Es ist gut, dass die Ideologie der selbst auferlegten Schuldenbremse an Hegemonie verliert. Aber was heißt eigentlich „Infrastruktur“ und was sind „Investitionen“? Und wer muss das „Sondervermögen“ am Ende bezahlen?


Was bedeutet eigentlich das Zauberwort „Infrastruktur“?

Foto: Maurice Weiss/Ostkreuz


Zum Verhältnis zwischen Friedrich Merz und der Wahrheit ist viel gesagt worden. Es darf als Allgemeinwissen gelten, dass der CDU-Vorsitzende und werdende Bundeskanzler die Leute im Wahlkampf glatt angelogen hat, als er in sein Wahlprogramm schreiben ließ: „Wir halten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes fest.“ Zumindest für die Aufrüstung ist die Kreditblockade Geschichte, zusätzlich umgangen wird sie mit dem auf Pump geplanten „Sondervermögen“ für Infrastruktur. Beides steht jetzt im Grundgesetz, hineingeschrieben in einem höchst fragwürdigen Verfahren von der Mehrheit der „Mitte“ im alten Bundestag.

Etwas zynisch ließe sich fragen: Wen stört schon das fragwürdige Eilverfahren, wenn endlich S

eingeschrieben in einem höchst fragwürdigen Verfahren von der Mehrheit der „Mitte“ im alten Bundestag.Etwas zynisch ließe sich fragen: Wen stört schon das fragwürdige Eilverfahren, wenn endlich Schluss ist mit den unsinnigen Kreditverboten der Neoliberalen? Tatsächlich wird sich die Aufregung über die Lügen des Merz schon deshalb schnell erledigen, weil sich ja die meisten Parteien über vermeintliche oder wirkliche Finanzbedarfe einig sind: An der Schuldenbremse in bisheriger Form hielten zuletzt nur AfD und FDP fest. Und Investitionen in die Infrastruktur, die eine Blitzkarriere als Zauberwort hingelegt hat, lehnt praktisch niemand ab in Politik und Wirtschaft – selbst diejenigen nicht, die immer noch behaupten, es ginge ohne Schulden.Es wäre allerdings ein Trugschluss, zu glauben, dass sich die Finanzierungsfrage mit den jüngsten Milliardenbeschlüssen erledigt hätte. So sehr es zu begrüßen ist, dass die Kehrtwende des künftigen Kanzlers das Verschuldungstabu bis auf Weiteres gebrochen hat, so gefährlich wäre es, die Debatte über eine auskömmliche und gerechte Staatsfinanzierung jetzt auf sich beruhen zu lassen.Erstens, weil die Schuldenbremse für den Kernhaushalt des Bundes weiter gelten soll, zumindest bis eine Expertenkommission eventuell Änderungen vorschlägt; zweitens, weil die Debatte über eine Sicherung von Staatseinnahmen durch eine gerechtere Steuerpolitik vor lauter kreditfinanziertem Reichtum aus dem Blick zu geraten droht; und drittens, weil einiges Unheil droht, wenn eine schwarz-rote Mehrheit über die Verteilung des Geldes entscheidet.Nachhaltigkeit als soziale VerpflichtungEs wird einen prominenten Kritiker wie Rudolf Hickel freuen, dass die ideologiegetriebene Kreditfeindlichkeit der „staatsreduktionistischen Wirtschaftswissenschaft“, wie er die neoliberale Schule nennt, nun endlich die Hegemonie verloren zu haben scheint. Allerdings: Die grundlegende Alternative zur Politik der Staatsverarmung, die Hickel zuletzt in seinem Buch Schuldenbremse oder „goldene Regel“? dargelegt hat, ist längst nicht in Sicht.Die „goldene Regel“, an die der Bremer Ökonom erinnert, entspricht dem vor Einführung der Schuldenbremse geltenden Prinzip. Danach wäre die Höhe der Kreditaufnahme durch Bund und Länder nur durch ein Kriterium begrenzt: Sie dürfte die Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten. Eine zeitliche Begrenzung oder die Festlegung auf eine Höchstsumme (wie beim Sondervermögen) gäbe es nicht. Die Frage, was als Investition gilt, wird dabei in Hickels Modell recht großzügig behandelt. Aus gutem Grund: Nicht nur Geld für „Sachkapital“ soll dazuzählen, also Straßen, Brücken oder Schulgebäude, sondern auch Mittel für die „Vermehrung des Humankapitals“, also etwa Lehrerinnen und Lehrer.Dahinter steckt eine Definition von „Nachhaltigkeit“, die diesen Begriff nicht nur ökologisch versteht, sondern auch ökonomisch und sozial: Die Erhaltung und der Schutz der natürlichen Umwelt ist damit ebenso gemeint wie die Sicherung einer funktionierenden Infrastruktur (Verkehr, Energie, digitale Netze), aber eben auch die Stärkung der Institutionen für die Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts (Bildung, Gesundheit, soziale Sicherung). Nur so, meinen Hickel und andere, sei die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer Politik für künftige Generationen zu erfüllen.