Filmindustrie Dass Schauspieler:innen und Autor:innen in Hollywood die Arbeit niedergelegt haben, spürt man hierzulande noch wenig – die pandemiebedingte Krise scheint überwunden. Dennoch ist interessant, was der Streik über den Zustand der Branche zeigt


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Ausgabe 31/2023

Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt – so nah war sich das selten im Filmbusiness

Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt – so nah war sich das selten im Filmbusiness

Foto: Valerie Macon/Getty Images

Es sind interessante Zeiten, wenn einerseits volle Kinos Schlagzeilen machen und andererseits in Hollywood gestreikt wird. Da verspricht der Erfolg von Barbie und Oppenheimer endlich die pandemiebedingte Kinokrise zu überwinden, die viele bereits als endgültigen Niedergang beschrieben haben. Gleichzeitig müssen Drehs abgebrochen, Filmstarts geschoben und Preisverleihungen wie die der Emmys im September abgesagt werden. Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt – so nah beieinander lagen Riesenerfolg und Existenzkrise selten in der Kinobranche.

Der Streik in Hollywood wird in diesen Tagen auch deshalb so gerne als Thema aufgenommen, weil er, wie soll man sagen, in die allgemeine Stimmung passt. Oberflächlich scheint sich genau das widerzuspiegeln, was in westlic

