Erinnern Sie sich noch an die Diskussion um das Unterschichtenfernsehen?
Die Diskussion hat sich entlang von Fernsehformaten entsponnen, in denen offenkundig minderbemittelte Personen aus der Unterschicht vor dem Fernsehpublikum ihre Defizite zur Schau gestellt haben. Die Hauptkonsumenten von diesem Junk, für den vor allem RTL Sendezeit verprasst hat, waren Leute aus der Mittelschicht, für die es immens wichtig ist, sich von anderen zu differenzieren, sich als anderen überlegen, als etwas Besseres fühlen zu können. Weil dies den meisten aus der prekären Mittelschicht nicht mehr auf Basis von Einkommen und Besitz möglich ist, ist das Materielle durch das Immaterielle ersetzt worden, die Einbildung, man sei anderen kognitiv und intellektuell weit überlegen.
Die Sendungen in einfacher Sprache, die die ARD-tagesschau neuerdings anbietet, wir haben diesen Junk gestern an einem Beispiel analysiert, sind eine Fortsetzung dieses Themas. Öffentlich-rechtliche Sender haben in den letzten Jahren erhebliche Einbußen nicht nur bei der Zahl der Konsumenten hinnehmen müssen, sie müssen sich auch gegenüber Konkurrenz aus sozialen Netzwerken erwehren, die in der Regel bessere, genauere, informiertere und vor allem nicht ideologisch kontaminierte Berichterstattung bieten und damit den öffentlich-rechtlichen Anstalten den Rang ablaufen.
Um sich dennoch als großer und wichtiger Akteur auf einem Feld, auf dem man langsam in die Bedeutungslosigkeit verschoben wird, fühlen zu können, versuchen die öffentlich-rechtlichen Anstalten sich nun als kenntnisreicher, wenngleich einfacher Erklärer für kognitiv und intellektuell Zurückgebliebene zu inszenieren. Nicht etwa, um Leuten mit Verständnisschwierigkeiten zu helfen, sondern um sich von diesen für sie Deppen zu differenzieren, sich einen Status als Wissender über Unwissende, als Herrenmensch der Berichterstattung zuzuweisen.
Und das muss, wenn es von kompetenzlosem öffentlich-rechtlichem Restbestand durchgeführt wird, in die Hosen gehen. Schon die Begründung für das neue Angebot ist FALSCH:
“Laut der LEO-Studie 2018 lesen und schreiben etwa 17 Millionen Menschen in Deutschland zwischen 18 und 64 Jahren auf Vierte-Klasse-Niveau oder schlechter. Die Gründe dafür sind vielfältig: Diese Menschen lernen gerade erst Deutsch oder sie hatten nicht die Chance auf eine gute Bildung. Oder sie haben eine Hör-, Lese- oder Lernschwäche – oder eine Krankheit, wie etwa einen Schlaganfall.”
In der LEO-Studie 2018, die ganz im Zeichen politischer Korrektheit steht, und somit dem eigenen Anliegen im Weg, so dass nicht mehr funktionales Analphabetentum, sondern, um niemanden zu diskriminieren, Literalität gemessen wird, die indes genauso definiert wird, wie funktionaler Analphabetismus, d.h. die Unfähigkeit in einfachen Sätzen enthaltene Informationen zu verstehen, als Resultat von Lese- oder Verständnisschwieirigkeiten oder von beidem, ist indes von 17 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren, die auf Vierte-Klasse-Niveau oder schlechter, lesen und schreiben, KEINE REDE.
Entweder die einfachen Redakteure einfacher Sprache bei der ARD haben diese Zahlen und Aussagen frei erfunden oder sie sind funktionale Analphabeten. In LEO-18 geht es um so genannte Alphabetisierungsstufen, die von Alpha-1 bis Alpha-4+ bezeichnet werden. Leute, die Alpha-1 erreichen, verbleiben auf der Ebene von Buchstaben und müssen, um Worte zu lesen und zu verstehen, die Buchstaben durchgehen. Leute, die Alpha-2 erreichen, meistern die Wortebene, scheitern aber am Satzverständnis. Leute, die Alpha-3 erreichen, können Sätze erfassen, haben aber mit größeren Satzansammlungen Probleme. Leute, die in LEO-18 in die Kategorie Alpha-4 eingeordnet sind, haben kein Lese- aber ein Schreibproblem. Sie schreiben auffallend fehlerhaft, selbst einfache Worte fallen ihnen zum Opfer.
Die 17 Millionen Deutschen, von denen in der ARD die Rede ist, die “auf Vierte-Klasse-Niveau oder schlechter” lesen UND schreiben sollen, setzen sich somit aus 6,2 Millionen Deutschen zusammen, die Probleme bei Wort- und Satzverständnis haben und Leuten, die diese Probleme nicht haben, aber auffallend fehlerhafte Rechtschreibung betreiben. Das hat mit dem Niveau einer vierten Klasse nichts zu tun. Die von 16,8 auf 17 Millionen gerundeten Deutschen, von denen die ARD-tagesschau fabuliert, sind in der behaupteten Weise nicht vorhanden. Entweder man hat sie bei der ARD-tagesschau frei erfunden, ist nicht in der Lage, den Sinn von wenigen Absätzen auf den Seiten 15 bis 16 zu erfassen, was die Redakteure dann zu Alpha-1 bis Alpha-3 Analphabeten machen würde oder die Leute bei der ARD leiden an Dyskalkulie, sind nicht in der Lage, Zahlen korrekt zu addieren.