Ökonomen wie Hickel stehen damit in klarem Gegensatz zu denjenigen, die den Nachhaltigkeitsbegriff auf die Vermeidung angeblicher Lasten für künftige Generationen durch die Bedienung der Kredite reduzieren. Zu dieser Fraktion gehören nicht nur kapitalkräftige Lobbygruppen wie „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, sondern auch die FDP.Um-Steuern: Wer zahlt für die Zukunftsversprechen?Thorsten Lieb, der die Partei im alten Bundestag vertrat, schrieb auf seiner Homepage: „Im Haushaltsausschuss setze ich mich für eine solide, nachhaltige und zukunftsorientierte Haushaltspolitik ein. (…) Wir sorgen dafür, dass die Schuldenbremse eingehalten wird, ohne Steuererhöhung.“ Lieb, der sich jetzt um den Vorsitz der hessischen FDP bewirbt, wird am 3. April bei einer Veranstaltung in der Evangelischen Akademie Frankfurt am Main mit Ökonom Hickel über die Schuldenbremse diskutieren.Natürlich ist Lieb ebenso wie CDU/CSU und AfD gegen höhere Abgaben auch für die Reichsten. Aber vor allem besteht die Gefahr, dass dieses Thema – die „Einnahmeseite“ der öffentlichen Finanzen – aus öffentlichen Debatten verschwindet.Selbst wenn sich die SPD unter Lars Klingbeil überraschend an ihr Wahlprogramm erinnern und ein Um-Steuern fordern würde, käme dabei nicht viel heraus. Die Kompromissfähigkeit und -bereitschaft von CDU und CSU in zentralen Fragen ist nämlich mit dem „Sondervermögen“ sicher erschöpft. Eher wird Merz die SPD zu Steuerentlastungen bis hinein in die obersten Einkommensgruppen nötigen – zu weiterer Umverteilung nach oben. Das schwarz-rote Sondierungspapier spricht von einer Entlastung der „breiten Mittelschicht“. Und immerhin haben wir es mit einem millionenschweren Kanzler zu tun, der sich selbst zur „gehobenen Mittelschicht“ zählt.Autobahnausbau und SozialabbauBleibt noch die Frage: Wofür soll das Geld ausgegeben werden? Was bedeutet eigentlich das Zauberwort „Infrastruktur“?In der Begründung für das nun verabschiedete Sondervermögen ist von „der Gewährleistung eines funktionierenden und modernen Bildungs- und Betreuungssystems, der Begleitung von Strukturwandelprozessen, dem Erhalt und der Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur, der Digitalisierung der Verwaltung, der Anpassung an den Klimawandel, der Integration von geflüchteten Menschen oder der Stärkung des Bevölkerungsschutzes“ die Rede.Was diese vagen Formulierungen am Ende bedeuten, wird die Regierung Merz mit ihrer schwarz-roten Mehrheit entscheiden, abgesehen von den 100 Milliarden für die Länder. Die Erfahrungen der Vergangenheit lassen nicht nur Gutes erwarten.Nehmen wir ein Beispiel aus dem Bereich „Erhalt und Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur“. In Hessen soll die Autobahn A5 auf zehn Spuren erweitert werden, und das zum Teil auf dem ohnehin stark belasteten Stadtgebiet von Frankfurt. Viele Parteien und Initiativen laufen dagegen Sturm, sogar der ADAC ist dagegen, und ein prominenter Kritiker war auch der Frankfurter SPD-Bundestagsabgeordnete Kaweh Mansoori. Seit gut einem Jahr allerdings ist er Verkehrsminister in der Landeskoalition mit der CDU, und im schwarz-roten Koalitionsvertrag ist der beschleunigte Autobahnausbau „für alle hessischen Projekte“ festgeschrieben. Nun ergeht sich der SPD-Minister in Brumm-Brumm-Lyrik, wie sie die Rodgau Monotones (Erbarme, die Hesse komme) nicht besser hätten erfinden können: „Das Auto gehört zu Hessen wie Ahle Wurst und Ebbelwei.“Etwas sachlicher formulierte Mansooris Noch-Amtskollege im Bund, Volker Wissing. Er sagte 2024, damals noch als FDP-Mitglied: „Wir haben den Auftrag, dafür zu sorgen, dass Deutschland nicht im Stau steht.“ Es darf befürchtet werden, dass CDU/CSU und SPD ein ähnliches Verständnis von Infrastruktur zugrunde legen werden, wenn es um Geld aus dem „Sondervermögen“ geht.Die erste zehnspurige Autobahnstrecke Deutschlands wird, wenn sie kommt, wahrscheinlich nicht aus dem neuen Topf finanziert, sie stellt ja kein zusätzliches Projekt dar, sondern steht schon seit Angela Merkels Zeiten im Bundesverkehrswegeplan. Aber, zynisch gesagt: Vielleicht fallen für die Stadt Frankfurt ein paar Millionen aus dem „Sondervermögen“ ab, um den Flächenverbrauch der Autobahn durch die Entsiegelung von zwei oder drei Stadtteilplätzen „auszugleichen“.Und der Kernhaushalt? „Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen auch Einsparungen vornehmen“, heißt es im Sondierungspapier. Konkret wird schon mal „vollständiger Leistungsentzug“ beim Bürgergeld angedroht für „Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern“. Irgendwie müssen ja die Steuervorteile für Unternehmen finanziert werden, und der Grund für Sozialabbau ist schnell gefunden: die immer noch geltende Schuldenbremse.



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Von Veritatis

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