Das Ostberliner Rambazamba ist eine der außergewöhnlichsten Bühnen Deutschlands. Es wurde in den wilden 90er-Jahren gegründet und zieht auch prominente Künstler:innen wie Milan Peschel oder Angela Winkler an


Es gibt eine explizite Szene sexueller Gewalt. Wenig zimperlich wird im Stück auch mit Körperlichkeit umgegangen

Foto: Phillip Zwanzig


Das Rambazamba-Theater ist in einem Backsteingebäude in der Kulturbrauerei im Berliner Prenzlauer Berg beheimatet. Alle 35 Schauspieler*innen des Ensembles leben mit einer Behinderung. Aber wer bei inklusivem Theater an ein soziales Projekt denkt, der irrt sich. „Wir machen Theater. Unser Ensemble ist gelebte Vielfalt, radikale Gegenwart und Zukunftsversprechen zugleich“, sagt Jacob Höhne, der Intendant. Seine Mutter, Gisela Höhne, hat das Theater 1990 gemeinsam mit ihrem damaligen Mann, dem Regisseur Klaus Erforth, gegründet.

Das Rambazamba-Repertoire umfasst den Kanon von Sophokles bis Jelinek. Seit mehr als 30 Jahren ist das Theater Teil der Berliner Theaterszene und zieht immer wieder bekannte Namen, wie Leander Haußmann, Angela Winkler und Stefanie

