Wenn der erste Schnee fällt und die Staatskapelle am anderen Ende der Welt gastiert, füllt seit dreißig Jahren regelmäßig Barockmusik die Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Nie Pausenfüllerin, stets ist sie ein Höhepunkt der Saison, in diesem Jahr mit gleich zwei hochkarätigen Premieren.

Mozarts Mitridate, Re di Ponto und Vivaldis Il Giustino haben manches gemeinsam. Beide Opern waren zwei Jahrhunderte lang – zu Unrecht – praktisch vergessen. Beide erzählen von wahren Machtkämpfen antiker Herrscher. Das Publikum damals kannte sie noch. Heute darf es die komplizierten Intrigen einschließlich ihrer aufgesetzten Happy Ends getrost gleich wieder vergessen. Beide Stücke begeistern mit mitreißenden Ohrwürmern.

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hnee fällt und die Staatskapelle am anderen Ende der Welt gastiert, füllt seit dreißig Jahren regelmäßig Barockmusik die Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Nie Pausenfüllerin, stets ist sie ein Höhepunkt der Saison, in diesem Jahr mit gleich zwei hochkarätigen Premieren.Mozarts Mitridate, Re di Ponto und Vivaldis Il Giustino haben manches gemeinsam. Beide Opern waren zwei Jahrhunderte lang – zu Unrecht – praktisch vergessen. Beide erzählen von wahren Machtkämpfen antiker Herrscher. Das Publikum damals kannte sie noch. Heute darf es die komplizierten Intrigen einschließlich ihrer aufgesetzten Happy Ends getrost gleich wieder vergessen. Beide Stücke begeistern mit mitreiXX-replace-me-XXX223;enden Ohrwürmern.Der erst vierzehnjährige Mozart legte auf Bildungsreise in Italien 1770 im Auftrag der Mailänder Hofoper weit mehr als eine Talentprobe ab. Sein auf drei Stunden gekürztes, ursprünglich sechsstündiges grandioses Werk ist als Überlebensmittel auf menschenleeren Inseln bestens zu empfehlen. Unmöglich, sich daran sattzuhören.Wie universal Mozarts Musik ist, belegt die Inszenierung im Stil des japanischen Kabuki-Theaters. Satoshi Myagi hat das Stück vor dem Fujiyama (Bühne: Junpei Kiz) in Szene gesetzt – und alles passt, auch die Zeitebene, der Krieg zwischen Japan und den USA. Dass Kayo Deschene die fantastischen Kostüme ganz in Gold getaucht hat, ist freilich keine fernöstliche Farbsymbolik, sondern allein Mozart: So sieht das Regieteam seine Musik.Im Vergleich zu den später entstandenen Mozart-Blockbustern fehlen die Ensembleszenen. Den strengen Regeln der Opera seria gemäß folgt eine Arie der anderen. Jede einzelne ein Juwel. Rache, Verzweiflung, Beklommenheit, Liebe – wie tief der Jüngling all das Außersichsein zu Musik formt, macht fassungslos. Unter den durchweg erstklassigen Solisten ragen der samoanische Tenor Pene Pati in der Titelrolle des Königs von Pontus, der glockenklare Sopran der Ana Maria Labin als seiner Verlobten Aspasia und der Countertenor Paul-Antoine Bénos-Djian als sein putschender Sohn Farnace heraus. Am Pult dirigiert Marc Minkowski die von ihm gegründeten Les Musiciens du Louvre, eins der besten Orchester für alte Musik, und packt kraftvoll zu.Il Giustino ist große UnterhaltungPlaceholder image-1René Jacobs hingegen betont mit der Akademie für alte Musik Berlin eher das Feine, Süffige von Antonio Vivaldis süchtig machender Musik. Auch er hat Il Giustino, ebenfalls eine Opera seria, wenn auch ein halbes Jahrhundert älter, auf drei Stunden gekürzt und zu großer Unterhaltung optimiert. Seit den ersten Berliner Barocktagen steht er am Pult, nun zum ersten Mal mit Vivaldi, dessen unverwüstliche Vier Jahreszeiten die meistgespielte klassische Musik überhaupt sind. Kaum jemand aber kennt seine Opern. Swinging Barock, gläserner Streicherklang, Sturmszenen, halsbrecherische Koloraturen. All die Helden mit ihren Affekten sind letztlich Comicfiguren. Weshalb diese Oper trotz ihres verstaubten Plots „moderner“ wirkt als manch romantischer Liebestoderguss.Ein Mann, verkleidet als Frau, gesungen von einer Frau (Olivia Vermeulen, Alt), muss sich dazu mit falschen Brüsten verkleiden – das ist doppelte Geschlechterparodie. Auch dass die männlichen Hauptfiguren (Kaiser Anastasio: Raffaele Pe) und der zum Mitregenten aufsteigende Bauer Il Giustino (Christophe Dumaux) mit hohen, femininen Counterstimmen glänzen, passt. Es sind bei aller Furchtlosigkeit schwächliche Charaktere. Das Kommando führt eine Frau (Kateryna Kasper als Kaiserin Arianna); die einzige Männerstimme besitzt ihr Feind, der kriegerische Vitaliano (der seidenweiche Tenor des Südafrikaners Siyabonga Maqungo). Regisseurin Barbora Horáková und Bühnenbildner Thilo Ullrich bringen die Theatermaschinerie des Barock auf Hochtouren und zugleich ganz ins Heute.



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Von Veritatis

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