erzuspiegeln, was in westlichen Gesellschaften derzeit als krisenhaft empfunden wird: ein Anwachsen der Ungleichheit, das Drohgespenst der Künstlichen Intelligenz und sinkende Löhne bei steigender Inflation.Mit oberflächlichen Vergleichen ist man in Hollywood besonders schnell, weshalb Fran Drescher, der einstige Star der Sitcom-Serie Die Nanny, nach ihrem Auftritt zu Beginn des Schauspieler-Streiks zwar augenzwinkernd, aber doch mit Gusto als künftige Präsidentschaftskandidatin gehandelt wurde. Das letzte Mal nämlich, als wie jetzt in Hollywood Autoren und Schauspieler zusammen streikten, geschah das 1960, und der damalige Gewerkschaftsführer der Schauspieler hieß Ronald Reagan.Feurige Anklagen gegen die Studiobosse, wie sie Drescher in ihrer Rede Anfang Juli zum Streikauftakt abschoss, wären Reagan allerdings ziemlich fremd gewesen. Drescher sprach dem heutigen Moment gewissermaßen aus dem Herzen, als sie formulierte, wie Schauspieler durch ein Geschäftsmodell, das sich durch Streaming drastisch verändert habe, „an den Rand gedrängt und entehrt“ würden. „Was hier passiert, ist wichtig, weil das, was uns passiert, in allen Bereichen der Arbeitswelt passiert“, fuhr sie fort und brachte mit der „Gier der Wall Street“ die üblichen Verdächtigen ins Spiel. „Wie sie sich auf Armut berufen, darauf, dass sie angeblich links und rechts Geld verlieren, während sie ihren CEOs Hunderte von Millionen Dollar geben. Das ist widerwärtig … Sie stehen auf der falschen Seite der Geschichte!“Die Verteilungsstrukturen in HollywoodAber ist Drescher wirklich die Richtige, um Ungleichheit anzuklagen? Die Filmbranche hat eine sehr eigene Verteilungsstruktur, die mit dem von Fran Drescher beschworenen Schisma von reichen CEOs versus arme Schauspieler wenig zu tun hat. Angefangen mit ihrem eigenen Beispiel – sie hat an den Lizenzeinnahmen der Nanny mehr verdient als mancher Studioboss – ist die Schauspielerei als Glamour-Beruf geprägt von der Schere zwischen den wenigen, die sehr viel verdienen, und der großen Masse, die sich mit Kellnern über Wasser halten muss.An dieser Aufteilung will bezeichnenderweise auch niemand etwas ändern. Einer der wichtigsten Punkte in den Verhandlungen zwischen Schauspielern und Autoren einerseits und den als AMPTP (Alliance of Motion Picture and Television Producers) zusammengefassten Produzenten andererseits ist mit dem Anliegen von 1960 übrigens durchaus vergleichbar. Damals waren die Kinobesucherzahlen wegen der Ausbreitung des Fernsehens eingebrochen, das keine Lizenzgebühren an Schauspieler entrichtete. Mit dem Streik, der damals lediglich sechs Wochen dauerte, setzten Reagan und Co. ein Gebührensystem durch, das bis vor kurzem Stars wie Fran Drescher allein durch Wiederholungen zu großem Reichtum verhelfen konnte.Die Streamingplattformen haben diesem Geschäftsmodell nun schweren Schaden zugefügt. Wo das lineare Fernsehen pro Ausstrahlung Gebühren entrichtet, die in nicht immer gerechten Schlüsseln an die Beteiligten weiterverteilt werden, bezahlt Netflix „upfront“ und dann nie wieder. Die größeren Zahlen dieser „Buy-outs“ bei Netflix- und anderen Streamingproduktionen haben zunächst viele Macher angelockt; die Erkenntnis, dass hintenraus nichts mehr zu bekommen war, egal wie erfolgreich eine Serie lief, kam als Schock erst mit jahrelanger Verzögerung an.Dass die Streamer die herkömmlichen Entlohnungsstrukturen zerstört haben, macht sie zu den Bösewichten des Moments. Wobei völlig in Vergessenheit gerät, dass sie vor kurzer Zeit noch als der letzte Hort der Kunst gefeiert wurden, wo Meister wie Alfonso Cuarón (Roma, Netflix) und Martin Scorsese (The Irishman, Netflix; Killers of the Flower Moon, Apple TV) ihre teuren Projekte realisierten konnten. Man muss sich bei den Nachrichten rund um den Streik auch klarmachen, dass die Verhandlungspunkte als solche nicht öffentlich gemacht werden. Was die eine Seite über die Forderungen der anderen sagt, muss deshalb immer mit einer gewissen Vorsicht genossen werden – Verzerrungen und Übertreibungen sind möglich.Die Armut der Streaming-Branche ist realDie Details des Konflikts um Arbeitsverhältnisse, Tageslöhne und Krankenversicherungen sind deshalb auch weniger interessant als das, was der Streik an Analysen zum Zustand der Industrie hervorbringt. Da wäre zum Beispiel der Befund, dass es der gesamten Branche sehr schlecht geht: Die Streamer haben so viel Geld für Produktionen ausgegeben, dass sie mit Ausnahme von Netflix nicht aus den roten Zahlen herauskommen. Netflix selbst ist überschuldet, erzielt aber im Unterschied zu den Konkurrenten im laufenden Umsatz inzwischen Gewinne. Die großen Studios wie Warner und Disney sehen sich mit einem Rückgang in allen Bereichen konfrontiert: Streaming kostet und ist noch nicht profitabel, die Kinozahlen gehen zurück und die Werbeeinnahmen der Sender schrumpfen weiter. Man kann die Prämien für CEOs beklagen, aber die „Armut“ der Branche ist tatsächlich keine vorgeschobene, wie von Drescher behauptet.Wie nebenbei liefert die Streikberichterstattung Einblicke ins Streamingbusiness als solches. Eine der Forderungen von Schauspielern und Autoren rankt sich darum, dass die Streamer, wie 1960 das Fernsehen, eine Gebührenstruktur einführen sollen, die die Kreativen am Erfolg einer Serie oder eines Films beteiligt. Nun sind die Portale extrem stolz auf ihre Fähigkeit, sekundengenaue Zuschauerdaten zu erheben, bestehen aber darauf, die Ergebnisse nur ausgewählt zur Verfügung zu stellen. Wie sich abzeichnet, geschieht das weniger, um die Kreativen um ihre Erfolgsprämien zu prellen, als vielmehr deshalb, weil man die eigenen Misserfolge vor den „Shareholdern“ an der Wall Street verheimlichen will. Wenn die wüssten, wie viel Geld für Serien ausgegeben wurde, die keiner guckt, könnte der Aktienpreis gefährlich sinken.Etwas Ähnliches – dass die Berichterstattung zum Streik ein besseres Bild der Lage zeichnet als die Streikforderungen selbst – passiert auch mit den Forderungen rund um den Einsatz der Künstlichen Intelligenz: Auf der einen Seite nämlich hat „AI“ längst Eingang gefunden in Produktionen – schon die Orks im Hintergrund des Herrn der Ringe von 2001 waren digitale Vervielfältigungen und keine Statisten; das „De-Aging“ wie jüngst bei Harrison Ford in Indiana Jones und Das Rad des Schicksals vorgeführt, ist ebenfalls schon mehr gang und gäbe, als zugegeben wird. Die Ängste sind berechtigt, wenn auch nicht für alle in gleichem Maße. Einmal mehr könnten die Berühmten und Gefragten davon profitieren, ihre Stimmen und Körper teuer zu lizenzieren, während die Unbekannten und Unbezahlten in Buy-outs gedrängt werden und das Recht am eigenen Bild verlieren. Was in gewissem Ausmaß heute schon passiert – und belegt, dass Schauspieler, Autoren und Produzenten sich besser bald zusammentun sollten, um an der KI-Front den Tech-Giganten gemeinsam die Stirn zu bieten, damit deren Maschinen nicht schon wieder – wie im Fall der Suchmaschinen – unbezahlt Content ausbeuten, den Kreative vorher erstellt haben.Besonders am Hollywood-Streik ist auch, dass man seine Folgen bislang so wenig spürt. Die Vorstellung, dass Bradley Cooper sein Leonard-Bernstein-Biopic Maestro mit sich selbst in der Hauptrolle beim Festival in Venedig womöglich stumm vorstellen muss – als Regisseur darf er auf die Bühne, als Schauspieler nicht –, amüsiert noch. Dass Gladiator II seinen Dreh unterbrechen musste, beunruhigt erst mal nur die Ridley-Scott-Fans. Es könnten eben auch einige von diesem Streik profitieren: die kleinen Independent-Filme, die diesen Herbst ins Kino kommen und einmal nicht übertönt werden von den großen Werbemaschinen aus Hollywood. Cannes-Gewinnerfilme wie Anatomie eines Falls und The Zone of Interest etwa. Außerdem gibt es da noch die Menge an Serien, die man in den letzten Jahren nicht bewältigen konnte, weil es von allem so viel gab. Bis man Deadpool 3 wirklich vermisst, wird es jedenfalls lange dauern.



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Von Veritatis

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