Schimmelkäse, Kondome auf dem Boden: Bei Kaufland wird Hygiene kleingeschrieben, zeigt eine Recherche. Grund dafür sind erschöpfte Mitarbeiter. Wir haben mit zwei von ihnen gesprochen. Was sagt die Supermarktkette selbst zu den Vorwürfen?

Eine rote Flüssigkeit sammelt sich in der Hähnchenverpackung. Im Eingangsbereich riecht es streng, der Boden ist von dunklen Flecken bedeckt. Eine geöffnete Kondompackung liegt auf dem Boden. Mitarbeiter eilen durch Gänge, verräumen Waren. Orangene Schilder bewerben Sonderangebote. Eine Kaufland-Filiale, Mitte Juni, irgendwo in Nordrhein-Westfalen. „Wer bei Kaufland arbeitet, steht konstant unter Strom“, erzählt Joel Hoffmann.

Der 32-Jährige arbeitet seit vier Jahren in einer anderen Filiale, die in diesem Text nicht genauer beschrieben werden soll. Auch seinen echten Namen möchte der junge Mann nicht in der Zeitung lesen.* Am Telefon erzählt er dem Freitag von Leistungsdruck, Angst unter Beschäftigten und Personalmangel. Seinen

8;ftigten und Personalmangel. Seinen Lohn bezeichnet Hoffmann als „Schmerzensgeld“. Was der junge Mann berichtet, scheint kein Einzelfall zu sein.Rund drei Monate sind vergangen, seit Stern und RTL gravierende Hygienemängel in zahlreichen Kaufland-Filialen aufdeckten. In insgesamt 50 Märkten recherchierten die Journalisten – in 48 stellten sie erhebliche Mängel fest. Dabei fand das Team Schimmel in Kühltruhen, Mäusekot in der Backwarenabteilung und Fäkalbakterien auf dem Hähnchenfleisch. Reporterinnen, die sich getarnt als Mitarbeitende in Filialen einschleusten, beobachteten, wie bei Mindesthaltbarkeitsdaten getrickst und abgelaufene Ware mit frischer vermischt wurde. Der Konzern reagierte schnell und kündigte unter anderem an, zwei Milliarden Euro in neue Kühlgeräte zu investieren, alle Märkte grundzureinigen und Schulungen für Beschäftigte anzubieten. In einigen Märkten verloren Führungskräfte ihre Jobs. Doch vieles deutet darauf hin, dass die festgestellten Mängel nicht nur das Ergebnis veralteter Kühlgeräte und fehlender Schulungen sind.Mitarbeiter Joel Hoffmann: „Da kommen schon unschöne WhatsApp-Nachrichten zum Teil“Mitarbeitende berichteten von einem „Klima der Angst“ und massiver Überlastung. Joel Hoffmann schildert dem Freitag Ähnliches: „An manchen Tagen bekommen wir einen fetten Berg an Aufgaben, der in der vorgegebenen Zeit überhaupt nicht erledigt werden kann.“ Wenn etwas liegen bleibe, würden Beschwerden der Filialleitung folgen – meist nach Feierabend per WhatsApp. „Da kommen schon unschöne Nachrichten zum Teil“, erzählt er.Weil er schon seit vier Jahren bei Kaufland arbeite und die höchste Gehaltsstufe erreicht habe, bekomme er inzwischen weniger Stunden, als er eigentlich brauche. „Die geben den Neuen die meisten Stunden, weil die am wenigsten Lohn bekommen“, so der 32-Jährige. „Das hat dann aber eben auch Folgen für die Qualität der Arbeit.“ Auch so sei der Ekel-Skandal zu erklären, meint Hoffmann.In Deutschland beschäftigt Kaufland rund 90.000 Menschen. Besitzer Dieter Schwarz ist mit einem geschätzten Vermögen von rund 44 Milliarden Euro der reichste Deutsche. Die Schwarz-Gruppe, zu der auch Lidl gehört, führt das Ranking der größten Lebensmittelhändler Europas an. Der Umsatz des Konzerns wächst im Vergleich zu anderen europäischen Lebensmittelhändlern besonders stark.Verdi: „Die Hygienemängel sind das Ergebnis einer rücksichtslosen Profitorientierung“Talea Scholz, die bei Verdi als Gewerkschaftssekretärin für den Einzelhandel zuständig ist, sagt: „Die Hygienemängel, die bei Kaufland festgestellt wurden, sind das Ergebnis einer rücksichtslosen Profitorientierung des Konzerns.