Dass Chemnitz europäische Kulturhauptstadt 2025 ist, soll auch ins Umland wirken. Die Werke des Skulpturenpfads „Purple Path“ durch 38 Kommunen bilden ein großes, kostenfreies Museum. Sie sollen dort auf Dauer bleiben und wirken


Olaf Holzapfels Werk „Zwei in einander Gewobene“ auf der Dittersdorfer Höhe erinnert an die Landesvermessung Sachsens im 19. Jahrhundert

Foto: Maurice Weiss


Schanghai, London, Venedig – die bunten Skulpturen von Jeppe Hein sind auf der ganzen Welt verteilt. Eine davon steht nun auch 14 Kilometer vom Chemnitzer Stadtzentrum entfernt, am Bahnhof in Jahnsdorf im Erzgebirge, wo rund 5.500 Menschen leben. Wie eine kleine Achterbahn winden sich die knallblauen Aluminium-Streben und laden zum Sitzen, Rutschen, daran Hängen und darauf Herumknutschen ein. Heins „Soziale Bank“ ist Teil des Purple Path, einem Kunst- und Skulpturenpfad in Chemnitz und 38 umliegenden Kommunen, eines der Großprojekte im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres 2025. Am vergangenen Wochenende war offizielle Eröffnung.

Die Idee ist so simpel wie genial: Rund um eine Stadt, die weltweit für die überdimensionale Portraitbüste von Karl Mar

