Waren die Aufstände vor 500 Jahren eine linke Bewegung? Marxisten und Nazis, Ökos und Konservative eigneten sich die Bauernkriege später an. Ein Versuch, die Figur des Bauern zwischen Tourismus, Folklore und Ideologie zu erklären
Was ist ein Bauer? Allgemein gesprochen: Ein Mensch, der auf einem Territorium lebt, das zugleich sein Arbeitsfeld ist und der aus dem Boden – zum Teil durch Vermittlung von Nutztieren – Nahrungsmittel erzeugt, für sich und andere. Es gibt arme und reiche, mächtige und ohnmächtige, glückliche und verzweifelte Bauern. Eine „Klasse“ im engeren Sinn sind Bauern nicht. Gräbt man noch tiefer in der Wortgeschichte, so bedeutete „gebûre“ im Mittelhochdeutschen nichts anderes als jemand, der in Nachbarschaft mit anderen oder in einer lockeren Verbindung wie einem Dorf lebt. Verständlich, dass irgendwann aus dem Bauern ein „Landwirt“ werden musste, schon im 18. Jahrhundert, weg von der sozialen und hin zur profession
ionellen Beschreibung.Als Landwirte sollten Bauern schließlich Teil des Kapitalismus werden, dem sie die großen Konflikte ihrer Geschichte verdanken: Stets noch haben feudalistische und kapitalistische Kräfte ihre Machtkämpfe auf dem Rücken des „gemeinen Mannes“ ausgetragen, auf dem Land noch mehr als in der Stadt, und stets mussten die Aufstände dagegen am Ende daran scheitern, dass sich die neuen und die alten Kräfte der Unterdrückung miteinander verbünden. Und noch etwas passiert immer wieder: Politische Bewegungen von jetzt wollen sich in den Bauernaufständen von einst wiedererkennen, und dazu muss passend gemacht werden, was nicht passt. Die Marxisten, die Nazis, die Ökos, die undogmatischen Linken, die Konservativen und die Liberalen, schließlich die offizielle Geschichte in der DDR, sie alle haben versucht, sich wenigstens die Bauernkriege der letzten sechshundert Jahre anzueignen. Immer hat man „irgendwie“ recht, und immer stößt man bei näherem Hinsehen auf vehemente Widersprüche.Ursprünglich war der Bauer vor allem durch das charakterisiert, was er nicht ist. Nämlich ist er kein Adeliger, kein Bürger und später kein Proletarier. Obwohl natürlich Adelige auch Landwirtschaft betreiben, Bauern sich zunehmend verbürgerlicht haben und die Verlierer in den stetigen Kämpfen um Märkte, Erbschaft, Zinslast, Natur und staatliche Willkür sich in einem Zweig des Proletariats wiederfanden. Aber etwas anderes ist ein Bauer auch nicht: ein Sklave. Deshalb geht es bei allen Aufständen der Bauern stets um beides, um die ökonomische Existenz und die Freiheit.Placeholder image-3Das heißt, in gewisser Weise sind Bauern durchaus Sklaven ihres Standes; sie sind an ihr Territorium, das Land, das Vieh, den Jahreszyklus gebunden. Viele Bewegungen von Ausweichen und Aufsteigen, von Vervielfältigung und Kompensation, die sich die bürgerliche Klasse eroberte, sind den Bauern versagt. Dafür sind sie, was Bürgern längst vergangen ist, noch eher Herren ihrer selbst. Sie arbeiten im Rhythmus der Natur, nicht in dem der Fabrik und des Büros. Der Bauern-„Stand“ erlebt, oftmals innerhalb von zwei, drei Generationen, Prozesse enormer Auf- und Abwertung. Gerade noch mag sich eine Generation im Bewusstsein, den Rest des Volkes zu ernähren, mit Stolz und Genugtuung umgesehen haben, da leidet die nächste unter Markt-Restriktionen, Erbteilungen, Naturkatastrophen oder billiger Konkurrenz.Seit dem 19. Jahrhunder müssen Bauern immer auch Bauern-Darsteller seinEs liegt ein großer Ab- und Auswanderungsdruck auf dem Stand; die einen müssen in die Stadt, wo die glücklicheren von ihnen Bürger und die weniger glücklichen Arbeiter und