Mutig nimmt Tom Sora in seinem Buch „Linke Intellektuelle im Dienst des Totalitarismus“ Stellung. Es ist eine Kampfansage an das bereitwillig von der Kunstszene über Jahre und Jahrzehnte akzeptierte Zerstören von Schönheit, Könnerschaft und Professionalität.

Mit umfangreichem historischem Wissen und Recherchen zeichnet Sora eine Entwicklung, die spätestens um 1900 immer mehr Fahrt aufnahm: die versuchte Umsetzung einer Gesellschaftsutopie, die sich nur noch kollektivistisch und damit als sehr homogen begreift. In realita jedoch Totalitarismus bedeutet.

Soras Fokus ist die damit einhergehende ideologisierte Ästhetik der – sich selbst so benennenden – Kunst-Avantgarde. Ein Begriff aus dem militärischen Kontext, der so viel wie Vorhut vor der Armee bedeutet.

Aufhänger ist für Tom Sora der US-amerikanische Avantgarde-Musiker John Cage (1912–1992). Sora selbst ist 1956 im kommunistischen Bukarest geboren und trägt von Kindesbeinen an die Erfahrung mit einem totalitären Regime mit sich. Später promovierte der Komponist und Musikwissenschaftler Tom Sora im Fach Ästhetik an der Sorbonne in Paris.

Saga des freiheitsliebenden Humanisten

Die Mitgestaltung an einer Radiosendung des bayrischen Rundfunks anlässlich des 100. Geburtstag von John Cage gab Sora die Gelegenheit, sich eingehender mit Cage zu beschäftigen. „Meine damalige Einstellung zu Cage war freundlich-wohlwollend und entsprach der allgemeinen Einstellung ihm gegenüber“, schreibt Sora in der Einleitung.

Erste Skepsis sei aufgekeimt, als er in Texten von Cage über dessen Mao-Verehrung erfuhr, welche auch nie revidiert wurde. Hervorragend strukturiert fächert Sora mit vielen Textquellen und Zitaten die Gedankenwelt von John Cage auf. Diese fand Ausdruck im Zerstörungswillen des Denkens und der Vernichtung der Kommunikation mit dem Publikum.

Die Professoren sollten laut Cage „nichts unterrichten“ und die Studenten „nichts lernen“. „Und so sollten auch die Künstler dem Publikum mit ihrer Kunst nichts mehr anbieten, was einem Inhalt gleichkommt“, beschreibt Sora die Haltung von John Cage.

Ziel sei für Cage die Abschaffung der Kultur und Funktionalität der liberalen westlichen Gesellschaft gewesen, um eine antiindividualistische, totalitäre Massengesellschaft zu errichten.

Faszination der „Kunst-Elite“ durch totalitäre Mythologien

Zugrunde liegt die Vorstellung einer binären Machtstruktur, also unterdrückte und unterdrückende Gruppen. Die alte marxistische These des dualen Klassenkampfes sei von den Neomarxisten in die „These der allgegenwärtigen ‚systemischen‘ Diskriminierung ‚aufgehoben‘“ worden, führt Sora aus.

So hätte die „ursprüngliche Grundthese des Kampfes zwischen den guten Ausgebeuteten und den bösen Ausbeutern auch in einer Gesellschaft, in der es im Allgemeinen keine oder keine wesentliche Ausbeutung mehr gab“ bewahrt werden können.

In einer der zahlreichen Fußnoten, die leserfreundlich immer direkt unter dem Text platziert sind, merkt Sora an, dass die Vermehrung der „diskriminierten“ Gruppen ein perfektes Instrument sei, um das Mehrheitsprinzip, Grundlage der Demokratie, auszuschalten. Im Namen des „Schutzes der Minderheiten“ würden die „Rechte“ dieser Gruppen, die proportional zur Gesamtbevölkerung manchmal unter 0,1 Prozent lägen, der Mehrheit diktatorisch aufgezwungen.

Unverständliche Kunstwerke zerstören den Kontakt zur Realität

Im ersten Teil seines Buches gibt Sora eine Zusammenfassung der Entwicklung der Avantgarde im 20. Jahrhundert vor dem Hintergrund der sozialistischen und kommunistischen totalitären Ideen. Dabei räumt er mit der Idee auf, Faschismus und Kommunismus würden sich diametral gegenüber stehen. Im Gegenteil, er bezeichnet sie als Zwillinge und führt das am Beispiel Tommaso Marinetti, dem Gründer des sogenannten Futurismus aus.

