Der Oscar-Gewinn von Chihiros Reise ins Zauberland im Jahr 2003 machte das japanische Animationsstudio Studio Ghibli mit einem Schlag weltbekannt. Im Unterschied zu den amerikanischen Produktionen der Marken DreamWorks, Pixar oder Disney stand Ghibli damals noch ganz für handgezeichnete Animationskunst. Digitale Technologien nutzt das Studio erst seit relativ kurzer Zeit. Regisseur Hayao Miyazaki hat eine detailverliebte Ästhetik geschaffen, die Millionen verzaubert und fasziniert. Jede Szene wird mit außergewöhnlicher Sorgfalt animiert, nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Hingabe. Diese Perfektion hat Ghibli zu einer Institution gemacht.
Placeholder image-1
Doch seit vergangener Woche erleben wir, dass eine enorme Welle an Ghibli-Bildern die sozialen Medien überfluten. Plattformen wie Instagram, TikTok und X sind voll von Illustrationen, die aussehen, als stammten sie direkt aus einem Miyazaki-Film. Doch diese Bilder wurden nicht von Künstler*innen in liebevoller Handarbeit erschaffen, sondern von einer KI generiert. Das neue GPT-4o-Bildgenerierungsmodell ermöglicht es, in Sekundenschnelle täuschend echte Ghibli-Bilder zu erstellen. Das sorgt nicht nur für Aufsehen, sondern wirft auch tiefgehende ethische Fragen auf.
In diesem Zusammenhang wird oft eine Aussage Hayao Miyazakis zitiert – allerdings aus dem Kontext gerissen.
In einer Dokumentation von 2016 über Miyazaki und Studio Ghibli, die den Filmemacher über zehn Jahre begleitete, sieht man, wie eine Gruppe von externen Entwicklern ihm eine KI-generierte Animationsdemo eines Zombies präsentiert, die für ein Videospiel gedacht war. Der Vorführende erklärte, die KI könne Bewegungen erzeugen, die für Menschen unvorstellbar seien – während auf dem Bildschirm eine verzerrte Gestalt zu sehen war, die sich mühsam mit dem Kopf vorwärtszog.
Für Hayao Miyazaki sind Bewegungen Ausdruck von Erfahrung, Schmerz, Würde
Miyazakis Reaktion war eindeutig: „Ich möchte diese Technologie niemals in meiner Arbeit sehen“, sagte er damals. „Wer so etwas erschafft, hat keinerlei Verständnis für Schmerz. Ich empfinde tiefen Ekel … Für mich ist das eine Beleidigung des Lebens selbst.“
Doch seine Kritik galt weniger der KI-Animation an sich, sondern der Art der Bewegungsdarstellung. Für Miyazaki sind Bewegungen mehr als technische Abläufe – sie sind Ausdruck menschlicher Erfahrung, von Schmerz und Würde. Er verwies auf einen langjährigen Freund mit Behinderung, für den selbst kleinste Bewegungen mühevoll waren, und kritisierte den Mangel an Menschlichkeit und handwerklichem Verständnis.
Placeholder image-3
Angesichts seiner Haltung zur Kunst und zum Zeichnen würde Miyazaki wohl auch die aktuelle Entwicklung der KI und den massenhaften Diebstahl von Kunst kritisch sehen. Dabei wird oft übersehen, dass es nicht nur um Urheberrechtsverletzungen geht, sondern auch um eine Machtdemonstration seitens der Tech-Konzerne. Die Werke von Studio Ghibli stehen für höchste künstlerische Qualität und einen unverwechselbaren Stil. Dass dieser Stil nun von KI-Modellen imitiert und für deren Training genutzt wird, zeigt, wie machtlos Kreative in diesem Zusammenhang sind. Es offenbart die Geringschätzung der Technologiebranche gegenüber Kunst, Kreativität und schöpferischen Berufen, die oft als elitär und wirtschaftlich irrelevant betrachtet werden. Übersehen wird dabei ihr immaterieller, für eine Gesellschaft essenzieller Wert.
