Die Vereine „Hydra“ und „Sisters“ setzen sich beide für die Rechte von Sexarbeiter*innen ein – die einen für die Anerkennung als Erwerbsarbeit wie jede andere, die anderen für ein Sexkaufverbot. Der Streit landete nun vor Berliner Gerichten


Die einen setzen sich für ein „Sexkaufverbot“ ein, die anderen für eine Entstigmatisierung der „Sexarbeit“

Foto: JWLTD


Ungleicher könnten zwei Kontrahenten kaum sein: auf der einen Seite der Berliner Verein „Hydra“, der sich für die Anerkennung sogenannter Sexarbeit „als eine Erwerbsarbeit wie jede andere“ einsetzt – und auf der anderen Seite der Verein „Sisters – für den Ausstieg aus der Prostitution“, dessen Ziel schon im Namen steckt.

Beide wollen die Lebensbedingungen von Sexarbeiter:innen, so sagen die einen, beziehungsweise von Prostituierten, so sagen die anderen, verbessern. Dafür bieten sie Beratungen an und betreiben – Vorsicht, jetzt kommt’s – Lobbyarbeit. Sisters setzt sich für ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten Nordischen Modell ein. Das sieht die Bestrafung von Freiern bei gleichzeitiger Unterstü

fverbot nach dem sogenannten Nordischen Modell ein. Das sieht die Bestrafung von Freiern bei gleichzeitiger Unterstützung von Prostituierten vor. Hydra wiederum setzt auf Entstigmatisierung und einen selbstbestimmten Weg in die Sexarbeit.Dass sich beide Vereine nicht sonderlich mögen, dürfte einleuchten. Der Konflikt wird allerdings seit einer Weile vor Gericht ausgetragen. Und das hat viel mit dem Wort „Lobby“ zu tun.Der Streit geht zurück auf einen Vortrag, den Ruby Rebelde, Vorstandsmitglied von Hydra, im Mai 2023 gehalten haben soll. Dabei warf Rebelde verschiedenen Organisationen, darunter Sisters, „antifeministische Angriffe“ vor und nannte diese „radikal-feministisch, trans-exkludierend und strukturell antisemitisch“.Antisemitismus ist – trotz seiner ständigen und anhaltenden Bagatellisierung und Relativierung – ein schwerwiegender Vorwurf, der Personen oder Organisationen diskreditieren kann. Diese Gefahr sah auch Sisters und zog vor Gericht. Dort erfuhr der Verein nach eigenen Angaben, dass der Grund für den Vorwurf des strukturellen Antisemitismus gewesen sei, dass der Verein die Begriffe „Prostitutionslobby“ und „Zuhälterlobby“ verwendet.Sisters bekam zunächst Recht – doch am Ende freute sich HydraIm Juli 2023 bekam Sisters zunächst im Eilverfahren recht, und das Berliner Landgericht erließ eine einstweilige Verfügung gegen Hydra. Doch im Berufungsverfahren im Februar 2024 übernahm der Richter praktisch die Argumentation von Hydra, wonach das juristische Vorgehen von Sisters ein SLAPP sei, also ein „strategic lawsuit against public participation“. Das bezeichnet die missbräuchliche Nutzung der Justiz, um unliebsame Stimmen zum Schweigen zu bringen – oft von Staaten oder Unternehmen gegen Journalisten oder NGOs genutzt. Der Vorwurf des strukturellen Antisemitismus sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, entschied der Richter.Auch im Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht hat Sisters im vergangenen Februar eine Niederlage erlitten. Sisters will weiter in Berufung gehen – weshalb der Verein nun auf die Öffentlichkeit und auf Spenden setzt. Denn auf Dauer macht sich die Waffenungleichheit der Kontrahenten bemerkbar: Während auf der Homepage von Hydra Logos des Berliner Senats prangen, trägt sich Sisters durch Spenden – und muss nun 35.000 Euro Prozesskosten veranschlagen.Hydra hat zu der ganzen Sache übrigens nur ein paar Solidaritätsstatements herausgegeben, ohne auf den Vorwurf einzugehen – und freut sich über das Urteil als „positives Signal“.Das Absurde ist: Hydra gibt selbst an, „Lobbyarbeit“ zu betreiben. Dem Verein vorzuwerfen, zur „Prostitutionslobby“ zu gehören, ist also keine antisemitische Verschwörungstheorie. Durch die lose und unsachliche Verwendung des Vorwurfs hat Ruby Rebelde außerdem tatsächlichen Antisemitismus relativiert und verharmlost. Aber gut, das ist in Deutschland irgendwie Tradition.



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Von Veritatis

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