Arbeiterinnen werden, die anderen müssen ihr Glück in den Kolonien oder sonstwo in der Welt suchen. Anders als ein Feudalherr hat ein Bauer sein Land nie schon immer und für immer, sondern stets nur, insofern die Arbeit seiner Hände, und die seiner Familie und seiner Knechte und Mägde, es erwirtschaften. Bauer-Sein heißt um das Land kämpfen, so oder so. Entsprechend instabil ist die „bäuerliche Gesellschaft“, der nur die Bürger unterstellen, besonders traditionsbewusst, „bodenständig“ und fest gefügt zu sein.Aber auch dies ist eine Konstante des Bauern-Standes seit der ökonomischen und politischen Verbindung mit den Gesellschaften der Vormoderne: Dass man so leicht selber auf das Bild hereinfällt, dass die Bürger sich von einem machen. Das begann nicht erst im 19. Jahrhundert, mit Tourismus, Folklore und Ideologie, nahm da aber schon groteske Züge an. Bauern müssen nun immer auch Bauern-Darsteller sein, für die Feriengäste, für die Politik, für das Fernsehen, für die eigene Interessenvertretung. Dass sie das „Volk“ sein sollen, von dem sich die Bürgerinnen und Bürger – gar als „liberale Elite“ – teils freudig, teils wehmütig abgewandt haben, dass sie leben, „wo die Welt noch in Ordnung ist“, das reden sie sich gern ein, während die Agrarindustrie boomt und die Höfe sterben. Dieses Bauern-„Volk“ hat es nie gegeben, so wenig wie es die Trachten, die „Sitten“, die Gebräuche gegeben hat, die man dann in die Mythen von „Blut und Boden“ oder in das Komödienstadel Oktoberfest gegossen hat.Placeholder image-2Was es indes gegeben hat, das war die Obrigkeit und die jeweilige Kirche. Und es war seit dem 15. Jahrhundert in Europa eine so prekäre Situation, dass es immer wieder zu Aufständen der Bauern kam. In aller Regel richteten sich diese Aufstände gegen eine ruinöse Behandlung durch die Feudalherren. Oft sind eine Abgabe- oder Steuerlast, die nicht mehr zu erwirtschaften war, ein plötzlich auftretender Mangel an Arbeitskräften (etwa durch Seuchen und Kriege), eine natürliche Katastrophe und der eine oder andere „Kulturschock“ beteiligt. Bauernaufstände sind oft Reaktionen auf ökonomische Modernisierungen und das Unrecht der Kostenverteilung darin.Es war der Aufstand der Verlierer gegen eine „Elite“. Am Ende kämpfte Bauer gegen BauerDie Aufstände der frühen Neuzeit richteten sich nicht zuletzt gegen das Prinzip der Leibeigenschaft. Aber in all den sozialen Kämpfen steckten immer auch religiöse Metaphern und Narrative; nicht zuletzt pflegte man im 16. Jahrhundert die geistlichen Anführer der Aufstände gern als „Ketzer“ zu verbrennen. Hunger, Ausbeutung, Krankheit und radikale Brüche in der religiösen Weltdeutung bildeten die brisanten Mischungen. Doch die Forderungen der Bauern waren ja zunächst ausgesprochen vernünftig und durchaus erfüllbar. Immer ging es um die Abgaben, um ungerechtfertigte Privilegien des Adels (die Herrschaft über den Wald und das jagdbare Wild) und um willkürliche oder willfährige Justiz.Im großen deutschen Bauernkrieg, dessen Beginn auf 1524 datiert wird, und der so wenig auf deutsche Lande wie auf den Bauernstand reduziert werden kann, spiegelte sich der Zusammenbruch einer Ordnung wieder: Es war ein Aufstand der Verlierer, der Bauern, der kleinen Bürger, des niederen Klerus und sogar des niederen Adels gegen eine „Elite“ in Staat, Grundbesitz und Kirche, die sich immer weiter bereicherte, während das Gros der Bevölkerung Entbehrung und Verlust erlebte. Aber die Aufständischen fanden schließlich zu keiner wirklichen Einheit, und am Ende dieses Bauernkrieges kämpften Bauern gegen Bauern, wurde der „gemeine Mann“, als Subjekt dieser Revolution, von den Einlagerungen des beginnenden Kapitalismus ausgetrickst. Wenn Theologen oder „fortschrittliche“ Bürger die Seiten wechselten, war es meistens um die Kraft des Aufruhrs geschehen.Die „Landvolkbewegung“ wurde zur Keimzelle des Nationalsozialismus auf dem LandBis in die jüngere Geschichte hinein waren es die Bauern, die als erste Opfer von Wirtschaftskrisen im Zuge der Konflikte zwischen Feudalismus und Kapitalismus rebellierten, und nicht erst in der Zwischenkriegszeit – etwa 1927 als schleswig-holsteinische „Landvolkbewegung“ – war der Aufstand mit restaurativen und reaktionären Elementen angereichert. Diese „Landvolkbewegung“ wurde zur Keimzelle des Nationalsozialismus auf dem Land, weil man so gekonnt die Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit mit völkisch-nationalistischen, antisemitischen und anti-parlamentarischen Memen verbunden hatte. Ganz losgeworden ist man solche Gespenster bis heute nicht.Die Modernisierungen der Nachkriegsgeschichte haben die Bauernschaft in Europa nicht nur quantitativ diminuiert. Nach einer großen Flurbereinigung und einem technisch-ökonomischen Strukturwandel begann etwa hierzulande, erst langsam, dann immer rascher das große Sterben der landwirtschaftlichen Produktion. Die Höfe mussten wachsen oder weichen, die Spekulation mit Pachtland entzweite die ländliche Gemeinschaft der „gebûre“, und das, was einmal dörfliche Kultur und Gesellschaft war, verwandelte sich in ein Nebeneinander von Agrarfabriken und Schlafstädten. Ein Bauerndorf als soziale Praxis des Miteinanders zu erhalten, wird immer schwieriger, manchenorts unmöglich.Das Einzige, das die Bauern noch zusammenhält, ist ihr Unmut über eine Politik, die immer zugleich zu viel und zu wenig tut, immer wieder Verlierer und Gewinner statt stabiler Verhältnisse hervorbringt. Auch Aufstände gegen die industrielle Zerstörung des Landes gehören dazu, nicht zuletzt Kämpfe gegen Atomkraftwerke.„Rechte“ wie „linke“ Erhebungen sind verbunden durch ein gemeinsames Empfinden: An die Stelle der einstigen Feudalherren, des hohen Klerus und der Steuereintreiber sind die Vertreter der urbanen Zentren, „die da oben“ (in Brüssel, Berlin oder sonst wo), die bürgerlichen Zentren getreten, die sich auf Kosten des „ländlichen Raums“ bereichern, die verachten und ausbeuten. Immer geht es um Ökonomie und um Wertschätzung. Und immer ist diese Verbindung ein verhängnisvoller Magnet für ideologische Projektionen.Placeholder image-1Die „Anführer“ der neuen Bauernaufstände sind in der Regel eher Grundbesitzer, Nachfahren der Feudalherren oder neue Agrarkapitalisten. Und wie in der „Landvolkbewegung“ mischen sich in die Proteste wohlfeile Töne der Rechtsextremisten, hängen sich politische „Hassprediger“ an die Revolte. Als wären „Ausländer“ und „Globalisten“ an den Krisen der Landwirtschaft schuld, als müssten Bauern staatlich unterstützt werden, weil sie deutsch, völkisch und konservativ sind, als müsste man seine politische Ohnmacht dadurch kompensieren, dass man mit einem besonders PS-starken und raumgreifenden Bulldogg die Bürger verschreckt.!—- Parallax text ends here —-!Es fällt schwer, in der Geschichte der Bauernaufstände eine konstante Bewegung von Freiheit und Widerstand zu konstruieren. Vieles von dem, was die Aufständischen früherer Zeiten forderten, würde den Anführern der Bauernproteste von heute als linksgrünversiffte Propaganda der liberalen Eliten erscheinen. Auch in den neuen Kämpfen von Feudalismus, Kapitalismus und Neoliberalismus kann den Bauern eines nicht gelingen: Eine Klasse zu werden.