Dieser war langjähriger Kulturminister unter Mussolini und wurde vom marxistischen Denker Antonio Gramsci sehr geschätzt. Nicht zuletzt deshalb, da auch er die Destruktion der bürgerlichen Kultur und Gesellschaft vorantrieb. In seinem Manifest des Futurismus heißt es: „Wir wollen alle nur denkbaren Museen, Bibliotheken und Akademien zerstören …“

Sora gelingt es in gut leserlicher Sprache, die Komplexität dieser historischen Entwicklung abzubilden. Dabei spannt er an mehreren Stellen den Bogen zu heutigen gesellschaftlichen Phänomenen und beleuchtet deren Zusammenhang. Er bezeichnet es als „Hass auf die westliche Kultur“.

Um das, was in den 1960er-Jahren noch Theorie war, in der Realität unserer Gegenwart zu belegen, führt Sora manches Beispiel an, das einem ungläubig den Kopf schütteln lässt. So etwa das neu eingeführte Gesetz im Bundesstaat Kalifornien, bei dem Ware bis zu einem Wert von 950 Dollar aus einem Laden entwendet werden darf. Im Sinne des Gleichheitsprinzips ist dort das Stehlen straffrei.

Systematische Zerstörung von Erziehung und Wissensvermittlung

Immer wieder kommt er zurück auf das Beispiel John Cage. Dabei geht es vor allem um die Radikalisierung von Cage nach 1952, in dem er alles seiner Ideologie unterordnet. Sora macht immer wieder darauf aufmerksam, dass in den vielen Texten von Cage meist von einem nicht definierten „Wir“ die Rede ist. Dieses „Wir“ ist die Vorstellung einer homogenen, glücklichen Masse, die sich bildet, wenn alle Unterschiede eliminiert wären.

Daher strebt Cage die Abschaffung der Berufe, der Arbeitsteilung, des Wettbewerbs und alles Herausragendem an. Jegliche Hierarchie müsse eliminiert werden, „keine Note soll wichtiger als eine andere sein“. So schrieb Cage: „Was gebraucht wird, ist Verantwortungslosigkeit.“

Eine falsch verstandene Toleranz, die das Resultat eines kompletten Relativismus sei, führe im Normalfall zur Verantwortungslosigkeit und im Extremfall „zur heiteren Akzeptanz des Bösen“, konstatiert Sora.

Eines der bekanntesten „Stücke“ von John Cage ist das 4’33“. Ein „Musikstück“, welches aus nichts als vier Minuten und 33 Sekunden Stille besteht. Was isoliert von der ideologisierten Absicht Cages wie ein amüsantes Possenstück wirkt, offenbart in den Kontext gestellt die Ablehnung der eigenen Kultur. Sora bezeichnet es als einen Selbst- und Kulturhass.

Sich erschüttern lassen und nicht stehen bleiben

Die Gliederung in zahlreiche Unterkapitel ist für den Lesefluss sehr hilfreich und lässt den Schlussfolgerungen von Tom Sora gut folgen. Auch die Einordnung in den gesellschaftlichen Gesamtkontext ist interessant und mit einer Klarsicht, die zuweilen den Atem nimmt.

Allein der emotionsaufgeladene Ton, der sich vor allem an der Person John Cage des Öfteren entlädt, ist auf Dauer ermüdend. Das ist schade. Denn die vielfältig aufgeführten Textausschnitte und Zitate von John Cage sind in sich so absurd, dass es keines Kommentars bedarf.

Ja, es ist ein harter Brocken, dieser vorgelegte Band. Doch wer sich Zusammenhänge bewusst machen möchte und vor allem auch eigenen Denkfallen auf die Spur kommen möchte, sei das Buch wärmstens empfohlen.

Es wird sicherlich in seiner Kompromisslosigkeit auch manchen erschrecken. Doch braucht es genau diese klare Positionierung, um sich aus allzu bequemen Denkoasen, da gesellschaftlich abgesegnet, wieder auf den Weg zu machen und bei sich selbst aus-, um- oder neu zu sortieren. Und sich zu fragen, welchen Wert und Sinn Kultur und Kunst für einen selbst haben.

„Linke Intellektuelle im Dienst des Totalitarismus – Wie die Kunstavantgarde den Weg für die Woke-Bewegung bereitete – das Beispiel John Cage“, Tom Sora, Solibro Verlag, 24,- €




Source link

Von Veritatis

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert