Ich erinnere mich noch, wie ich einmal ins Kino ging, um Theo Angelopoulos’ legendären Film The Travelling Players zu schauen. Ganze 222 Minuten dauert der Streifen. „Zwei Stunden und zweiundzwanzig Minuten also, kein Problem“, dachte ich. Als ich merkte, dass ich mich verrechnet hatte, waren die Lichter im Kinosaal bereits ausgegangen. Das unbehagliche Gefühl dieser Situation kam mir neulich wieder ins Gedächtnis, als ich eine kürzliche erschienene Studie aus den USA las. Diese behauptet, 92 Minuten seien die perfekte Länge für einen Film.
Die perfekte Länge – was soll das überhaupt sein? Fans von Larry David werden sich erinnern: In der Sitcom Curb Your Enthusiasm kam Davids wenig erfolgreicher Film Sour Grapes zur Sprache. Jemand versuchte etwas Nettes darüber zu sagen und lobte die „perfekte Länge“ des 85-minütigen Filmes. David reagierte verärgert: „Und die Breite? Der Film hat eine wunderbare Breite“, antwortete er. 92 Minuten – bedeuten diese zwei extra Minuten etwa, dass ich kein Weichei bin, das nicht in der Lage ist, einen Film zu schauen, der länger als anderthalb Stunden dauert?
Ich habe mich in meinem Leben schon auf Filme eingelassen, deren Länge sowohl meine Blase als auch mein Sitzfleisch strapazierten. Bela Tarrs geheimnisvolles, schwarz-weißes Meisterwerk Sátántangó etwa dauert stolze 439 Minuten. Wenn Sie jetzt anfangen im Kopf auszurechnen, wie viele Stunden das sind, vergessen Sie es – Sie sind zu schwach, um sich auf diese Länge einzulassen. Wahrscheinlich wollen Sie auch noch Toiletten- oder Essenspausen einlegen.
Viele geniale Filme sind etwa 90 Minuten lang
Die ungeschnittene Originalfassung von Erich von Stroheims’ stummen Meisterwerk Greed aus dem Jahr 1924 dauerte bei der einzigen Vorführung vor begeisterten Kritikern und entsetzten Managern den ganzen Tag. Ganz hinten im Saal saß der Regisseur selbst und warf jedem, der es wagte, während der Vorstellung auf die Toilette zu gehen, einen bösen Blick zu.
Anderthalb Stunden sind trotzdem keine schlechte Länge. Derek Malcolm, mein verstorbener Vorgänger sagte einst, man könne aus jedem Film zehn Prozent herausschneiden. Dann noch einmal zehn Prozent und dann noch einmal. So nähere sich der Film einem erhabenen Zustand existenzieller Kürze. In der Tat spricht einiges für die 92-Minuten-Idee. So haben viele geniale Filme diese Länge. Charles Laughtons The Night of the Hunter etwa. Dasselbe gilt für Autumn Sonatavon Ingmar Bergman, His Girl Fridayvon Howard Hawks, Beetlejuice von Tim Burton, Winchester ‘73 von Anthony Mann, Pete Docters Monster, Inc. oder auch für Clerks von Kevin Smith.
Früher bedeutete gutes Storytelling in Spielfilmen, in drei Akten eine effiziente und mitreißende Geschichte zu erzählen. Und zwar in anderthalb bis zwei Stunden. Das gefiel auch den Kinobetreibern, denn so konnten an einem Tag viele Einzelvorstellungen stattfinden. In Zeiten von Streaming-Diensten und Binge-Watching scheint es, als wäre das Publikum grundsätzlich bereit, längere Filme zu schauen – wenn auch nicht im Kino.
Ich habe schon lange Filme gesehen, die extrem kurzweilig waren. Auf der anderen Seite aber auch kurze – meist kommerzielle Hollywood-Filme – die sich ewig hinzogen. Am besten legen wir uns also nicht auf eine 92-Minuten-Regel fest.