Der Virologe Hendrik Streeck wechselt in die Politik und veröffentlicht zeitgleich dazu seinen ersten Thriller. „Das Institut“. Hier rechnet er mit dem Wissenschaftsbetrieb ab. Spoiler: Die Schreckmomente kommen erst in der zweiten Hälfte


Hendrik Streeck hat sich vor seinem Wechsel in die Politik noch als Schriftsteller probiert. Bekannt geworden ist er während der Corona-Pandemie

Foto: Kevin Frayer/Getty Images


Hendrik Streeck hat seinem Wissenschaftsthriller Das Institut ein Nachwort angefügt. Hier gibt er an, welche der Technologien und wissenschaftlichen Verfahren, die in seinem Buch auftauchen, wirklich existieren und welche frei erfunden sind.

Doch nicht alles so gefährlich und bedrohlich?

Ein bisschen will er uns wohl beruhigen, dass in der virologischen Forschung doch nicht alles so gefährlich und bedrohlich ist, wie es die Geschichte der Ermittlungen rund um den Tod einer jungen Wissenschaftlerin an einem Institut in Boston beschreibt. Letztlich bleibt es natürlich der Fantasie und dem Urteil des Lesers überlassen, einiges davon dennoch für möglich zu halten.

Im Nachwort erfährt man zudem, dass Streeck an dieser Geschichte eigentlich schon so lange arb

ichte eigentlich schon so lange arbeitet, wie er selbst in der Wissenschaft tätig ist. Was wiederum die Frage aufwirft, warum das Buch gerade jetzt, in dem Moment, in dem Streeck die Wissenschaft verlässt und in die Politik wechselt, fertig geworden ist und in den Buchhandel kommt.Die Antwort ist nicht schwer zu finden, wenn man bedenkt, dass Streecks Roman eigentlich drei Bücher in einem ist. Da ist zunächst die fiktionale Erzählung von einem offensichtlichen Selbstmord und von Vince Brickle, einem Ermittler, der trotz der klaren Indizienlage nicht aufhören will, den Fall aufzuklären. Brickle erscheint einiges an diesem Todesfall, dem Institut und seinen Forschungsprogrammen merkwürdig. Dieser Teil entwickelt sich recht allmählich und vorhersehbar, bevor er ab der Mitte Fahrt aufnimmt, weil der Ermittler Vorgängen im Institut auf die Spur kommt, deren Aufdeckung auch für ihn gefährlich wird. Zum Zweiten ist im Buch ein Sachbuch über virologische Forschung enthalten. Man erfährt viel über Arbeitsabläufe im Labor, wie Experimente durchgeführt werden und wie mühselig die Gewinnung wissenschaftlicher Tatsachen sein kann. Das mag für erfahrene Thriller-Fans langatmig werden, führt aber zum dritten, dem eigentlich brisanten Part in dieser Erzählung: eine kritische Darstellung des Forschungsprozesses und der Motivationen und Verhaltensweisen der beteiligten Wissenschaftler.Alltag in einem Forschungsinstitut: Missgunst, Konkurrenzdenken, gegenseitige SabotageDas Bild, das hier vom Alltag in einem Forschungsinstitut gezeichnet wird, dürfte vielen, die sich die Wissenschaft als kooperatives, diszipliniertes und ehrliches Arbeiten von wissbegierigen Idealisten vorstellen, nicht gefallen. Der Alltag an diesem Institut ist eher von Missgunst, Konkurrenzdenken, gegenseitiger Sabotage, Beschönigung eigener Ergebnisse und Betrug geprägt. Gegen das, was Streeck zwar fiktional, aber doch mit dem Anspruch, die Realität abzubilden, beschreibt, ist der Bericht von Bruno Latour und Steve Woolgar über das Leben im Labor und die Konstruktion wissenschaftlicher Tatsachen, die Ende der 1970er erschien und von Naturwissenschaftlern heftig kritisiert wurde, geradezu eine Idylle.Diese Kritik an der Wissenschaft könnte erklären, warum das Buch gerade in dem Moment erscheint, in dem Streeck die Forschung verlässt und in die Politik wechselt: Sein Buch ist vor allem eine schonungslose Beschreibung eines Betriebes, in dem es vor allem um Anerkennung und Karriere, auch um Macht, Geld und Einfluss geht. Eher am Rande geht es um zuverlässige wissenschaftliche Erkenntnisse, nämlich vor allem dann, wenn sie den anderen Zielen dienlich sind.Im Nachwort wechselt Streeck dann auch bereits in die Rolle des Politikers, wenn er darüber schreibt, wie die Situation zu verbessern sei: feste Stellen für junge Wissenschaftler, Sicherheit unabhängig vom Erfolg, ausreichende langfristige finanzielle Mittel – damit könne man den Missständen beikommen. Ob das wirklich helfen würde?Das Problem: Die Wissenschaft braucht ErfolgsgeschichtenLiegt das Problem nicht darin, dass vor allem die Naturwissenschaften und die mit ihnen verbundenen praktischen Disziplinen in der modernen Welt einen Nimbus der sicheren Erkenntnisproduktion aufgebaut haben? Hier ist der kurzzeitige Irrtum zwar erlaubt, aber es funktioniert nur, wenn alles – von der Urknalltheorie bis zur Virusgenetik – im Wesentlichen als sehr zuverlässiges, stabiles Wissen angesehen wird. Dies wiederum wird als Fundament für politische, ökonomische und medizinische Entscheidungen genutzt. Und für dieses Bild braucht es nun einmal Erfolgsgeschichten, die von methodischem Vorgehen berichten und zuverlässig immer neues Wissen hervorbringen.Irrtümer müssen schnell erkannt und korrigiert werden. Dass wissenschaftliches Arbeiten zum großen Teil mit Fehlschlägen, Misserfolgen, mit Tappen im Nebel verbunden ist, kann man zwar inzwischen in vielen wissenschaftshistorischen und soziologischen Arbeiten nachlesen, aber in der Wissenschaftskommunikation und in der Publizistik will weiterhin kaum jemand etwas davon wissen. Und solange das so ist, werden die Erfolgreichen die Anerkennung bekommen, und so lange wird mit dem Konkurrenzkampf, der Missgunst und den kleinen und großen Betrügereien, die Streeck schildert, nicht Schluss sein.Wen das alles weniger interessiert und wer lieber einen Thriller mit überraschenden Wendungen und Schreckmomenten lesen will, der sollte bis zur zweiten Hälfte durchhalten. Denn nach den wissenschaftlichen und soziologischen Darstellungen wird man belohnt. Am Ende wird zwar nicht jedes Rätsel gelöst, aber das Buch besticht nicht nur durch zahlreiche Informationen über die Forschung, sondern auch mit spannender Unterhaltung.



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Von Veritatis

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