Deshalb ist die Trans-Sängerin aktuell der global größte deutsche Popstar
Es gibt in Deutschland Menschen, die wohl einen derben Hals bekämen, würde Transfrau Kim Petras ihre Lieblingsbücher in einer Kita vorlesen. Doch dazu hätte die gebürtige Rheinländerin wohl kaum Zeit, denn sie stopft ihnen und der Restwelt gerade ihr zweites Album “Feed The Beast” in den Kopf. Und zwar maximal erfolgreich: Die Platte steht derzeit auf Platz 2 der US-amerikanischen Dance-Charts und schickt sich dort an, mit knallig hochgedrehtem Hyperpop das Erbe von Superstars wie Lady Gaga oder Britney Spears zu übernehmen. Dass Petras dieses Jahr zusammen mit Sam Smith einen Grammy für den gemeinsamen Song “Unholy” kassierte, ist da natürlich ein perfekter Katalysator.
“Feed The Beast” klingt nicht nur bunt, plastisch und typisch amerikanisch over the top: Die Platte sticht aus entsprechenden Produktionen der letzten Jahre auch verblüffend edgy und eigen heraus, und ja, das hat etwas mit Petrs’ Herkunft und Werdegang zutun. Erstens: Man hört der jungen Frau die Songwriter-Erfahrungen an. Bereits mit 15 hatte sie begonnen, eigene Songs zu veröffentlichen. Trotz erster kleiner Erfolge mit Digital-Singles im Internet stieß sie aber mit ihrem Zuckerbäcker-Pop in der deutschen Musikbranche wahlweise auf mildes Lächeln oder taube Ohren. 2011 wagte sie mit 19 den Sprung nach Los Angeles, wo sie ohne jeden Kontakt versuchte, als Komponistin Fuß zu fassen. Jeden Tag, so sagte Kim Petras einmal, schrieb Sie damals einen Song. 2017 gelang ihr dann der erste Hit mit dem Song “I Don’t Want It All”, in dessen Video Paris Hilton mitspielte. Petras hangelte sich dabei mit Retro-Charme an der Sexy-Girl-Masche ihres Idols Britney Spears entlang, die die 2019 erschienenen Alben “Turn Off The Light” und “Clarity” prägte. Schließlich erlangtes sie mit der EP “Slut Pop” 2022 große Aufmerksamkeit – als eine Art poppig ernst zu nehmende Globalversion von Katja Krasavice.
Doch davon emanzipiert sich Kim Petras mit dem neuen Werk mit heftigem Wumms. Denn, und da sind wir bei Zweitens: “Feed The Beast” transportiert das große Songwriting-Talent der Frau in geradezu berstende Hochenergie-Dancetracks, die von einem heftigen Treibsatz aus gutem alten Eurodance gezündet werden. Dieser Einfluss aus der alten Heimat schiebt und drückt und pulsiert und bebt wie zu besten Rave-Zeiten, ohne auch nur ansatzweise retro zu klingen. Bereits der Auftakt mit dem Titelsong tritt einem hefig den Stuhl unter dem Hintern weg und löst regelrechten Bewegungszwang aus. Was dann folgt ist ein praller, übervoller, riesig aufgepumpter Reigen aus immer neuen Tanzgranaten, wobei Kim Petras ein gigantisches Hook-Potenzial in den Refrains offenbart: Mag hier und da auch mal eine Strophe etwa naiv klingen – im Chorus fegt die Frau dann regelmäßig alles weg. Man höre nur Glückshormon-Granaten wie “King Of Hearts” oder “Castle In The Sky”.
Und wo normaler amerikanischer Hitfabrik-Pop den Insider dann doch eher schnell zu langweilen droht, kommt Petras immer wieder mit Überraschungen um die Ecke, sei es das In-Your-Face-Gitarrensolo(!!) in “Revelations” oder die coolen EDM-Twist in “Uhoh”. “Everything I drop is an banger” singst sie dazu – und das ist, verdammt noch mal, anders nicht zu umschreiben! Kindergarten? Ist lang vorbei!
Kein Wunder also, dass die einst belächelte Frau in ihrer Heimat plötzlich als Wunderkind gilt. Dabei wurde es ihr hier außerhalb ihrer Familie hier eher schwer gemacht: Geboren 1992 in Bonn im Körper eines Jungen, kämpfte Petras seit ihrer Kindheit darum, sein zu dürfen was sie ist. Erste Bekanntheit erlangte sie als jüngster Mensch, der sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen durfte. Die Eltern, die ihrer Tochter erkannten und unterstützten, setzen sich gegen Skepsis und Widerstände durch. Bereits mit 12 konnte Kim Petras daher eine Hormonbehandlung beginnen – was sie heute zusätzlich zu einer Ikone der “LGBTQ+”-Bewegung macht. Das mag der Platte einen zusätzlichen Twist geben. Doch den hat sie nicht nötig. Die musikalische Qualität, die bereits in der Madonna- oder Lady-Gaga-Liga spielt, spricht bereits für sich!