Wenn wir eine gute Friedenspolitik wollen, braucht es eine starke Zivilgesellschaft. Die aber entsteht nicht von allein


Das Misstrauen der Union gegen NGOs ist eher kontraproduktiv

Illustration: der Freitag


Wir stehen an einem Scheidepunkt zwischen Krieg und Frieden. Ein gewaltfreies Miteinander ist nicht nur zwischen Staaten, sondern auch unter den Bürger:innen vieler Gesellschaften gefährdet. Dabei können politische Strategien zur Verteidigung des Friedens und des demokratischen Pluralismus kippen und Krieg und Autoritarismus befördern. Um diese Gefahren einzuhegen, braucht es politische Klugheit.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine wird Friedenssicherung von den liberalen Staaten des Westens als militärische Verteidigung des Völkerrechts praktiziert. Dahinter steht die Auffassung des Völkerrechts als Friedensordnung. Diese gelte es, bei Verletzung – wie dem russischen Angriffskrieg – selbst unter Einsatz massiver militärischer Mitt

scher Mittel zu verteidigen. Die aktuelle Aufrüstung soll die entsprechenden Fähigkeiten erreichen.Militärische Abschreckung mag imperialistischen Staaten die Lust an Angriffskriegen nehmen. Sie muss allerdings klug ausgestaltet werden, um sich nicht in ein Mittel der Kriegstreiberei zu verkehren. Selbstkritik ist gefragt. Im Verhältnis zu Russland muss es darum gehen, endlich das Entweder-Oder von Militär und Diplomatie zu unterlaufen – um die Gefahren einzuhegen, von denen ein allein militärisches Denken allzu leicht eingeholt werden kann: dass die wechselseitigen Drohgebärden aus dem Ruder geraten und den ganzen Kontinent in einen Krieg ziehen, den „eigentlich“ niemand gewollt hat.Plurale PerspektiveGesellschaftlich kann die Friedenspolitik eines selbstkritischen Aufrüstens nur von einer demokratischen Friedensgesellschaft geleistet werden: in öffentlichen Auseinandersetzungen, in denen aus pluraler Perspektive die besten diplomatischen und militärischen Praktiken der Friedenssicherung ausgelotet werden. Kluge Friedenspolitik ist in die Förderung eines demokratischen Miteinanders verzahnt.In Deutschland wird angesichts eines verstärkten Misstrauens gegenüber der Demokratie auf die Förderung von Organisationen aus der Zivilgesellschaft gesetzt, die sich öffentlich für Demokratie und Pluralismus engagieren. Zu nennen ist insbesondere das Programm „Demokratie leben!“ des Familienministeriums mit einem aktuellen Fördervolumen von 182 Millionen. Staatliche Maßnahmen zur Demokratieförderung können allerdings nach hinten losgehen und autoritären Bewegungen in die Hände spielen.Problematisch sind politische Einseitigkeiten bei der Förderung. Hinweise auf fehlende Ausgewogenheit bei der Mittelvergabe lieferte die FAZ neulich in einem Artikel. Evaluationen des zuständigen Ministeriums hätten eine sehr hohe Förderung von Projekten zu „Rechtspopulismus“ und „Rechtsextremismus“ gegenüber einer um ein Vielfaches geringeren Förderung von Projekten zu „Islamismus“ und „linker Militanz“ festgestellt.Gefährdungen von links und rechtsEinen Vorgeschmack von autoritären Gegenreaktionen auf Schieflagen bei der Demokratieförderung gab die Kleine Anfrage „Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ der CDU/CSU-Fraktion Ende Februar. Die Zwillingsparteien reagierten damit auf die Massenproteste gegen ihr Klüngeln mit der AfD bei der Migrationspolitik, zu denen unter anderem NGOs wie Omas gegen Rechts, Attac oder Campact aufgerufen hatten. In ihrer Anfrage übernehmen CDU und CSU die Strategie autoritärer Bewegungen, die kritische Zivilbevölkerung zu diskreditieren. Sie greifen die Vorstellungen von den NGOs als einem Deep State auf, der ohne demokratische Legitimation staatlich finanziert linksliberale Politik mache. Zugleich verlangen sie von den NGOs politische Neutralität.In der aktuellen Situation muss es darum gehen, Polarisierungen bei der Demokratieförderung einzuhegen, um die Weichen für eine alternative Entwicklung zu den USA zu stellen. Kluge Demokratieförderung verlangt eine Doppelstrategie. Widerstand ist gegen alle autoritären Versuche wichtig, die kritische Zivilgesellschaft einzuschüchtern. Dazu gehört, die Neutralitätsforderung an NGOs zurückzuweisen.Die Verfassung verlangt Neutralität nämlich allein von der Exekutive, nicht jedoch von Organisationen der Zivilgesellschaft. Zugleich muss es jetzt aber auch darum gehen, politische Ausgewogenheit und Transparenz bei der staatlichen Förderung demokratisch engagierter NGOs zu erreichen. Nur wenn die Gefährdungen von rechts und links reflektiert und angegangen und Brücken zwischen links und rechts gebaut werden, hat die pluralistische Demokratie eine Zukunft.Zu gewinnen ist ein Leben in Frieden und Freiheit: in gewaltfreien Auseinandersetzungen mit all den Mitbürger:innen, die man im Zweifelsfall noch nie mochte – unter anderem, um im Dialog mit ihnen zu lernen, wie sich Frieden mit Russland unter Nutzung aller militärischen und diplomatischen Mittel anbahnen lässt.



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Von Veritatis

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