“ Schon seit Jahren würden Mitarbeiter von enormem Leistungsdruck berichten. Außerdem herrsche zwischen den Filialen ein starker Konkurrenzkampf um Umsatzzahlen, Krankschreibungen und Warenabschreibungen. Die Märkte, die bei diesen Vergleichen schlecht abschneiden, setze die Unternehmensführung unter Druck, berichtet Scholz.Das Unternehmen antwortet dem Freitag auf Nachfrage ausweichend. Ein Kaufland-Sprecher rattert die angekündigten Maßnahmen per Mail herunter. Auf die Frage nach der Ausübung von Druck auf Beschäftigte heißt es, Leistung sei Teil der Unternehmenskultur, aber: „Immer in einer fairen Arbeitsatmosphäre“. Nicht nur die Recherche von Stern und RTL und die Schilderung von Joel Hoffmann lassen Zweifel daran aufkommen.Im Januar kündigte der Discounter an, rund 350 Mitarbeitende an einem Logistikstandort im bayerischen Donnersdorf zu entlassen und diese durch sogenannte Werkvertragsarbeiter zu ersetzen. Viele Unternehmen machen von dieser Masche Gebrauch. Dabei werden ganze Abteilungen an Subunternehmen übergeben, um Lohnkosten zu senken. Diese beschäftigen dann häufig Menschen aus Osteuropa, denen ein niedrigerer Lohn gezahlt wird.Placeholder image-3Kaufland begründete die Entlassung auf Anfrage des Freitag als notwendige Maßnahme, um Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit zu sichern. „Volatile Lieferketten“ und eine „wechselnde Artikelanzahl“ hätten das Geschäft in den vergangenen Jahren komplexer gemacht. Grund genug offenbar, um 350 Menschen vor die Tür zu setzen.!—- Parallax text ends here —-!Unternehmen, die mit Werkverträgen arbeiteten, wurden von Gerichten in der Vergangenheit regelmäßig verurteilt. Auch Kaufland musste deshalb 2013 eine Geldbuße zahlen. In der Fleischindustrie sind Werkverträge seit 2021 verboten. Der damalige Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht, nachdem katastrophale Arbeitsbedingungen beim Fleischhersteller Tönnies öffentlich geworden waren. Gewerkschaften fordern ein ähnliches Verbot für den Handelsbereich.Zwar schreibt Kaufland auf Anfrage, dass Umstrukturierungen wie in Donnersdorf an anderen Standorten derzeit ausgeschlossen seien. Doch auch im Kaufland-Lager in Barsinghausen bei Hannover sorgen Entlassungen für Unmut. Laut Berichten von Verdi wurden in den vergangenen Wochen mehrere Dutzend Beschäftigte wegen Langzeitkrankschreibungen gekündigt. Einer von ihnen berichtet dem Freitag am Telefon.Erst Rückenschmerzen, dann Kündigung: Wovon ein Lagerarbeiter aus Barsinghausen erzählt Alpay Güneş*, der anonym bleiben möchte, arbeitete zweieinhalb Jahre im Lager in Barsinghausen. „Paletten voll machen, zum Tor bringen, folieren und wieder von vorne. Irgendwann geht das auf den Rücken“, erzählt der 27-Jährige. Wegen der Schmerzen, die immer stärker geworden seien, sei er zum Arzt gegangen. Dieser habe ihn krankgeschrieben. „Ich habe Kaufland gebeten, mir Aufgaben zu geben, die ich mit meinem Rücken machen kann.