Stefanie Reinsperger, an. Anfang Februar feierte Mord im Regionalexpress von Milan Peschel Premiere.Verfolgungsjagden und VorhängeWas macht das Rambazamba so besonders? Eines der Stücke, das im Moment auf dem Plan steht, ist Reizende Leute, diese Boulingrins (es brennt). Wenn man die Proben besuchte, konnte man erleben, wie das Ensemble zusammenarbeitet.Der Tag startet mit einer Verfolgungsjagd. Zwischen ockerfarbenem Samt, überdimensional großen Ballons und einem Luftmatratzensofa jagen sich die Schauspieler*innen gegenseitig über die Bühne. Dabei ruft die Regieassistentin Nummern auf, damit sie wissen, in welchem Schlitz des Vorhangs sie auftauchen und verschwinden müssen. Im gesamten Raum fügen sich verschiedene Szenen zur Gleichzeitigkeit eines Wimmelbilds zusammen. Im Zuschauerraum berät sich Regisseur Jacob Höhne mit der Dramaturgin. Die Choreografin versucht auf der Bühne die richtigen Bewegungen zu finden. Daneben werden Akkorde für einen noch ungeschriebenen Tango gesucht.Die mittellose Schmalzfleisch, gespielt von Rebecca Sickmüller, will sich parasitär bei dem superreichen Ehepaar Boulingrin (Juliana Götze und Leo Solter) einnisten und überwintern und findet sich unfreiwillig im sadistischen Spiel der beiden wieder. Es ist ein Stück über Zerstörungswut und die menschlichen Abgründe einer sich selbst langweilenden Bourgeoisie, das zugleich gesellschaftskritisch, komisch und beklemmend ist. Ganz im Zeitgeist von Filmen wie Parasite und Triangle of Sadness.Werkstatt und BühneDie Choreografin Sara Lu springt auf die Bühne. Sachte nimmt sie einen der Schauspieler, Tobias Kreßmann, an die Hand, der in zu großen Kreisen das Bühnengeschehen umrundet. Gemeinsam ziehen sie kleinere Kreise, wie in der Choreografie vorgesehen. Bei der nächsten Wiederholung scheint er die Korrektur wieder vergessen zu haben, Sara Lu greift aber nicht noch einmal ein. Wenn sie ihn konstant korrigiere, erzeuge sie einfach nur Stress. „Ich werde es ihm einfach dreimal zeigen. Ich kenne Tobi, bei der Probe in drei Tagen wird er es dann wahrscheinlich richtig machen!“, sagt sie auf Englisch. Sichtlich frustriert ist Jacob Höhne an diesem Tag, als Rebecca Sickmüller ihre Einsätze verpasst oder eine Textzeile ein wenig unkonzentriert runterrattert. „Rebecca, kannst du auch mal spielen?“, ruft er ihr vom Zuschauerraum zu. „Okay“, antwortet sie trocken.Das RambaZamba arbeitet seit weit über 30 Jahren als professionelles Theater. Seit 2007 ist es den Schauspieler:innen möglich, ihre Tätigkeit als Beruf auszuüben. Die VIA-Werkstatt, eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung, richtete damals Arbeitsplätze für Schauspieler:innen ein. Vorher mussten sie zusätzlich zu ihrer Tätigkeit am Theater Arbeit in einer Werkstatt leisten. Obwohl die Beschäftigung über das Werkstattsystem einen professionellen Arbeitsstatus ermöglicht, stehen die Werkstätten in der Kritik mancher Behindertenverbände, da das durchschnittliche monatliche Entgelt gerade mal bei 232 Euro liegt. Hinzu kommt allerdings noch die Grundsicherung.Zwischen Werkstatt und Bühne Auch Jacob Höhne kennt diese Kritik, findet es jedoch wichtig, dass das System in seiner Komplexität dargestellt wird. Alle Schauspieler*innen fest anzustellen, sagt er, würde für das Theater untragbare Kosten bedeuten. Die Werkstatt organisiere auch die Betreuung der Schauspieler*innen und stelle Assistenz zur Verfügung. Diese Strukturen müsste andernfalls das Haus selbst schaffen, um dem Unterstützungsbedarf aller Schauspieler*innen gerecht zu werden, oder es müsste von ihnen selbst organisiert werden.Höhne erzählt, dass ungefähr zehn der Schauspieler:innen selbstständig genug wären, um auf die Betreuung durch die Werkstatt verzichten zu können. Bisher haben bereits zwei Schauspieler:innen eine Festanstellung am Haus. Denjenigen, die sich selbst organisieren können, ermöglicht das mehr Flexibilität. Wenn sie beispielsweise früher mit dem Proben fertig sind, können sie einfach nach Hause gehen, bei der Anstellung in der Werkstatt muss diese hingegen garantieren, dass die Betreuungszeiten eingehalten werden. „Ich kämpfe dafür, dass wir das Geld bekommen, um für alle, die es sich wünschen, solche festen Stellen auch realisieren zu können.“Vorbild Florentina HolzingerSchauspieler*innen, die am Rambazamba arbeiten, machen erst mal ein Praktikum, bevor sie fest ins Ensemble aufgenommen werden. Für viele ist es ein Traumjob. So auch für die Hauptdarstellerin des Stücks, Rebecca Sickmüller. „Ich wollte genau das werden, was meine Lieblingsstars sind. Wie Cariba Heine, von H2O!“ Die australische Serie lief hier unter dem Titel Plötzlich Meerjungfrau. Sickmüller ist Mitte 20 und seit 2019 am Theater. Dafür ist sie aus Thüringen nach Berlin gezogen. Inzwischen war sie aber auch in dem Film Servus Papa, See You in Hell von Christopher Roth zu sehen. Und an der Berliner Volksbühne in Ophelia’s Got Talent von Florentina Holzinger.