Ganz davon abgesehen, sind die 16,8 Millionen Alpha-1 bis Alpha-3 und Alpha-4 Ergebnis einer Hochrechnung und somit mehr oder weniger das Ergebnis einer Schätzung, die vermutlich ebenso falsch ist wie die Aussage der einfachen Redakteure der ARD, von denen man annehmen muss, dass sie mit der Schaffung eines neuen Kinderkanals die eigenen Statusinkonsistenzen auszugleichen versuchen, der eigenen intellektuellen Absturzangst entgegen zu wirken versuchen.
Vergeblich, wie sich zeigt.
Bleiben wir noch etwas bei LEO-18 und berichten, wer diejenigen sind, die Verständnisprobleme auf der Ebene von Alpha-1 bis Alpha-3 haben. Es sind zunächst einmal mehr Männer (58,4%) als Frauen (41,6), ein lange bekannter Umstand, der in schulischen Nachteilen und schulischer Benachteiligung von Jungen, wie wir sie schon 2002 in der Zeitschrift für Pädagogik dargelegt haben, seinen Ausgangspunkt nimmt.
Konfundiert ist dieses Ergebnis mit dem Merkmal “Ausländer”, das man heute in Studien nicht mehr verwenden darf, ergo wird von Personen geschrieben, die Deutsch nicht als Herkunftssprache benutzen. Wenn man die Ergebnisse der LEO-18 Studie genauer analyisiert, sieht man zudem eine Häufung von Analphabeten bei bestimmten Alterskohorten. Das sind im Wesentlichen die Gastarbeiter-Kohorten, um deren sprachliche Integration sich niemand gekümmert hat.
Indes sind es nicht nur die Gastarbeiter, die dazu beitragen, dass der Anteil von Ausländern unter denen, die nicht in der Lage sind, einfache deutsche Sätze zu lesen und ihren Sinn zu erfassen unter Ausländern hoch ist, es sind auch die Neuankömmlinge seit 2015, die nun eben einmal da sind. Sie erhöhen den Anteil der iliteraten Ausländer (Vergleich LEO-18 mit LEO-10). [Lesehilfe, falls hier ein ARD-Redakteur mitliest: Links: 52,6% der funktionalen Analphabeten sind nichtdeutscher Herkunft; Rechts: 42,6% der Personen nichtdeutscher Herkunft erfüllen in LEO-18 die Anforderungen, um als funktionale Analphabeten gezählt zu werden.
Mit anderen Worten: Die einfache Sprache im neuen ARD-Kinderkanal zielt im Wesentlichen auf die “Neubürger”.
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Indes, es gibt in den LEO-Studien noch das ein oder andere Schmankerl, denn die einfachen Redakteure der ARD sind offenkundig auch erfasst:
Spannend, oder?
5,5% derjenigen, die in LEO-18 angegeben haben, einen hohen Schulabschluss erreicht zu haben, also ein Abitur oder die Fachhochschulreife, sind funktionale Analphabeten (Tabelle rechts); 16,9% aller funktionalen Analphabeten geben an, einen hohen Schlabschluss erreicht zu haben (Tabelle links). Mit anderen Worten: Es scheint in Deutschland möglich zu sein, ein Abitur oder eine Fachhochschulreife zu erreichen, ohne in der Lage zu sein, den Sinn von Wort-Aneinanderreihungen zu erfassen. Falls Sie sich fragen, wo die einfachen Redakteure der ARD herkommen – fragen Sie nicht weiter!
In den Zellen, in denen ein hoher Schulabschluss mit funktionalem Analphabetismus kombiniert wird, werden sich auch einige Ausländer finden, deren Schulabschluss in Deutschland nicht anerkannt wird und die offenkundig keine Notwendigkeit sehen, der deutschen Sprache mächtig zu werden. Aber diese Leute erklären nicht die erstaunliche Zahl funktionaler Analphabeten mit “hohem Schulabschluss”.
Bleibt noch abschließend die Frage, wie sich die einzelnen Variablen bei der Erkläung von “Literalität” verhalten, wie sich also Personen, die des Deutschen mächtig sind, von solchen, die funktionale Analphabeten sind, unterscheiden.
Lesen wir die Ergebnisse gegen den Strich: Funktionale Analphabeten sind überdurchschnittlich nicht deutscher Herkunft, sie sind mehrheitlich männlich, haben keinen oder einen Hauptschulabschluss, sind eher mittleren Alters (40-49; 2018) und erwerbstätig.
Das sind die Leute, denen die einfachen ARD-Redakteure mit dem folgenden Bullshit intellektuell unter die Arme greifen wollen…
Wofür LEO steht?
Falls es jemals eine Bedeutung jenseits von LEO gab, ist die seit Langem vergessen.
Die aktuelle LEO-Studie können Sie hier herunterladen.
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