hat.

Auch keine Thematisierung des Umstandes, dass sie 2020 bei Markus Lanz falsche Angaben über die Todesursache eines rumänischen Erntehelfers machte und das zuständige Gesundheitsamt ihr widersprechen musste. Oder darüber, dass sie 2024 auf Twitter behauptete, dass eine Ursache für die hohe Zahl an Drogentoten in Deutschland Cannabis sei. Auch hier ist es wieder eine Community Note, die ihre Aussage mit den Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums widerlegt, nach denen jährlich 40.000 Menschen in Deutschland jährlich an den Folgen ihres Alkoholkonsums sterben, jedoch keiner an Cannabis. Wussten Sie übrigens, dass Klöckner 2018 auch Bierbotschafterin war?

Journalismus oder PR-Service

Bereits Mitte März warf LobbyControl Klöckner vor, als CDU-Schatzmeisterin in einem Interessenkonflikt zu stehen, da sie als künftige Bundestagspräsidentin sowohl für die Finanzen ihrer Partei als auch für die Kontrolle der Parteienfinanzierung zuständig wäre.

Es sind alles keine Nebensächlichkeiten – gut, das mit der Bierbotschafterei vielleicht schon – aber die Falschinformationen und der ausbleibende Wille, diese zu korrigieren, gehören auch zur vollständigen Vorstellung einer Politikerin. Auch die Kontroversen müssen Teil der Meldung über eine Amstinhaberin sein können, insbesondere wenn diese protokollarisch nun direkt nach dem Bundespräsidenten steht. Sonst wird Berichterstattung zum PR-Service oder zur mit journalistischer Folklore verflachten Verkündung, wo eine Weinkönigin sich in eine Parlamentspräsidentin verwandelt.

Samira El Ouassil, 1984 geboren, ist Autorin des Buches Erzählende Affen – Lügen, Mythen Utopien: wie Erzählungen unser Leben bestimmen (Ullstein, 2021) und Spiegel-Kolumnistin.

Dieser Text ist zuerst als Kolumne bei @inmediasres im Deutschlandfunk erschienen



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Von Veritatis

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