„Es ist nach wie vor mein Lieblingsstück!“, sagt Rebecca Sickmüller nonchalant. In Ophelia’s Got Talent sei sie – wie alle anderen Darstellerinnen – ganz nackt auf der Bühne gewesen. Doch auch Reizende Leute, diese Boulingrins (es brennt) geht nicht zimperlich mit Körperlichkeit und Sexualität um. In Verbindung mit dem Thema Behinderung ein Tabubruch.Auf der Bühne trägt das Dienstmädchen, gespielt von Sascha Perthel und Tobias Kreßmann, eine Puppy-Maske, wie man sie aus Fetischclubs kennt. Außerdem gibt es eine explizite Szene sexueller Gewalt, in der Madame Boulingrin Schmalzfleisch missbraucht, während sie sagt: „Fick mich, kleine Fotze“. Mit dabei: ein unterarmgroßer Dildo. Im Gegensatz dazu wirkt die Gewalt im Rest des Stückes harmlos. Schmalzfleisch wird erniedrigt, mit der Flasche geschlagen, verprügelt. Man sieht Menschen mit Behinderungen selten in solchen Rollen. Dabei liegt in dieser Darstellung auch viel Freiheit. „Ich habe das an meinem ganzen Körper gespürt“, sagt Sickmüller. „Und ich finde es eigentlich schon interessant, dass man das nachspielen kann.“Die Utopien der 1990erIm Probenraum ist eine Realität der Inklusion selbstverständlich, die rechtsextreme Kräfte gerade wieder aktiv bekämpfen. Gisela Höhne, deren älterer Sohn Moritz Höhne auch Mitglied des Ensembles ist, schreibt in ihren Memoiren Dann mit RambaZamba: Theater und Leben zwischen Tiefen und Höhen (2024), dass das Theater in der „Zeit der Utopien“ gegründet wurde. „In all der wunderbaren Anarchie herrschte größtmögliche Offenheit allem bisher nicht Gedachtem gegenüber.“Während in den Nachwendejahren viele DDR-Bürger*innen mit den Umbrüchen des Systemwechsels zu kämpfen hatten, florierte in Berlin, gerade im Osten der Stadt, die alternative Kultur- und Hausbesetzerszene. Inklusion spielte damals noch eine viel geringere Rolle im gesellschaftlichen Diskurs, heute ist sie eine zentrale Forderung für eine gerechtere Gesellschaft.Wer die Zeit der Utopien sucht, blickt trotzdem lieber ins Berlin der 90er-Jahre als in jenes der Gegenwart. Gerade wird die Inklusion von der AfD wieder in Frage gestellt. Zudem bedrohen Kürzungen und Einsparungen im Kulturetat der Stadt mehrere Orte der freien Theaterszene wie das Rambazamba, das jährlich eine Förderung von 1,5 Millionen Euro bekommt, von denen 2025 30.000 Euro gekürzt wurden.Neue Verteilungskämpfe und Italoschlager Die Utopie für das Rambazamba wäre, einen besser ausgestatteten Etat zu haben als im Moment, um die Arbeitssituation und die Strukturen überhaupt in eine Situation zu bringen, wo nicht ständig geschaut werden müsse, wie man sich selbst überhaupt erhalten kann, meint Höhne. Er sei aber nicht zynisch geworden, sondern begegne dem Thema mit Realismus. Es stünden jetzt neue Verteilungskämpfe an, in denen es erst mal darum gehe, überhaupt zu sichern, was schon da ist.So diszipliniert die Proben ablaufen, so sehr sind sie von Heiterkeit geprägt, auch wenn noch einiges hakt und ruckelt. Im Playback soll in einer Szene der Klassiker Felicità im Hintergrund spielen, während die Schauspieler*innen dazu tanzen und lipsyncen. Statt der schmissigen Akkorde des Liedes dröhnt Werbung aus den Lautsprechern. „Wir müssen aufgrund der Sparvorhaben jetzt einfach drei Werbespots pro Stück spielen“, witzelt Jacob Höhne.Milan Peschel freut sichAls das Playback dann doch endlich läuft, wirft sich der Schauspieler Sascha Perthel in die Musik, beginnt zu twerken, wirft den anderen laszive Blicke zu und reibt sich an seinem Kollegen Tobias Kreßmann. Im Zuschauerraum, wo an diesem Tag nur die Technik, Dramaturgie und Regie sitzen, herrscht eine Fröhlichkeit, die von dem überschwänglichen Italo-Schlager nur unterstrichen wird. Perthel gelingt es auch Wochen später, bei einer der Aufführungen des Stücks, das Publikum für sich einzunehmen. Die Zuschauer*innen hocken im Rambazamba-Theater nicht auf roten Samtsesseln, sondern auf Plastikstühlen im oberen Stock eines Gebäudes in der Kulturbrauerei. Passend dazu: Sneaker und Hoodie statt Hemd und Anzugschuhe.Die Riesenballons, die bei der Probe noch unbeteiligt auf der Bühne lagen, schleudert Perthel jetzt mit Verve in den Zuschauerraum. Die Zuschauer*innen lassen sie wieder zurückbouncen. Einen nach dem anderen. Gelächter ertönt, steckt andere an, breitet sich aus. „Das könnte man jetzt auch eine Stunde lang machen“, flüstert der Schauspieler und Regisseur Milan Peschel, der zu dem Zeitpunkt für sein eigenes Stück am Rambazamba probt und im Publikum sitzt. Es wirkt an diesem Ort alles ein wenig unbekümmerter, etwas punkiger als in anderen Theatern. Einen Hauch Anarchie scheinen sie sich bewahrt zu haben.Theater RambaZamba Reizende Leute, diese Boulingrins (es brennt) Regie: Jacob Höhne, nächste Termine: 15. Mai und 16. Mai 2025, 19.30 Uhr



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Von Veritatis

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