“ Der Konzern habe das abgelehnt und ihm aufgetragen, zu Hause zu bleiben, bis es ihm besser gehe.Drei Wochen später, so erzählt Güneş, habe ihn die Kündigung erreicht.Begründet habe Kaufland diese mit seiner langen Krankheit. „Ich stehe ohne Geld und Perspektive da. Ich muss meine Familie unterstützen und habe keine Ausbildung. Was soll ich jetzt bitte arbeiten?“, fragt Güneş. Mit der Hilfe von Verdi klagt er nun gegen die ausgesprochene Kündigung. Güneş wartet auf den Gerichtstermin und hofft vor allem eines: „Ich will einfach weiter arbeiten gehen.“Mizgin Ciftci, der als Gewerkschaftssekretär der Verdi für das Lager in Barsinghausen zuständig ist, sagt: „Schritt für Schritt entstehen bei Kaufland Strukturen, die denen des Fleischkonzerns Tönnies ähneln.“ Durch die schwere Arbeit im Lager würden viele Beschäftigte gesundheitliche Probleme bekommen. „Viele berichten von Hämorrhoiden, Gicht, Schuppenflechte und Rückenschmerzen“, sagt Ciftci. Sobald sie sich länger krankmelden, drohe ihnen dann – wie im Fall von Alpay Güneş – die Kündigung.Gewerkschaftssekretär: „Die Belegschaft wird bei Kaufland ausgepresst wie eine Zitrone“Kaufland betont auf Anfrage, man sei sich bewusst, dass die Arbeit im Lager mit körperlicher Belastung einhergehe. Deshalb biete man Präventionsangebote und suche bei Erkrankung im Einzelfall alternative Tätigkeiten. Kündigungen seien nicht im Interesse der Firma, heißt es. Sollte es in „Einzelfällen“ wie in Barsinghausen doch dazu kommen, würden diese „selbstverständlich stets im Rahmen der geltenden gesetzlichen Bestimmungen und unter Einhaltung aller arbeitsrechtlichen Vorgaben“ erfolgen, schreibt ein Unternehmenssprecher auf Anfrage.Gewerkschaftssekretär Ciftci hält dagegen: „Die Belegschaft wird bei Kaufland ausgepresst wie eine Zitrone.“ Kaufland kenne die Gesetzeslücken und nutze sie konsequent aus. Weil Beschäftigte ihre Rechte häufig nicht kennen würden und viele nicht muttersprachlich Deutsch sprächen, sei es schwierig, sich gegen Kündigungen zu wehren.Das Unternehmen argumentiert, Mitarbeiter könnten sich jederzeit an eine „Vertrauensperson“ wenden, falls „Sorgen und Nöte“ bestünden. Mizgin Ciftci ärgert diese Darstellung. Durch den Einsatz dieser sogenannten Vertrauenspersonen wolle Kaufland den Beschäftigten suggerieren, dass sie Mitbestimmungsmöglichkeiten hätten. „Tatsächlich wird so eine Parallelstruktur geschaffen, die die Arbeit von Betriebsräten und Gewerkschaften behindert“, so Ciftci. Der Begriff „Vertrauensperson“ sei irreführend. Eigentlich beschreibt dieser die gewerkschaftliche Arbeitnehmervertretung innerhalb eines Betriebes. Dass Kaufland den Begriff nutze, um eine vom Unternehmen eingesetzte Person zu beschreiben, sei für die Beschäftigten schwer zu durchschauen.Placeholder image-1Auch Joel Hoffmann kennt dieses Problem. Immer mehr hätten ihn Arbeitsbedingungen und Umgang frustriert. „Man wird ständig kontrolliert. Wenn man kurz zwei Sätze mit einem Kollegen wechselt, kommt der Chef und ermahnt einen“, erzählt er. Bei Kaufland sei man „Mädchen für alles“, das Unternehmen erwarte maximale Flexibilität und Leistung. Im Gegenzug komme der Konzern kaum auf die Beschäftigten zu.Vor einiger Zeit habe er wegen Krankheit seine Stunden reduziert. Als es ihm besser ging, sei es aber nicht möglich gewesen, die wieder aufzustocken. „So habe ich ein halbes Jahr lang 600 Euro weniger im Monat verdient“, erzählt Hoffmann. „Irgendwann hat es mir gereicht.