Der Philosoph und Kulturkritiker Joseph Vogl widmet sich in seiner neuen Schrift „Meteor“ dem Schwebenden und dem Flüchtigen. Ein Entwurf, der keine leichte Kost, aber sehr erkenntnisreich ist


Der Band bringt trotz der thematisierten Schwerelosigkeit mächtig viel intellektuelles Gewicht mit

Foto: Imago/Dreamtime


Mit seinem soeben erschienenen Versuch über das Schwebende, der den geheimnisvollen Titel Meteor trägt, hat Joseph Vogl erneut einen der vorderen Plätze in der Berliner Gelehrtenrepublik erfolgreich verteidigt. Er gilt vor allem als einer der prononciertesten Kritiker des Finanzmarktkapitalismus, ausgewiesen durch Publikationen wie Das Gespenst des Kapitals (2010), Der Souveränitätseffekt (2015) und schließlich Kapital und Ressentiment (2021).

Die Feindseligkeit aller gegen alle

Die Liste seiner Publikationen ist lang und die thematische Vielfalt breit. Vogl lehrte bis 2023 als Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Kulturkritik und Ökonomie bilden in den Veröffentlichungen schon seit zwei Jahrzehn

e bilden in den Veröffentlichungen schon seit zwei Jahrzehnten einen Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit. 2002 stand Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen am Anfang seiner Sondierungen zur „monetativen Gewalt“.In Kapital und Ressentiment sprach er zuletzt von der Radikalisierung einer negativen Vergesellschaftung und meint damit die „konformistische Produktion des Realen“, wie sie Finanz- und Informationskapital im Internet als eine „Bewirtschaftung von Ressentiments“ machtvoll betreiben. Als Ergebnis sieht er „die Feindseligkeit aller gegen alle“ nicht nur als ein erfolgreiches Geschäftsmodell, sondern auch als ein zukunftsfähiges Gemeinschaftsgefühl. Der apokalyptische Ausblick einer brillanten Theorie schreit aber förmlich nach Empirie – und die haben Steffen Mau und sein Team in Triggerpunkte geliefert, mit durchaus konträren Resultaten. Dabei ist die Rede von der polarisierten Gesellschaft, verkürzt gesagt, selbst Teil einer rechten Spaltungspolitik und -rhetorik.Vogl wurde 2022 für sein bisheriges Schaffen der Günther-Anders-Preis für kritisches Denken verliehen. In seiner Dankesrede in der Berliner Staatsbibliothek ging er im Rahmen dessen, was er gesellschaftsanalytisch „Finanzialisierung“ nennt, speziell auf die Brexit-Hintergründe ein. Eine Sternstunde enthüllender, messerscharfer Analytik – also genau das, was wir als Lesende bei diesem Autor mit Zuverlässigkeit erwarten können.Ein gewisser Hang zum ApokalyptischenDie Reaktionen auf Vogl sind dennoch gemischt, denn die Expertenkreise, etwa die Ökonomen, vermögen mit dem hohen Anteil an Philosophie wenig bis gar nichts anzufangen, während die akademische Philosophie sich über zu viel Kulturwissenschaft beschwert, wie die Philosophin Petra Gehring in ihrer Laudatio feststellte. Dass Vogl außerdem einen gewissen Hang zum Apokalyptischen zu erkennen gibt, werde ebenso moniert wie der Umstand, es gebe keine lehrbaren Botschaften. Was natürlich Unsinn ist, weil wir Vogls analytische Resultate durchaus für die Entwicklung von Gegenstrategien nutzen können. Nur hält sie der Autor eben nicht als Rezeptsammlung parat, sondern gibt den Ball weiter an uns.Und nun also fünf Kapitel plus zwei Exkurse über das Schwebende in einem handlichen Band, der bei aller favorisierten und thematisierten Leichtigkeit und Schwerelosigkeit mächtig viel intellektuelles Gewicht mitbringt. Hier zeigt sich der Autor als Experte in der Poetologie des Wissens. Es ist ein Blick in den Raum zwischen Himmel und Erde, auch auf bestimmte Wetterphänomene samt ihrer Literarisierung und ein Blick ins Kosmische, ausgehend von einer betont filigranen Lektüre literarischer Schlüsselwerke wie Robert Musils Mann ohne Eigenschaften und Franz Kafkas Das Schloss, drum herum gruppiert Italo Calvino, Epikur, Lukrez, Sigmund Freud und viele andere. Entstanden ist der Text übrigens aus Joseph Vogls Abschiedsvorlesung vom Juli 2023.Heruntergebrochen auf Stichwort-Niveau geht es in Meteor um Wahrnehmungsweisen von Welt und die sich in unserem Denken abzeichnenden und sich verändernden Weltverhältnisse, ausgehend von einer Koinzidenz wissenschaftlicher und literarischer Erkenntnisprozesse. Im Vogl’schen Duktus klingt das so: „Das Schwebende wäre demnach nicht nur ein Paradigma des Paradigmatischen, sondern (…) das Emblem einer Welt, in der festgestellte Tatsachen vom Schatten ihrer Interpretationen heimgesucht werden und die verwirklichten Ereignisse sich um den Saum ihrer uneingelösten Möglichkeiten verdoppeln“.Ein Plädoyer für das Luftige, das Offene, für das Leichtwerden Doch was heißt das nun? Wir haben es mit einem Plädoyer für das Luftige, das Offene, für Möglichkeitsformen, für das Leichtwerden der Erzählweisen und der Sprache zu tun. Wie das funktioniert, beschreibt Vogl an der Art unserer sich wandelnden Weltwahrnehmung, die mit einer im Universum schwebenden Erde beginnt und weiterführt zur Wetterbeobachtung und zur Faszination für Wolkenbildungen, für Nebel und Dünste.Das Gewicht der Welt zum Schweben zu bringen, das gelang gerade und immer wieder aufs Neue der Literatur – in dem Märchen vom Hans im Glück ebenso wie in Nietzsches Traum vom Davonfliegen, wie auch in den genannten Romanen von Musil und Kafka. Als eine Art „Gleichgewichtsstörung“ vermag Literatur einen neuen Wirklichkeitssinn zu trainieren. Doch geht es Vogl hier nicht um die Vermehrung literaturwissenschaftlicher Interpretationen, sondern um den Nachweis von Horizonterweiterungen in unserem Denken. Beschrieben wird so, wie das Dazwischenliegende, die Übergänge am Ende die Erzählweisen erobern. In diesem Sinne wurde Musil zum Experten des Unwirklichen und Unfesten, während Kafka auf die Endlosigkeit von Wegen setzt und schon seine frühen Texte Wegweiser für das Verirren abgeben, um schließlich im Schloss die Bewegung in Stillstand münden zu lassen, als gehe von dort ein „Sog der Derealisierung“ aus.Der Erkenntnisgewinn ist wie die Leselust in Meteor beträchtlich. Das darin beschriebene „Projekt der Welterleichterung“ ist alles andere als leichte Kost, aber delikat im besten Wortsinn.Meteor. Versuch über das SchwebendeJoseph Vogl C. H. Beck 2025, 144 S., 20 €



Source link

Von Veritatis

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert