Julian Assange ist vor kurzer Zeit in der australischen Hauptstadt Canberra angekommen, wo er von seiner Familie und Unterstützern erwartet wurde. Zuvor hatte er sich in den frühen Morgenstunden vor einem US-Gericht auf den Marianen in einem Punkt der Anklage gegen ihn für schuldig erklärt. Verurteilt wurde er zu 62 Monaten Haft, genau die Zeit, die er im Vereinigten Königreich auf 6 m² inhaftiert war. Er hat das Gericht dann als freier Mann verlassen und sich im von der australischen Regierung gecharterten Flugzeug auf den Weg nach Australien gemacht. Die NachDenkSeiten hatten gestern über diese plötzliche Wendung im Fall Assange berichtet. Von Moritz Müller.

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Im August letzten Jahres war es die US-Botschafterin in Australien, Caroline Kennedy, die die jetzt erfolgte Verständigungsvereinbarung als Möglichkeit erwähnte. Dies hatte wohl auch damit zu tun, dass die damals neugewählte Labour-Regierung die erste australische Regierung war, die sich aktiv für die Freilassung von Julian Assange einsetzte.

Es war nicht immer ganz klar, ob es sich bei den Forderungen von Premierminister Anthony Albanese nur um Lippenbekenntnisse handelte, aber anscheinend wurde der Fall Assange von der australischen Regierung wirklich vorangetrieben. Dies wiederum lag auch daran, dass eine große Mehrheit der Australier die Behandlung ihres Mitbürgers Assange als unmenschlich und unnötig betrachtete. Zu dieser Einstellung haben sicher auch die seit Jahren zunehmenden Solidaritätsbekundungen für Julian Assange beigetragen. Die Free-Assange-Kampagne ist weltweit aktiv und NachDenkSeiten-Leser und -Gesprächskreisteilnehmer und -organisatoren waren seit Jahren aktiv für Julian Assange und die Pressefreiheit auf der Straße. Dafür von mir als Medienschaffendem ein herzlicher Dank!

Es fühlt sich für mich immer noch surreal an, dass der 13 Jahre währende Albtraum von Julian Assange jetzt ein so schnelles Ende gefunden hat. Seit 2018 war er zunehmend von der Außenwelt isoliert. Die damals neue ecuadorianische Regierung hatte seine Internet- und Telefonverbindung in ihrer Botschaft gekappt und im Winter 2018/19 war ihm auch noch die Heizung abgedreht worden. Einige Monate, bevor der Rauswurf aus der Botschaft erfolgte, hatte man ihm sein Rasierzeug weggenommen, sodass der Welt im kurzen Film der Verschleppung aus der Botschaft ein ungepflegter Waldschrat präsentiert wurde, der allerdings immer noch laut „UK must resist!“ (Das Vereinigte Königreich muss Widerstand leisten!) rufen konnte.

Am Anfang der Inhaftierung im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh drangen noch sehr vereinzelt Fotos von ihm an die Öffentlichkeit, aber in den letzten Jahren war es, als sei Julian Assange in einem schwarzen Loch gelandet, isoliert auf 6 m², über 20 Stunden am Tag, mit streng reglementierten und unregelmäßigen Besuchen von Freunden und Verwandten. Wohlgemerkt: Julian Assange war die meiste Zeit in Belmarsh, bis auf die ersten 25 Wochen nur Untersuchungshäftling in Belmarsh. Am Anfang war es noch eine Haftstrafe für die Flucht ins Botschaftsasyl, die mit 50 Wochen Haft (25 Wochen wegen guter Führung) fast maximal bestraft wurde. Nun gibt es plötzlich auf allen Kanälen wieder Fotos von ihm, als aus der Versenkung Aufgetauchter.

Vor dem Prozessauftakt 2020 hatte Julian Assange nur lückenhafte Prozessunterlagen. Die Behörden schienen zu dieser Zeit die Covid-Kontaktbeschränkungen gerne gegen ihn zu nutzen. Auf der Besuchergalerie im Old-Bailey-Gericht waren nur 5 der 34 Plätze verfügbar, obwohl überall sonst die Besucherkapazität während der Lockdowns ca. ein Drittel der normalen Kapazität betrug. Drei dieser fünf Plätze waren dann auch noch die ersten eineinhalb Stunden der vierstündigen Anhörungen für VIPs reserviert. Nach einer Weile stellte sich heraus, dass es sich bei diesen VIPs um australische Botschaftsangehörige handelte, die aber in den 4 Wochen im September 2020 nie erschienen. Ich selbst war an 15 der 17 Prozesstage zugegen und habe auch keine Spur dieser VIPs gesehen. Der deutsche Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, hat damals in London in einem Interview gesagt, dass er sich bei Verhandlungen in der Türkei oder in Russland willkommener gefühlt hat als am Old Bailey in London.

Die offizielle Haltung der australischen Regierung änderte sich tatsächlich mit dem Antritt der neuen Labour-Regierung im letzten Jahr. Im April besuchte der australische Hochkommissar in Großbritannien Julian Assange im Gefängnis, auch das eine Premiere.

Seit Februar dieses Jahres schien sich auch die Einstellung der britischen Justiz zu ändern, und es mündete in der Zulassung einer Berufungsverhandlung vor dem High Court, die für den 9. und 10. Juli angesetzt war. Es ging am Ende nur noch um die rechtlichen Fragen, ob die freie Rede von Assange in den USA garantiert wäre und ob er als Ausländer bei einem Prozess in den USA benachteiligt würde. Es scheint, als wollte auch die britische Justiz plötzlich gut dastehen.

Es sah bei diesen zwei Berufungsgründen nicht gut aus für die Anklage, vor allem in den 17 Punkten, die sich auf das Spionagegesetz von 1917 bezogen. Für Julian Assange bestand aber die Gefahr, wegen des einen Anklagepunktes des Computereinbruchs doch ausgeliefert zu werden. Wahrscheinlich war das ein Grund, der jetzt eingegangenen Schuldeingeständnisvereinbarung (Plea Deal) zwei Wochen vor der Berufungsverhandlung zuzustimmen. Bei den Zuständen in Belmarsh, die Julian Assange in einem Brief an den britischen König Karl III beschrieben hatte, ist es kein Wunder, dass er dies getan hat. Ich finde es sowieso erstaunlich, dass Julian Assange die Jahre des Botschaftsasyls und im Gefängnis überhaupt überstanden hat.

In den USA hatten wahrscheinlich weder Biden noch Trump ein Interesse daran, dass ein eventueller Prozess gegen Assange in den Wahlkampf hineinfunkt. Einzig der Außenseiter John Kennedy Junior hatte sich wirklich für die Freilassung von Assange ausgesprochen. Das Weiße Haus hat auch jegliche Beteiligung an der jetzt ausgehandelten Vereinbarung abgestritten.

Dass Assange jetzt doch noch eine Schuld eingestehen musste, gibt seiner Freiheit einen bitteren Beigeschmack, der aber wohl zu verschmerzen ist. Das Schuldeingeständnis kann wohl auch nicht als legaler Präzedenzfall genutzt werden, denn der Fall wurde nicht vor einer Berufungsinstanz verhandelt. Das drastische Vorgehen der US-amerikanischen und der britischen Justiz ist sowieso abschreckend genug.

Laut einem Artikel in The Australian fragte Richterin Manglona Julian Assange, was er getan habe, um gegen das Gesetz zu verstoßen. „Als Journalist habe ich meine Quelle ermutigt, Informationen weiterzugeben, die als geheim eingestuft waren“, antwortete Assange. „Ich glaubte, dass der Erste Verfassungszusatz diese Aktivität schützte, aber ich akzeptiere, dass es ein Verstoß gegen das Spionagegesetz war.“

Assange fügte dann bezeichnenderweise hinzu: „Der Erste Verfassungszusatz stand im Widerspruch zum Spionagegesetz, aber ich akzeptiere, dass es angesichts all dieser Umstände schwierig wäre, einen solchen Fall zu gewinnen.“

Assange kam hier auf die wahrscheinliche Verfassungswidrigkeit des Spionagegesetzes von 1917 zu sprechen, da es den Besitz und die Verbreitung von Informationen des Militärs kriminalisiert, was im Widerspruch zu den Rechten eines Journalisten nach dem Ersten Verfassungszusatz steht, solches Material zu beschaffen und zu veröffentlichen. Mehr zu diesem Punkt findet man hier auf Englisch.

Laut diesem Bericht gibt es in der Vereinbarung zwischen Assange und den USA auch noch die Verpflichtung, dass WikiLeaks Dokumente von seiner Plattform löscht. Darüber berichteten aber laut Consortium News nur Al Jazeera und The Australian. Es ist unklar, warum dies so ist und welches Material dann gelöscht werden soll. Dies passt mit einem Tweet zusammen, der heute Morgen erschien, und der besagt, dass die DNC-E-Mails (Hillary Clinton) schon vom WikiLeaks-Server verschwunden sind. Ich kann die rund 42.000 E-Mails allerdings hier noch finden, zumindest heute Mittag. Wahrscheinlich wäre es gut, wenn sich möglichst viele Menschen Material vom WikiLeaks-Server herunterladen.

