Verlässlich, laut und haltungsstark seit 1986: Die Institution im deutschsprachigen Punkrock lässt ihr Konzert im Leipziger Haus Auensee am Samstag zur großen, generationsübergreifenden Pogo-Party geraten
Weihnachtszeit ist Familienzeit. Das ist wohl auch im Punk so. Zumindest dann nicht, wenn die Band Dritte Wahl heißt, deren Gastspiel im Haus Auensee am Vorabend des dritten Advent zum großen Fest der Generationen geriet. In mittlerweile über 35 Bandjahren haben sich die Rostocker unermüdlich zu einer der unbestrittenen Institutionen in ihrem Metier hoch gespielt. Jeder, der deutschsprachigen Punkrock in den letzten Jahrzehnten auch nur gestreift hat, dürfte das ein oder andere Lied aus ihrer Feder kennen. Und derlei (Sub-)Kulturgut wird eben weitergegeben. Dass man zwischen markanten Punkriffs mit Metaleinschlag und wütender Reibeisenstimme seit jeher weiß, was man bekommt, ist hier eher ein sympathisches Plus. Wenig überraschend, dafür umso verlässlicher zeigt Dritte Wahl erneut, dass sie spätestens live nichts anbrennen lassen und doch gut einheizen.
Regionales statt internationale Prominenz im Vorprogramm
Dass das Haus Auensee dieses Mal „nur“ gut gefüllt und nicht erneut ausverkauft ist, verschleift sich in der gegenseitigen Euphorie bald. Ursprünglich war das Konzert für 2020 geplant, wurde mehrmals verschoben, das den Tourtitel liefernde aktuelle Album „3D“ ist mittlerweile ebenso alt. Auf ausladend prominente Gäste wird am Samstag verzichtet, wartete man schon mit Legenden wie Slime oder den britischen The Adicts im Vorprogramm auf, begnügt sich Dritte Wahl nun mit verlässlich haltungsstarkem, doch kantenlosem Deutschpunk in Form der Suhler Radio Havanna.
Auch der eigentlich längst obligatorische Konfettiregen bleibt aus, womöglich ungewollt, Kanonen am Bühnenrand waren zumindest augenscheinlich aufgebaut. Doch all dem zum Trotz bleibt Leipzig abseits der Küstenheimat die Stadt, in der die Band ihre größten Hallen füllt. Die Treue der Fans ist im gelegentlichen Bierregen fast zu schmecken. Da formt sich der Moshpit ab dem ersten Ton drumherum um Eltern mit Kindern auf den Schultern, größerer Nachwuchs springt einfach mit oder lässt sich auf Händen übers Publikum tragen.
Stehkino mit Mittelfinger und 3-D-Brille
Auch ohne Konfetti kann man sich im Wechselspiel von wütend erhobener Punk-Faust und großer Konzertgeste fragen, was von beiden mittlerweile in den Bereich der Folklore fällt. Wohl beides ein bisschen, auf Szenepolizei pfeift Dritte Wahl seit Jahren gelassen, und der entsprechende Bühnenzauber ist längst etablierter Live-Standard. Vielleicht gerade deswegen passt hier beides wunderbar zusammen, denn nichts wirkt aufgesetzt, es harmonieren Mittelfinger und Videoleinwand, Politik und Luftballons. Witziges Gimmick ist die am Eingang ausgegebene 3D-Pappbrille, die den ersten Bühnenhintergründen tatsächlich Form verleiht und das Publikum wie ein großes Stehkino aussehen lässt.
In der Rolle des Entertainers gefällt sich Gitarrist und Sänger Gunnar Schroeder, dessen immer ausladendere, gern auch absurde Ansagen bei den Bandkollegen schon mal für gerade noch lieb gemeinte Augenroller sorgen. Das Publikum nimmt diese kleinen Pogopausen gerne an, auch, wenn dem Spaß mitunter der Boden unter den Füßen weggezogen wird und Schroeder unmissverständlich klar macht, warum er das eine oder andere politische Lied in die verbesserungswürdige Welt schickt. Gerade in der zugänglichen Breitenwirkung über die sich selbst gewisse Szene hinaus sind solche Appelle erst wirksam, fräsen sich mit der eingängigen Kraft eines guten Mitsing-Refrains ins Bewusstsein. Dass etwa im Engagement gegen rechts auch 20 Jahre alte Lieder nichts an beißender Aktualität verloren haben liegt neben den Verhältnissen natürlich auch an zeitloser Rabiat-Poesie: „Lass das Glotzen sein. Greif ein!“, ist demokratisches Grundverständnis und braucht keine Jahreszahl.