Die Ende 2024 gekappte Präsidentenwahl wird wiederholt. Dabei ist KI im Spiel und Akteure mit sechs Fingern
Das Vertrauen der Rumänen in ihr demokratisches System ist erschüttert
Foto: Daniel Mihailescu/AFP/Getty Images
Seit das Verfassungsgericht am 6. Dezember die Präsidentenwahl annullierte, ist das Vertrauen in die rumänische Demokratie eingebrochen. Der wegen des unbewiesenen Vorwurfs einer russisch finanzierten Tiktok-Kampagne ausgeschlossene Überraschungssieger Călin Georgescu, ein staatsväterlich auftretender Öko-Nationalist, hat seither Millionen Herzen erobert. Kaum geschadet hat ihm die Enthüllung, dass er am Tag nach dem Wahlcut Horațiu Potra traf, den auch schon mal mit Machete auftretenden „rumänischen Prigoschin“. Der Inhaber der in Afrika engagierten Söldnerfirma RALF wäre 2024 beinahe zum Oberbürgermeister des einst siebenbürgischen Juwels Mediasch gewählt worden.
Die Umfragen für das auf den 4. Mai verschobene Votum sind widersprüchlich. Georgescus erneute Kandidatur wurde von der Wahlbehörde abgewiesen, jetzt liegt der Einheitskandidat des ansonsten zersplitterten rechtsextremen Lagers, George Simion, vorn. Chancen auf einen Sieg im zweiten Wahlgang haben: Crin Antonescu, der leicht tattrige Bewerber der regierenden großen Koalition, der liberale Bukarester Bürgermeister Nicușor Dan und Ex-Ministerpräsident Victor Ponta aus der provinzkorrupten sozialdemokratischen Staatspartei PSD. Dieses Chamäleon der rumänischen Politik macht seit einem angeblichen Besuch in Mar-a-Lago den Trumpisten: Er bindet sich in einem dynamischen Clip die rote Krawatte, grinst unter einer roten Kappe mit der Aufschrift „România pe primul loc“ (Rumänien first!) hervor und schmeichelt mit scharfer Kritik an der Wahlannullierung den Nationalisten.
Der mit Georgescu-Huldigung groß gewordene Sender Realitatea Plus behauptet, Pontas Foto mit Trump sei KI-generiert, und zeigt triumphierend auf die sechs Finger, mit denen Trump den Handshake absolviert. In Rumänien weiß man nicht mehr, wem man glauben soll. Eine Umfrage unter 18- bis 35-Jährigen ergab, dass 86 Prozent den Medien misstrauen.
Roma für Georgescu
Ich fahre in eine alte Bastion der PSD, in das für rabiate Kohlekumpels berühmte Schiltal, ein graues Siedlungsband voller EU-Fördertafeln, das bergan in ein Hirtenland mit pittoresk schiefen Holzzäunen übergeht. Der Kandidat Victor Ponta löst hier meist entschiedenes Kopfschütteln aus. Manche, auch Frauen, halten sich an den Vorwurf, der habe sich bloß „zum Souveränisten umgefärbt“ („suveranistul vopsit“). „Das wäscht der erste Regen ab.“
An einem Steilhang in Vulcan ragen die düsteren Plattenbauten einer ehemaligen Bergarbeitersiedlung auf. „Dallas“ ist kein Roma-Ghetto, viele der Deklassierten hier sind aber Roma. Mit Ausnahme einer progressiv wählenden Romni, die in Graz Psychotherapie studiert, stimmen alle von mir Befragten für „Georgescu“, das heißt, für dessen weit weniger präsidentiellen Ersatzmann Simion. Roma, die gerade einen rosaroten Panther auf eine graue Blechtür pinseln, fürchten nicht einmal Simions Rassismus: „Der ist doch selber braun.“
Mediasch, ziemlich in der Mitte Rumäniens gelegen, wirkt mit den Fritz-Kola-Cafés in seiner Altstadt keineswegs arm. Dennoch hätte der prorussiche Afrikasöldner Horațiu Potra, der 68 Grundstücke, zehn Kilo Gold und eine hübsche Barschaft deklariert hatte, hier im Juni 2024 um ein Haar die Lokalwahl gewonnen. Meine Zimmerwirtin kennt, grüßt, schätzt und wählt ihn: „Das ist nicht wahr, was sie im Fernsehen über ihn sagen. Damit haben sie ihm die Wahl zum Oberbürgermeister gestohlen“. Kurzum: Der Glatzkopf sei ein „anständiger Mensch“.
Potras Villa, die strategisch eine Kreuzung, eine Brücke und das Zentrum überblickt, wirkt recht dezent. Eindruck schindet nur die Gartenmauer im Stil eines römischen Kastells. Der Abgeordnete aus dem Mediascher Stadtparlament ist nicht zu Hause, das RALF-Rekrutierungsbüro im Eckturm ist verwaist, Potra hält sich wohl in Dubai auf. Er hat Probleme, die rumänische Justiz sucht ihn, die pro-ruandische Miliz M23 nahm im Kongo Hunderte seiner Rumänen gefangen, kein Passant will aber etwas Schlechtes über ihn sagen. Ein Roma-Paar, das einen Gerümpelwagen in Richtung Hauptplatz zieht, will am 4. Mai „wohl eher Victor Ponta“ wählen. „Aber in Mediasch“, sagt der Mann, „da hätte ich Potra wählen sollen. Er wäre ein besserer Oberbürgermeister gewesen.“
Serie Europa Transit Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrost über nahe und fernab gelegene Orte in Europa
Serie Europa Transit Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrost über nahe und fernab gelegene Orte in Europa