“ Gemeinsam mit der Verdi habe er eine Betriebsratsgründung auf den Weg gebracht. Doch dabei sei er auf Hindernisse gestoßen. Sobald es ernst wurde, seien viele Kollegen abgesprungen. Hoffmann vermutet: „Die hatten Angst vor negativen Konsequenzen, die drohen könnten, sobald sie sich im Betriebsrat engagieren.“ Doch beben dem „Klima der Angst“, von dem immer wieder die Rede ist, scheint es eine weitere entscheidende Ursache für die Hygienemängel bei Kaufland zu geben. In Deutschland werden jährlich mehr als 100.000 lebensmittelbedingte Infektionen gemeldetSabrina Göddertz, die als Referentin für Ernährungs- und Lebensmittelpolitik beim Bundesverband der Verbraucherzentralen tätig ist, sagt: Zwar würden bei amtlichen Kontrollen regelmäßig Verstöße gegen Hygienestandards und Kennzeichnungspflichten festgestellt. „Nur erfahren Verbraucher:innen fast nie davon.“ Denn öffentlich gemacht werden müssen die Ergebnisse solcher Kontrollen nicht. Dabei wäre das durchaus sinnvoll: „Wenn Betriebe wissen, dass Kontrollergebnisse öffentlich gemacht werden, steigt die Motivation, Hygienestandards einzuhalten, enorm“, so die Verbraucherschutz-Expertin.Dass es um die Lebensmittelsicherheit in Deutschland nicht besonders gut steht, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung werden jährlich mehr als 100.000 lebensmittelbedingte Infektionen gemeldet. Die Zahl der Rückrufe steigt stetig. Laut einer Untersuchung der Organisation Foodwatch aus dem Jahr 2019 fällt jede dritte Lebensmittelkontrolle, die eigentlich stattfinden müsste, aus. Dass sich die Lage inzwischen verbessert hat, hält Sabrina Göddertz für unwahrscheinlich.Eher im Gegenteil: 2020 veränderte die damalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) die gesetzlichen Regelungen für Lebensmittelkontrollen. Seitdem werden Betriebe seltener kontrolliert. Göddertz fordert: „Die neue Bundesregierung muss das Thema Lebensmittelsicherheit zurück auf die Tagesordnung bringen und für eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Behörden sorgen.“Joel Hoffmann: „Bei uns verschimmelt auch schon mal ein Käse hinten im Regal“Auch Joel Hoffmann hat die Recherche von Stern und RTL nicht überrascht. „Bei uns ist es nicht ganz so ekelhaft wie in den Märkten aus der Doku. Aber auch grenzwertig“, erzählt er. „Da verschimmelt schon mal ein Käse hinten im Regal.“ Seit die Recherche öffentlich wurde, schaue man genauer hin. Auf den Hubwagen, mit denen Waren verräumt werden, liege nun immer ein Lappen. Zudem sei man angehalten, genauer hinter die Waren zu gucken und beim Aufräumen besser aufzupassen. „Aber noch immer sind wir zu wenig Leute und noch immer werden wir scheiße behandelt“, sagt Hoffmann.Placeholder image-2Dass die von Kaufland angekündigten Maßnahmen grundlegende Probleme lösen könnten, hält auch Gewerkschaftsvertreterin Talea Scholz für unwahrscheinlich. Der Konzern fokussiere sich auf technische Fragen und wische die echten Probleme so weg. „Ein erster sinnvoller Schritt wäre, die Beschäftigten zu fragen: Was braucht ihr, um den Markt gut zu führen?“, so Scholz. Um langfristig etwas zu ändern und künftige Skandale zu verhindern, müsse eine Firmenkultur her, die nicht bloß auf Leistungsdruck und Profitinteresse beruhe.

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Von Veritatis

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