Es wäre schade, wenn Aussagen wie die, dass Assange Hillary Clinton im Wahlkampf geschadet habe, überdauern, ohne dass man auf die Primärquellen zugreifen kann, in denen es ja um handfeste Korruption und üble Machenschaften von Clinton geht. Die Demokraten hatten 2016 ja während der republikanischen Vorwahlen selber auf Trump gesetzt in Hoffnung, dass dieser gegenüber Hillary Clinton der schwächste Kandidat sei. Wie sich später zeigte, war dies eine Fehleinschätzung. Hier gibt es sicher Stoff für weitere Artikel.

Im Moment überwiegt bei mir die Freude, dass Julian Assange nun in Freiheit mit seiner Familie vereint ist und dass er die Tortur der letzten 13 Jahre überhaupt überlebt hat. Das war nämlich oft gar nicht so klar, denn es gab schon 2019 Berichte, in denen ein fürchterlicher (Gesundheits-)Zustand von Julian Assange beschrieben wurde. Im Oktober 2021 erlitt er zur Zeit der US-Berufungsverhandlung einen leichten Schlaganfall.

Ein großer Dank gilt allen Unterstützern, den Organisatoren und Teilnehmern der zahlreichen Mahnwachen in so vielen deutschen Städten und weltweit. Es haben sich auch viele Journalistenkollegen für Julian Assange eingesetzt, die sich nicht an der Rufmordkampagne gegen ihn beteiligt haben.

Nicht zuletzt seien Assanges Anwälte erwähnt, von denen seine Frau Stella, die „dienstälteste“ Jennifer Robinson und die legendäre Anwältin Gareth Peirce hervorstechen. Sie hat schon in den 1980ern den Guildford Four und den Birmingham Six zur Freiheit verholfen und sie hat den Ruf, dass sie niemals aufgibt.

Leider erleben der Journalist John Pilger, der Pentagon-Papers-Whistleblower Daniel Ellsberg, das Akademie-der-Künste-Mitglied Thomas Heise, Komponist Mikis Theodorakis und der langjährige Senior der Londoner Unterstützer, Eric Levi, die Freiheit von Julian Assange nicht mehr.

Die Erleichterung bei den anderen Unterstützern ist groß, obwohl viele die Ereignisse der letzten Tage noch nicht fassen können. Ich selber bin auch sehr froh, dass mein Einsatz der letzten 5½ Jahre ein Ende gefunden hat, mit dem man leben kann. Mein erster Beitrag zum Thema Assange auf den NachDenkSeiten endete mit den Worten: „Vielleicht gibt es ja eine Lösung, bei der alle Seiten einigermaßen ihr Gesicht wahren können und die Julian Assange endlich einmal wieder die Sonne auf sein Gesicht scheinen lässt. Wir werden weiter berichten. Die Zeit drängt.“ Diese Lösung hat sich jetzt gefunden, obwohl es doch noch Jahre gedauert hat.

Die Energie der Unterstützer kann nun auf andere Betätigungsfelder gelenkt werden, von denen es weltweit leider mehr als genug gibt. Julian Assange hat überlebt, während in Gaza, in der Ukraine und in weiteren Kriegen täglich Menschen sterben, deren Schicksal viel kleinere Wellen schlägt. Wahrscheinlich wurde Assange auch durch seine Prominenz gerettet, die wiederum daher rührt, dass er sich selber für die Leidenden eingesetzt hat.

Der Flug nach Australien hat Stella Assange zufolge US$ 520.000 gekostet, für die sie nun um Spenden bittet. Teil des jetzigen Deals war, dass Julian Assange keinen Linienflug benutzt. Anscheinend hat ein einzelner anonymer Bitcoin-Spender schon umgerechnet 500.000 $ gespendet.

Die NachDenkSeiten werden weiter zum Thema berichten. Es werden sicher noch einige interessante Informationen zutage treten, auch was das Verhalten der aktuellen Bundesregierung in diesem Fall betrifft.

Julian Assange und seiner Familie wünsche ich, dass sie sich erst einmal zusammen in Ruhe erholen können, und dass dies auch gelingt!

Titelbild: Screenshot/X/Wikileaks



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Von Veritatis

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