Neue Romane von Ingar Johnsrud und Trude Teige verknüpfen Hochspannung mit aktuell brisanten Themen. Beide Thriller analysieren trotz des detaillierten Bezugs auf ihr Heimatland Norwegen universelle politische Verhältnisse
Die Bücher verbinden die Brutalität des Verbrechens mit der Aufklärung über politische und mediale Verhältnisse
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Auf der europäischen Landkarte des populären Thrillers ist Norwegen, das diesjährige Gastland der Leipziger Buchmesse, seit jeher ein Leser*innen-Hotspot. Jede*r kennt die Bücher von Jo Nesbø. Das Muster ist bekannt: Die Brutalität der individuellen Vergehen, die beispielsweise Nesbø detailliert schildert, ist nur die andere Seite der Brutalität der sozialen Verhältnisse, in denen die Geschichte spielt.
Roman „Echokammer“ : Ingar Johnsrud ist kein Unbekannter im Thrillergenre
„In der ganzen Geschichte des Menschen“, heißt es zu Beginn von Schillers Der Verbrecher aus verlorener Ehre schon 1786, „ist kein Kapitel unterrichtender für das Herz und den Geist als die Annalen seiner Verirrungen.“ Kriminalerzä
en.“ Kriminalerzählungen sind also Unterhaltung und Aufklärung zugleich. Mit Echokammer von Ingar Johnsrud und Der Junge, der Rache schwor von Trude Teige werden den Leser*innen exquisite und aufreibende Thriller präsentiert, die die Brutalität des Verbrechens mit der Aufklärung über politische und mediale Verhältnisse verbinden.Ingar Johnsrud ist kein Unbekannter im Thrillergenre. Bereits sein Debüt Der Hirte (2017) und die Folgebände Der Bote (2018) und Der Verräter (2019) fanden auch hier viele Leser*innen. Mit Echokammer legt Johnsrud nun den Auftakt einer Trilogie vor, die sich um das Ermittlerteam Lieselott Benjamin und Martin Tong dreht. Gleich der erste Fall des Teams ist brisant.Im Mittelpunkt dieses atemberaubenden Buchs stehen zwei Entwicklungen, die ineinander verwoben erzählt werden: Zunächst handelt der Thriller von einem drohenden Anschlag durch eine Gruppe Rechtsextremisten. Bereits zu Beginn werden wir mit einem Rätsel konfrontiert: Ein im Risikoraum des Verkehrs normales Ereignis wie ein Unfall wird im Roman zu einem Fanal der erzählten Welt. Die Polizeibeamten finden Spuren des Gifts Rizin, eines absolut tödlichen Pflanzentoxins, das sich nicht nur per Kontakt, sondern auch durch Aerosole verbreitet. Die Rechtsextremisten drohen mit einem Anschlag, von dem lange unklar bleibt, wann und wo er stattfindet. Das ist die eine Seite der Geschichte.Rechtsextremismus und MeinungsmanipulationDie andere Seite der Geschichte gibt dem Roman den Titel: Es geht um Echokammern. Mit diesem Ausdruck beschreibt die Medienwissenschaft das Phänomen, dass Medienutzer*innen vor allem auf Social Media algorithmusgesteuert nur diejenigen Informationen präsentiert bekommen, die ihre eigenen Ansichten verstärken. So werden die unregulierten Meinungsmärkte der sozialen Medien oft zum Raum für individuelle Radikalisierungen.In Johnsruds Roman ist gerade Wahlkampf. Die Arbeiterpartei heuert hierfür eine Agentur an, die Mikrotargeting betreibt. Darunter versteht man, potenzielle Wähler*innen durch individuell zugeschnittene Botschaften auf sozialen Plattformen in ihrem Wahlverhalten zu beeinflussen. Die fiktive Firma trägt deutlich die Insignien der 2018 insolvent gegangenen Firma Cambridge Analytica. Im Laufe der Geschichte wird deutlich, dass der geplante Anschlag der Rechtsextremisten in einem Klima geschieht, das durch die Verschiebung der öffentlichen Meinungsbildung in den Medien auf Emotions- und Ressentimentbewirtschaftung aufgeheizt wird. Johnsrud verzahnt mitreißend Themen der Gegenwart wie Rechtsextremismus und die Meinungsmanipulation auf digitalen Plattformen. Der Schriftsteller hat den zweiten Band bereits angekündigt. Der Beginn dieser Trilogie ist mehr als vielversprechend.Ganz anders gelagert ist Der Junge, der Rache schwor, von Trude Teige. In klassischer Manier, unter anderem in der Tradition von Henning Mankells Wallander-Romanen, geht es um eine Vergangenheit, die nicht vergeht. Im Falle von Teiges Geschichte geht es um Missbrauch in staatlich geführten Kinderheimen. Im Zentrum steht die Fernsehjournalistin Kajsa Coren. Die Protagonistin ist zerrieben zwischen ihren familiären und beruflichen Pflichten. Sie hat ihrem Mann zuliebe das Ressort gewechselt und betreibt nun anstatt der Berichterstattung über Verbrechen politischen Investigativ-Journalismus.„Der Junge, der Rache schwor“ : Trude Teige ist in Norwegen eine viel gelesene AutorinTrude Teige ist in Norwegen eine viel gelesene Autorin. Seit 2010 werden ihre Romane ins Deutsche übersetzt, wie zum Beispiel Totensommer von 2016. Deutschen Krimifans ist Kajsa Coren daher nicht unbekannt. Der Junge, der Rache schwor ist der Auftakt einer neuen Reihe.Der Titel des Buches, das sei hier gesagt, verrät aus meiner Sicht zu viel. Er fasst bereits den Plot des Romans zusammen. Ein Junge, der in die Obhut des Staates gegeben wurde, will Rache an denjenigen nehmen, die für sein trauriges Schicksal verantwortlich sind: ein klassischer Fall von Selbstjustiz. Atemlos erzählt, ziehen sich die Kreise um die Journalistin enger, die letztlich, das sei hier verraten, von einem mehrfachen Mörder entführt wird. Trude Teige schlägt Thrillerkapital aus einem aktuellen Thema. Ihr Roman ist ein packender Pageturner. Wir dürfen uns auf eine Wiederbegegnung freuen.Beide Thriller analysieren trotz des detaillierten Bezugs auf ihr Heimatland Norwegen universelle politische Verhältnisse, die nicht nur deshalb auch hierzulande unterhalten, aufklären – und uns mit Spannung die kommenden Fälle erwarten lässt.Echokammer Ingar Johnsrud Daniela Stilzebach (Übers.), Droemer 2025, 448 S., 17 € Der Junge, der Rache schwor Trude Teige Gabriele Haefs, Andreas Brunstermann (Übers.), Aufbau 2025, 345 S., 14 €