Placeholder image-4
Selbst OpenAI-CEO Sam Altman hat den Trend aufgegriffen und sein Profilbild auf X in ein Ghibli-Porträt verwandelt. In einem scherzhaften Tweet bemerkte er, er habe sich ein Jahrzehnt lang damit abgerackert, „eine Superintelligenz zu entwickeln, um Krebs zu heilen oder was auch immer“ und sei zuerst ignoriert und dann dafür gehasst worden, und nun seien es ausgerechnet Studio-Ghibli-Bilder, die positive Aufmerksamkeit auf seine Arbeit lenkten.
OpenAI hat die sogenannte „Ghiblification“ aktiv gefördert und betont, dass die Entwicklung fortschrittlicher KI-Modelle grundsätzlich ohne die Nutzung urheberrechtlich geschützten Materials „unmöglich“ sei. Der US-amerikanische Anwalt Josh Weigensberg erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press, dass KI-Bilder im Ghibli-Stil die Frage aufwerfen, ob das Modell auf den Werken von Miyazaki oder Studio Ghibli trainiert wurde und ob dafür eine Lizenz vorliegt. Eine Anfrage von AP an OpenAI blieb unbeantwortet.
Auch AfD-Politiker verewigen sich im Stil von Ghibli-Zeichnungen
Viele Nutzer sehen das Erstellen von Bildern im Anime-Stil bekannter Meister als harmloses KI-Entertainment, ohne sich der urheberrechtlichen und ethischen Konsequenzen bewusst zu sein. Der Trend hat besonders in rechten Kreisen Anklang gefunden. Zahlreiche Ghibli-Versionen von Fotos prominenter Persönlichkeiten wie Donald Trump oder Elon Musk werden in Netzwerken wie X verbreitet. Auch AfD-Politiker haben sich und ihre Fraktion in Ghibli-Zeichnungen verewigt. Der vorläufige Höhepunkt dieses Trends kam jedoch vom offiziellen X-Account des Weißen Hauses: Ein KI-generiertes Ghibli-Stil-Bild einer weinenden Frau aus der Dominikanischen Republik, die kürzlich von US-Einwanderungsbeamten verhaftet worden war.
Für rechte Interessen stellt das Fehlen von Menschlichkeit und Vielschichtigkeit in KI-generierten Bildern einen Vorteil dar. In gewisser Weise erinnert das an den Kulturkampf der Nationalsozialisten gegen die moderne Kunst, als Strömungen wie Expressionismus, Dadaismus und Surrealismus als „entartet“ diffamiert wurden. Die Nationalsozialisten strebten an, eine „reine“ Kunst zu fördern, die ihre Ideologie widerspiegelte – stark figürliche, heroische und idealisierte Darstellungen von Arbeit, Familie und Natur.
Ähnlich finden wir in KI-generierten Bildern eine Reproduktion, die keine Metaebene besitzt und nicht abstrakt oder vielschichtig ist. Sie geben exakt das wieder, was der Benutzer vorgibt, in einem glattgebügelten Realismus. Es gibt keine tiefere Interpretation der Natur oder kultureller Einflüsse, sondern eine sterile, „perfekte“ Reproduktion dessen, was statistisch als schön empfunden wird. Wie die „reine“ Kunst der Nazis fördert auch diese Art der Darstellung ein vereinfachtes, idealisiertes Bild der Welt, ohne die Komplexität und Vielschichtigkeit zu hinterfragen. Hinzu kommt, dass dieser Prozess keine Auseinandersetzung mit anderen Menschen erfordert, die ihre Perspektive einbringen – oder gar für ihre Arbeit bezahlt werden müssten.
Placeholder image-2
Die Bilder der letzten Wochen transportieren somit auch eine subtile Drohung – verpackt in die liebgewonnene Form der Ghibli-Ästhetik. Es ist besonders grotesk, da die Werke von Studio Ghibli in ihrem Kern stets Kritik an oppressiven Herrschaftsstrukturen und dem Missbrauch von Technologie üben. Filme wie Das wandelnde Schloss, Prinzessin Mononoke oder Porco Rosso sind für ihre politischen Dimensionen bekannt und für zeitlose Sätze wie „Ich wäre lieber ein Schwein als ein Faschist“. Doch nun wird dieser Stil von der US-Regierung eingesetzt, um ihre eigenen, faschistischen Tendenzen zu ästhetisieren.