Die Sandhummel, ein unverzichtbarer Bestäuber, spielt eine zentrale Rolle für die Versorgungssicherheit der Ökosysteme. Doch durch Zersiedelung, Pestizideinsatz und den Klimawandel steht sie vor dem Aussterben
In Deutschland leben 33.300 Insektenarten – bis zu 30 Prozent könnten in den kommenden Jahrzehnten aussterben – auch die Sandhummel
Foto: Alan & Linda Detrick/Science Photo Library
Sie brütet in Moospolstern, Grasbüscheln, manchmal auch in verlassenen Mäusenestern: Die Sandhummel lebt in Völkern mit maximal 120 Individuen.
Mitte April schwärmt die bis zu 1,9 Zentimeter große Königin aus, um das neue Reich zu begründen, Anfang Mai machen sich die ersten, nur halb so großen Arbeiterinnen auf den Weg: Disteln und Flockenblumen sind wichtige Pollenquellen, versorgt werden müssen auch die Jungköniginnen und Drohnen, die erst spät im Sommer ausfliegen. Um dann – anders als Arbeiterinnen und Drohnen – zu überwintern und im kommenden April ein neues Volk zu gründen. Zumindest noch, wie die neue „Rote Liste“ in Baden-Württemberg zeigt.
Nahezu folgerichtig ist die Sandhummel in die Kategorie 1 der Roten Liste gerutscht: vom Aussterben bedroht
Fast 500 verschiedene Wildbienen- und Hummelarten leben im Ländle, ihre Lebensbedingungen haben sich aber in den vergangenen 20 Jahren dramatisch verschlechtert. „Fast jede zweite Art ist in ihrem Bestand gefährdet“, erklärt Ulrich Maurer, Präsident der Landesanstalt für Umwelt des Landes Baden-Württemberg. Der Anteil der vom Aussterben bedrohten Hummel- und Wildbienenarten hat sich seit dem Jahr 2000 fast verdoppelt.
Zum Beispiel die Sandhummel: Bombus veteranus braucht blütenreiche Wiesen und naturbelassene Weiden. Zu bekannten Problemen wie Überdüngung, Zersiedelung und dem Einsatz von Pestiziden kommt der Klimawandel, der die Lebensbedingungen verschlechtert.
Nahezu folgerichtig ist die Sandhummel in die Kategorie 1 der Roten Liste gerutscht: „vom Aussterben bedroht“.
Wärmeperioden werden extremer
In einer Langzeitstudie hat ein britisch-kanadisches Forscherteam die Entwicklung Dutzender Hummelarten in Europa und Nordamerika dokumentiert. Ergebnis: Ihre Anzahl ist massiv und flächendeckend zurückgegangen. Schuld seien längere und extremere Wärmeperioden, warnten die Biologen im Jahr 2020. „Wenn der Rückgang in diesem Tempo weitergeht, könnten viele dieser Arten innerhalb weniger Jahrzehnte für immer verschwinden“, erklärt Studienautor Peter Soroye von der Universität Ottawa. Das Team konnte nachweisen, dass das Verschwinden der Insekten mit dem häufigeren Auftreten von Wetterextremen wie Hitzewellen und Dürren zusammenhängt.
Hummeln sind als Bestäuber ähnlich wichtig wie Bienen. Weltweit werden fast 90 Prozent aller Blütenpflanzen von Insekten bestäubt, bei den Nutzpflanzen immerhin 75 Prozent. Als „Ökosystemdienstleistung“ bezeichnet die Wissenschaft diesen Aspekt des Insektenlebens, der ökonomische Nutzen der Bestäubung wird weltweit auf 153 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
Das Fehlen von Hummeln und Bienen ist für Mensch und Tierwelt ein Riesenproblem: Ohne Bestäuber gibt es keine Samen – und ohne Samen keine Früchte, von denen sich Singvögel oder Käfer ernähren, die wiederum für andere Arten wichtige Beutetiere sind. Ein Großteil der Obst- und Gemüsesorten weltweit hängt von Bestäubern ab, gerade diese Früchte versorgen die Menschheit mit lebenswichtigen Nährstoffen wie Vitaminen, Calcium und Folsäure.
Ohne Bestäuber gibt es keine Samen – und ohne Samen keine Früchte, von denen sich Singvögel oder Käfer ernähren
Baden-Württemberg ist jenes Bundesland, in dem es das heißeste Klima in der Bundesrepublik gibt und in vielerlei Hinsicht Vorbote: Lebte in den 1980er Jahren eine kleine Population von Gottesanbeterinnen rund um den Kaiserstuhl, so ist die ursprünglich aus Afrika stammende Fangschrecke heute in Berlin-Schöneberg etabliert. Erstmals fand man 2007 Eier der „Asiatischen Tigermücke“ auf dem Rastplatz Rheinaue an der A5, heute ist eine stabile Population rund um Jena nachgewiesen. Konnten Zecken früher nur ganz im Süden Borreliose-Bakterien oder FSME-Viren übertragen, so gilt seit 2019 auch das Emsland als Risikogebiet. Nicht einmal mehr die Hälfte der 43 Hummelarten in Baden-Württemberg lebt „ungefährdet“, die Samthummel beispielsweise gilt jetzt als „ausgestorben“.
Vorbote einer düsteren Zukunft
Der Wildbienen- und Hummelschwund ist nur Vorbote einer viel breiteren Aussterbewelle, warnen Wissenschaftler.
Schon sehr bald drohe ein regelrechter Kollaps der biologischen Vielfalt, erklärte 2020 ein internationales Forscherteam um Alex Pigot vom University College London. Für ihre Studie hatte es die Lebensbedingungen von mehr als 30.000 Arten sowie die Klimaverhältnisse von 1850 bis 2100 analysiert. Ergebnis: In den vergangenen Jahrzehnten seien viele Spezies näher und näher an ihre jeweilige Temperaturschwelle gerückt. Zwar hätten sich viele Arten gerade noch auf die neuen Verhältnisse einstellen können. In Kürze aber sei bei vielen gleichzeitig das Limit erreicht.
Bereits vor 2030 werde deshalb ein abruptes Massensterben in den tropischen Ozeanen einsetzen – und bis 2050 auch auf die tropischen Regenwälder und gemäßigte Breiten übergreifen.
Im neuen Koalitionsvertrag spielt engagierter Klimaschutz trotzdem keinerlei Rolle
In Deutschland leben schätzungsweise 71.900 Tier- und Pflanzenarten, darunter allein 33.300 verschiedene Insekten. Bis zu 30 Prozent davon könnten in den kommenden Jahrzehnten wegen des Klimawandels aussterben, konstatierte bereits 2008 ein Bericht der Bundesregierung.
Im neuen Koalitionsvertrag spielt engagierter Klimaschutz trotzdem keinerlei Rolle. Zwar hat der weibliche Teil der Sandhummeln einen Stachel – anders als die Männer, die Drohnen. Aber der wird auch nicht helfen gegen die Ignoranz von Merz, Klingbeil und Co.