Jetzt ist es also amtlich: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will Ministerpräsidentin von Hessen werden – und erst einmal Bundesinnenministerin bleiben, was ihr einiges an Kritik einbringt. In Hessen stehen am 8. Oktober Landtagswahlen an, und die SPD will die Chance nutzen, ein ganz altes Stammland zurückzuerobern; sie regierte es zwischen 1946 und 1987, und dann noch einmal unter Hans Eichel – Ältere werden ihn noch kennen – zwischen 1991 und 1999. Es folgten die CDU-Granden Robert Koch und Volker Bouffier, und dann, seit vergangenem Jahr, Boris Rhein.
Boris wer? Außerhalb Hessens kennen den Chef der schwarz-grünen Koalition in Wiesbaden wenige. Den sozialdemokratischen Plan mit Faeser könnte es deshalb durchaus schon eine Weile länger geben. Im Februar 2022 kündigte Bouffier seine Ablösung durch Rhein an. Faeser stand da gerade unter konservativer und rechter Attacke, weil ein Artikel von ihr in antifa – Magazin für antifaschistische Politik und Kultur, herausgegeben von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), erschienen war. Eine Antifa-Frau aus dem linken SPD-Bezirk Hessen-Süd an der Spitze von einem der größten Ministerien, dessen Mitarbeiterstamm zu nicht unerheblichen Teilen aus konservativen Juristen besteht, die mit aktiver Antifa-Arbeit nicht viel am Hut haben – nicht nur im Hause selbst hatte das für Stirnrunzeln gesorgt.
Begrenzung der Migration
Ende Mai trat Bouffier ab und Rhein an. Es dauerte einige Monate, aber spätestens seit dem Herbst wissen sehr viel mehr Menschen in der Republik als zuvor, wer Nancy Faeser ist. Die 52-jährige Bundesinnenministerin wurde ein Stammgast in den Schlagzeilen. Im Juli hatte es schon ein kurzes Flackern gegeben, als Faeser warnte, Proteste gegen die massiv steigenden Lebenshaltungskosten könnten ein neues rechtes Mobilisierungsthema werden. Los ging es dann aber im Oktober.
Ihrem Lob für die großzügige Aufnahme ukrainischer Geflüchteter ließ Faeser Worte folgen, die aufhorchen ließen: „Derzeit kommen auch über das Mittelmeer und die Balkanroute wieder erheblich mehr Menschen nach Europa. Das macht mir Sorge. Wir müssen klar für eine Begrenzung sorgen.“ Die Jusos, der SPD-Jugendverband, waren außer sich. Doch in Hessen, wo in den vergangenen Jahrzehnten eine recht rechte CDU dominierte, mag von deren Wählerinnen und Wählern der ein oder die andere doch interessiert die Augenbraue gehoben haben. Schon im Mai hatte sie nach einer Schießerei zwischen Mitgliedern eines Clans und Hells Angels „eine harte Antwort des Rechtsstaats“ auf „abgeschottete Parallelwelten“ und „die Rückführung krimineller Clan-Mitglieder in ihre Heimatländer“ angekündigt und war damit CDU-Innenpolitikern in nichts nachgestanden.
„One Love“ in Katar
Grünen-Sympathisantinnen wiederum dürften ihre beiden öffentlichkeitswirksamen Auftritte im Fußball-WM-Gastgeberland Katar gefallen haben – vor allem, wie sie beim Spiel Deutschlands gegen Japan mit „One Love“-Binde neben FIFA-Präsident Gianni Infantino saß und dabei dem deutschen Kampf für die Menschenrechte ein pikiertes Gesicht gab. Der Landtag in Wiesbaden war einer der ersten in Westdeutschland, in den die Grünen 1982 einzogen, 1985 wurde Joschka Fischer dort als ihr erster Minister vereidigt. Bei den Landtagswahlen 2018 erreichten sie knapp 20 Prozent, seit 2014 regieren die Grünen dort mit der CDU.
Mindestens eine der Parteien will die SPD im nächsten Oktober an der Macht ablösen. Für die Sozialdemokraten wäre das nach der vom eigenen rechten Parteiflügel sabotierten Bildung einer Minderheitsregierung mit den Grünen unter Tolerierung der Linkspartei mit Andrea Ypsilanti 2008 und den drei gescheiterten Versuchen des engagierten, aber Wählerinnen und Wählern nie vermittelbaren Thorsten Schäfer-Gümbel 2009, 2013 und 2018 ein ganz neues Gefühl.
Nachfolgerin Franziska Giffey?
Dass sie dafür eine Politikerin sich in einem bedeutenden Bundesministerium profilieren lassen, sollte nicht überraschen. Einer von Faesers letzten großen Auftritten war die – medial bestens ausgeleuchtete und begleitete – Groß-Razzia gegen Reichsbürger, samt direkt anschließender Vorschläge für die Verschärfung des Waffen- und des Beamtenrechts, ebenfalls im Dezember 2022.
CDU, FDP und andere machen der SPD und Faeser nun zum Vorwurf, dass sie als nominierte Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Hessen Anfang Oktober noch bis zum Frühsommer Bundesinnenministerin bleiben wird und das Amt zur Profilierung nutzen kann. Das hat sie aber schon seit Monaten getan – und in den kommenden Wochen dürfte es eher schwieriger werden, weil sie unter verschärfter Beobachtung steht.
Die SPD braucht wohl auch noch eine Weile, bis sie eine Nachfolgerin gefunden hat. Eine weitere Ersetzung einer Ministerin durch einen Minister nach der von Christine Lambrecht durch Boris Pistorius und die damit verbundene noch größere Entfernung von der durch Olaf Scholz versprochenen Parität im Bundeskabinett dürfte kaum vermittelbar sein. Vielleicht hat die SPD aber auch schon einen anderen, weitreichenden Plan. Im Frühsommer spätestens dürfte jedenfalls feststehen, wer nach den Wahlen vom 12. Februar in Berlin die Hauptstadt regiert – und ob Franziska Giffey sich eine andere Aufgabe als die der Regierenden Bürgermeisterin suchen muss.