Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags tat sich Markus Söder vor allem durch Kalauer hervor. Axel Brüggemann analysiert, wie aus einem Ministerpräsidenten mit großen Ambitionen dieser Volkssöder wurde


Markus Söder liegt wie ein Insekt auf dem Rücken und fragt sich: „Was ist mit mir geschehen?“

Fotomontage: der Freitag, Material: istock, dpa


Als Markus Söder eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuer geilen Kerl verwandelt. Er lag auf seinem Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen Bauch, der viel kleiner war als sonst. Und vor seinen Augen flimmerten die Stoppeln seines silbernen Bartes, der ihm vorkam, als gehöre er George Clooney. Wenn er genau hinschaute, hatte sich in einer der Stoppeln noch der Käse eines BigMac verheddert.

„Was ist mit mir geschehen?“, dachte er. Es war kein Traum. Es war der Prozess einer langsamen Verwandlung. Markus Söder, der Ministerpräsident des Freistaates Bayern, hatte sich dieses Mal nicht in eine Karnevals-Figur verwandelt, in Ghandi, Shrek, Elvis oder den Kini. Nein, Markus Söder

ses Mal nicht in eine Karnevals-Figur verwandelt, in Ghandi, Shrek, Elvis oder den Kini. Nein, Markus Söder war endgültig zu jener Figur geworden, die er irgendwann einmal selber erfunden hatte, zu einem vollkommen fiktiven Charakter, der zunächst nur auf Instagram und TikTok zu leben begann, aber in den der Politiker ganz langsam immer weiter hineinrutschte – bis von seinem alten Ich nichts mehr übrig war.Markus Söder erhob bald jede Bühne zur Aschermittwoch-BühneAm Anfang hatte Markus Söder seine Verwandlung noch bewusst vorangetrieben, ja, sie regelrecht inszeniert. Er wollte Kanzler werden. Und volksnah wirken. Einer, der Fleisch isst – so wie anständige Deutsche es eben tun. Einer, der Bier trinkt – so wie anständige Deutsche es eben tun.Ein Politiker, der seine Reden nicht aus parlamentarischen Höhen schwingt, sondern so, als würde er, der Markus, am Stammtisch neben uns sitzen: Beim Vereinskegeln oder auf der Fußball-Tribüne. Markus Söder hat natürlich keine Ahnung von Stammtischen, vom Vereinskegeln oder von Fußballtribünen – aber er spielte seine Rolle so gut, dass die Leute ihm das alles abnahmen. Und jeden Morgen, wenn Markus Söder erwachte, waren seine Popularitätswerte erneut gestiegen.Die Bühnen, auf denen Markus Söder sein eigenes Ich für den neuen Volkssöder verließ, waren zunächst die virtuellen Bühnen der sozialen Medien: Hier streifte er die absurdesten Rentier-Pullis über, hier aß er die perversesten Würstchen und hier tauchte er halb nackedei in irgendwelchen Seen ab. Irgendwann betrat der virtuelle Markus Söder dann auch die reale Bühne. Zunächst nur die Bühnen der Bierzelte an Aschermittwoch.Doch schnell stellte der neue Volkssöder fest, dass seine Aschermittwochsreden den Leuten gefielen, und schon bald ließ er keine Gelegenheit mehr aus, jede Bühne zur Aschermittwoch-Bühne zu erheben: erst die Bühnen seine Wahlkämpfe, dann Bühnen der Talkshows, die Bühne der tagesthemen-Interviews, und am Ende sogar die Bühnen des Bundesrates und des Bundestages. Es mag sein, dass Ronald Reagan, Wolodymyr Selenskyj und Arnold Schwarzenegger sich von Schauspielern zu Politikern verwandelt haben – bei Markus Söder fand dieser Prozess rückwärts statt.Die Entwicklung des realen Politikers zum Polit-Influencer nahm seinen LaufWolfgang Kubicki, Karl Lauterbach oder Claudia Roth wurden in ihren Politiker-Karrieren lediglich zur Karikatur ihrer selbst. Markus Söder aber erfand sich als Karikatur vollkommen neu. Die Entwicklung des realen Politikers zum Polit-Influencer nahm seinen Lauf.Damals wollte Markus Söder noch selber Kanzler werden. Aber als er diese Ambitionen aufgeben musste, weil sich die Realität für den vollkommen spaßbefreiten Friedrich Merz entschied, entschloss sich irgendeine Synapse in Markus Söders Körper, den Kindergeburtstag fortan mit vollem Rambo-Zambo eskalieren zu lassen: Den Bart, den er sich im Sommerurlaub stehen ließ, rasierte er einfach nicht mehr ab, und die Politiker-Anzüge ließ er immer öfter im Schrank hängen. Er war von jedem politischen Druck befreit und befand sich jenseits der realpolitischen Schwerkraft. Markus Söder fühlte sich plötzlich so schwerelos wie eine bayerische Marsrakete.Keine Polit-Spaßbremse wie Klingbeil, Esken und MerzDie Vollendung seiner Verwandlung fand an diesem Mittwoch bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags statt. Die Lage der Nation mag ernst sein und ja: Polit-Spaßbremsen wie Klingbeil, Esken oder Merz drücken das auch gern in ihren Reden aus. Markus Söder aber ist wild entschlossen, die Welt auch weiterhin durch Optimismus zu retten.„Liebe vergeht, Hektar besteht“, kalauerte Landwirtschafts-Lobbyist Söder da und amüsierte sich über die „Dutzmännerfreundschaft“, die sich zwischen Friedrich Merz und Lars Klingbeil „ganz zärtlich entwickelt“ habe. Söder freute sich kurz über die Lacher und erklärte dann, dass er da natürlich nicht mitmache. Seit wann kumpelt das Volk (zu dem der Volkssöder ja gehört) mit „denen da oben“: „Ich bleibe da bei meinem ‚Sie‘.“An diesem Abend ist Markus Söder glücklich und müde ins Bett gestiegen. Er wusste, er wird keine Nacht mehr in unruhigen Träumen verbringen. Das überlässt er in Zukunft uns.





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Von Veritatis

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