In „Diese Seite der Nacht“ von J. Todd Scott ermittelt Sheriff Cherry gegen Feinde von innen wie außen
Die verschwundenen Studenten hielten Mexiko jahrelang in Atem. Hier eine gewalttätige Demonstration von Studierenden die Aufklärung forderten, 2015
Foto: Yuri Cortez/AFP/Getty Images
Weit im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Menschen werden entführt, Leichenberge entdeckt und es kommt zu wilden Schießereien. So zumindest passiert das in J. Todd Scotts Roman Diese Seite der Nacht. Der knapp 500-seitige spannungs- und actiongeladene Krimi wirft einen detaillierten Blick auf diese Grenzregion, die zuletzt wegen Trumps Migrationspolitik immer wieder im Fokus der Medien stand.
J. Todd Scott weiß genau, worüber er schreibt
Dabei sind die Mexikaner, die illegal die Grenze überschreiten, in Scotts Geschichte am wenigsten kriminell und vielmehr Sympathieträger in diesem Opus voller Gewalt. Am meisten haben mexikanische Narcos und korrupte Polizisten aus Texas auf dem Kerbholz. Deren kriminelle Energie ist schlicht mörderisch.
J. Todd Scott weiß genau, worüber er schreibt, da er zehn Jahre lang als Ermittler der US-Anti-Drogen-Behörde DEA in Texas und Nordmexiko tätig war. Diese Seite der Nacht setzt die Geschichte von Sheriff Chris Cherry aus dem texanischen Big Bend County aus Scotts Romanen Weite Leere (2021) und Weiße Sonne (2023) fort, kann aber unabhängig davon gelesen werden. Als erzählerische Klammer über mörderische Machtkämpfe innerhalb verschiedener Drogenkartelle dient ein Anschlag auf eine Gruppe Lehramtsstudenten, die nachts an einem Polizei-Checkpoint in Nordmexiko gestoppt werden. Einige werden sofort erschossen, alle anderen, die nicht fliehen können, werden entführt, an Kartelle weitergegeben und ermordet. Diese Geschichte hat als realen Hintergrund die Entführung von 43 Lehramtsstudenten im Jahr 2014, ein Ereignis, das die mexikanische Gesellschaft jahrelang in Atem hielt.
In Scotts Roman geschieht das direkt an der Grenze zu den USA und hat mit Machtkämpfen verschiedener Drogenkartelle zu tun. Zwei Überlebende des Massakers machen sich auf den beschwerlichen Weg nach Texas. Man fiebert bei ihrem illegalen Grenzübertritt auf der Flucht vor Kartellen und mörderischen, korrupten Polizisten regelrecht mit. Parallel dazu wird die Geschichte des mexikanischen Kartell-Bosses Fox Uno erzählt, der unter Druck gerät und ebenfalls in die USA flieht. Seine Nichte, America Reynosa, arbeitet im Sheriff-Department des Big Bend County und steht plötzlich mit ihren Kollegen mittendrin im grenzüberschreitenden Drogenkrieg.
Der Onkel vom Kartell in atemberaubender Landschaft
Von dem erzählt J. Todd Scott in einer pointierten und dialogreichen Prosa. So überzeichnet einige Figuren sind, wirken die Charaktere doch ungemein echt. Da ist der Meth-abhängige Eddy, der im Trailer in der Wüste lebt und einem anrückenden Polizisten die Bratpfanne über den Schädel zieht. Der kriegstraumatisierte Afghanistan-Veteran Danny, der auch schon undercover gegen texanische Nazis eingesetzt war, die wie der Ku-Klux-Klan brennende Kreuze aufstellen, ist in sich gekehrt und hat ein Techtelmechtel mit seiner attraktiven Kollegin America Reynosa.
Sie ist eine taffe Polizistin mit mexikanischem Hintergrund, die sich nichts gefallen lässt, aber in Panik gerät, als ihr Onkel Fox Uno, einer der meistgesuchten Verbrecher weltweit, plötzlich vor der Tür steht. Ihr Chef Chris Cherry, ein netter Schnuffi und gerade Vater geworden, versucht als Sheriff wiedergewählt zu werden, während sein dickbäuchiger DEA-Kollege Garrison langsam an seinem Job verzweifelt. Und der legendäre Fox Uno geht im wahrsten Sinn des Wortes über Leichen.
So explizit die Grausamkeiten des mexikanischen Drogenkrieges in Szene gesetzt werden, inklusive bestialischer Folter, zeichnet J. Todd Scott alles andere als ein plattes Feindbild des südlichen Nachbarstaates. Die widerlichsten Kerle in diesem Roman sind eindeutig die korrupten US-Beamten, die ohne mit der Wimper zu zucken mordend durch Texas ziehen und nicht nur dafür sorgen, dass der grenzüberschreitende Drogenhandel funktioniert, sondern auch, dass Machtkämpfe der Kartelle auf dem Boden der USA ausgefochten werden. Angereichert wird diese genial verschweißte Erzählung verschiedener Handlungsstränge mit detaillierten Beschreibungen der atemberaubenden Landschaft und Anekdoten über den soziokulturellen Schmelztiegelcharakter der Grenzregion. Der große Showdown, bei dem alle Handlungsstränge zusammenführen, findet auf einer Ranch mitten in der Wüste statt und trägt wirklich Züge eines Krieges.
Diese Seite der Nacht J. Todd Scott Harriet Fricke (Übers.), Polar 2025, 400 S., 26 €