tjahres 2025. Am vergangenen Wochenende war offizielle Eröffnung.Die Idee ist so simpel wie genial: Rund um eine Stadt, die weltweit für die überdimensionale Portraitbüste von Karl Marx bekannt ist, entsteht ein kostenfreies Museum im öffentlichen Raum. Das Motto „Alles kommt vom Berg her!“ bestimmt die genutzten Materialien: Erz, Nickel, Kupfer, Schiefer, Holz, Stein und Licht. Im Jahr 1168 wurden erste Silberfunde bei Freiberg entdeckt, bis zum Dreißigjährigen Krieg weitere Bergstädte gegründet. Holzbearbeitung, Spitzenklöppelei und Spielzeugherstellung entwickelten sich später als Ersatzgewerbe.Placeholder image-1Zeitgenössische Kunst langfristig im öffentlichen Raum im Umland von Chemnitz zu verankern, ist eine Herausforderung. Wie das geht, das wusste auch Kurator Alexander Ochs zunächst nicht. Früh hat er die Bürgermeister:innen der Kommunen an einen Tisch geholt, seine Ideen vorgestellt, zur Mitwirkung eingeladen. „Natürlich gab es kontroverse Diskussionen und auch Unverständnis“, gibt Ochs zu, „aber das erleben wir in Berlin und an anderen Orten genauso.“ Die meisten Werke wurden von der Chemnitz 2025 gGmbH aus Mitteln von Bund, Freistaat Sachsen und der Stadt Chemnitz finanziert. Die Kommunen übernehmen jeweils Installation, Transport, Versicherung und, wenn nötig, die Pflege der Kunstwerke – in Zeiten knapper Kassen bedeutet jeder Euro echtes Commitment.Zwönitz: Licht und Nylon verbinden Bergbau und TextilfabrikWolfgang Treibert (CDU) ist seit 17 Jahren Bürgermeister von Zwönitz, einer Kleinstadt mit 12.000 Einwohner:innen und acht Ortsteilen. Er war sofort von der Idee begeistert: Schon seit Juni 2023 schweben über einem kleinen Mühlenteich vier Designlampen aus den 1960er Jahren, überzogen mit verschiedenfarbigen Nylonstrumpfhosen. Color Floating heißt das Werk von Nevin Aladağ, die an der Dresdner Kunsthochschule eine Fachklasse für Skulptur in Bewegung leitet.Sie hat die Arbeit schon an vielen Orten gezeigt, doch für Zwönitz scheint sie wie gemacht: Licht war für Bergleute ein Zeichen der Hoffnung und Orientierung, erleuchtete Schwibbögen stehen bis heute dafür. Im Ortsteil Dorfchemnitz werden zudem seit über 100 Jahren Textilien gefertigt. In der DDR firmierte diese Produktion unter der Marke „ESDA“. Der Standort überlebte nach 1990, weil die Angestellten den Kontakt zu einer Unternehmerfamilie im Sauerland aufnahmen – heute steht hier die Falke Strumpffabrik.Placeholder image-3Kurator Alexander Ochs hat die Entwicklung nachMaueröffnung und Wiedervereinigung im Osten Deutschlands kaum verfolgt, er war damals viel in China unterwegs. Die Dimensionen der sogenannten Wende sind ihm nun erst bewusst geworden: der Verlust von Arbeitsplätzen, der Verlust kultureller Identität. „Ich sehe den Purple Path als eine Möglichkeit, gemeinsam eine Perspektive für die Region zu entwickeln“, so Ochs. „Ich will es nicht zu hoch hängen, aber wir erleben in einzelnen Kommunen Aspekte der Heilung, eine Ausheilung von Konflikten.“ Die meisten Beiträge sind Modifikationen bestehender Werke und Ideen. Die jüngste Geschichte der Region schwingt mal mehr, mal weniger mit.„Purple Path“: Auch ostdeutsche Künstler sind dabeiStollberg. Auf einem Berg steht das ehemalige Frauengefängnis Hoheneck. Wie eine silbern glänzende Kette aus feinen Gliedern steht die etwa zwei Meter hohe Skulptur Bogen der 1977 in Pristina/Kosovo geborenen und heute in Düsseldorf lebenden Künstlerin Leunora Salihu auf der einstigen Hundelaufbahn. Seit dem 17. Jahrhundert diente das Jagdschloss als Untersuchungsgefängnis und schließlich als Zuchthaus. Nach Gründung der DDR wurde Hoheneck zu einem der größten Frauengefängnisse. Unter den Inhaftierten befanden sich politische Gefangene. Oft reichte ein Ausreiseantrag, um zur „Hoheneckerin“ zu werden. Sie arbeiteten im Akkord und stellten Strumpfhosen und Bettwäsche her, die in den Westen verkauft wurden. Isolation und Dunkelhaft waren an der Tagesordnung. Salihus Skulptur erinnert an ein schmales Tor – führt es hinaus aus dem Gelände oder hinein in den Schrecken der Geschichte?Placeholder image-2Nicht alle Werke sind so passgenau, die Namen der Künstler:innen dafür umso klangvoller: Tony Cragg, Sean Scully, Leiko Ikemura oder Richard Long spielen in der obersten Kunst-Liga. „Wir haben die Weltkünstler dabei und die brauchen wir auch, um Menschen hierher zu bringen“, so Kurator Ochs. „Ich habe mich auch gefragt: Wer kommt von hier und hat Karriere gemacht?“ Da ist documenta-Teilnehmer Olaf Holzapfel, 1967 geboren in Dresden, 2017 Teilnehmer der documenta. Auf der Dittersdorfer Höhe zeigt er Zwei in einander Gewobene, eine 14 Meter hohe Fachwerkskulptur aus Holz, von der aus man kilometerweit schauen kann. 1869 fand die große Landesvermessung Sachsens statt, die „Königlich-Sächsische Triangulierung“ – einer der Vermessungspunkte war hier. Später wurden an solchen Punkten häufig Vermessungstürme aus Holz gebaut. Zur Eröffnung im Oktober 2024 kamen 500 Menschen: Kindergartenkinder haben gesungen und Schulkinder ein Loblied auf „Herrn Holzapfel“ gedichtet. Im benachbarten Landgasthof ist das Interesse am Werk seitdem deutlich spürbar.Noch sind es nur schlichte Schilder mit Name, Material und Werktitel, die an den Stationen auf den Purple Path verweisen, der wohl auch so heißt, um sich farblich von den typischen Wanderwegs-Markierungen abzuheben. Mehr Informationen gibt es beim Scannen der QR-Codes. Das ist zeitgemäß, hat jedoch ältere Besucher:innen wie Bewohner:innen nicht im Blick. Eine gedruckte Zeitung und eine Website stellen alle Werke vor, dazu gibt es kleine Flyer mit Hintergrundinfos, die die Kommunen individuell verteilen können.Der „Purple Path“ soll über 2025 hinaus bleibenDas Kulturhauptstadtjahr endet am 29. November 2025. Der Purple Path soll bleiben. „Im Rahmen des sogenannten Legacy Prozesses der Kulturhauptstadt wird aktuell daran gearbeitet, einen zukünftigen Rechtsträger als Nachfolgeorganisation der Chemnitz 2025 gGmbH für die Kunstwerke zu etablieren“, so Andrea Pier, die Kaufmännische Geschäftsführerin der Chemnitz 2025 gGmbH. Welche Effekte die Werke langfristig haben werden, bleibt abzuwarten und wird hoffentlich durch wissenschaftliche Befragungen begleitet.Placeholder image-4Nun ist das Engagement der Kommunen gefragt. Lößnitz zeigt, was ausgehend von der Idee alles möglich ist: Noch bis November zeigt die Hospitalkirche The Universe in a Pearl der 2024 verstorbenen Rebecca Horn. Ein rotierender Spiegel am Boden spiegelt sich in runden von der Decke hängenden Spiegeln, thematisiert die Unendlichkeit, die Verortung des Selbst. DieKirche, die zuletzt nur noch für Trauerfeiern genutzt wurde, hat für die Aktion Fördergelder erhalten, um erforderliche Baumaßnahmen durchführen zu können und will sich mittelfristig als Übernachtungsort für Pilger etablieren.Unter freiem Himmel stehen wenige Schritte weiter zwei große Porzellanskulpturen der Künstlerin Uli Aigner. Sie sind Teil ihres 2014 entwickelten Lebensprojekts One Million – so viele Porzellanvasen unterschiedlicher Größe will sie weltweit aufstellen, rund 8.000 sind es schon. Auf einer Weltkarte auf ihrer Website sind die Standorte verzeichnet. Hier in Lößnitz wurde 1708 eine Zeche für Kaolin begründet. So lieferte das Erzgebirge die Hardware für das Meissener Porzellan – Aigners monumentale Skulpturen wurden nun wiederum im chinesischen Jingdezhen, der Welthauptstadt des Porzellans und einstigen kaiserlichen Produktionsstätte der Ming-Dynastie gebrannt. Das rund 800 Kilogramm schwere Objekt brach während des Herstellungsprozesses in sich zusammen – in Lößnitz stehen nun der geglückte und der missglückte Brand in Sichtweite. Durch Vandalismus beschädigt wurde bisher keines der aufgestellten Werke am Purple Path.



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Von Veritatis

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