Dem mutmaßlichen RAF-Mitglied Daniela Klette wird in Celle der Prozess gemacht. Unsere Autorin besucht das Oberlandesgericht, wo ein missglückter Überfall im Fokus steht. Sie fragt sich: Geht es hier um Wahrheit oder doch etwas anderes?


Daniela Klette verfolgt den Prozess gegen sie mit freundlicher Gelassenheit – ganz anders als frühere RAF-Beschuldigte

picture alliance/dpa | Sina Schuldt


Vom Park Triftanlagen führt in Celle ein Weg zur Justizvollzugsanstalt. An das „Celler Loch“ erinnert ein Gedenkstein. Erinnerungen kommen hoch an das Jahr 1978 und die sogenannte „Aktion Feuerzauber“. Damals wurde ein 40 Zentimeter großes Loch in die Außenmauer der JVA gesprengt, durch das Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF) – angeblich – den dort im Hochsicherheitstrakt einsitzenden Sigurd Debus befreien wollten.

Freilich entpuppte sich das terroristische „Kommando“ später als Provokation des Verfassungsschutzes, in die auch der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU), Vater von EU-Präsidentin Ursula von der Leyen, verwickelt war. Dennoch blieb er bis 1990 im Amt.

Das „Zuc

-Präsidentin Ursula von der Leyen, verwickelt war. Dennoch blieb er bis 1990 im Amt.Das „Zucht- und Tollhaus zu Celle“ ist seit jeher berüchtigt. Dort saßen nicht nur RAF-Inhaftierte wie Debus, Knut Folkerts, Lutz Taufer und Karl-Heinz Dellwo ein, sondern auch NS-Widerstandskämpfer. 1945 kam es zu einem Massenmassaker an KZ-Häftlingen, an dem Celler Bürger beteiligt waren. Ein Ort mit dunkler Geschichte. „Nebenan sitzen die ganz bösen Jungs“, kriege ich im Hotel zu hören.Freilich entpuppte sich das terroristische Kommando später als Provokation des VerfassungsschutzesDaniela Klette ist nicht in der JVA Celle, sondern in Vechta inhaftiert. Ob sie ein „böses Mädel“ ist, soll erst der Prozess des Landgerichts Verden klären, das die Verhandlung aus Platzgründen vorerst zum Oberlandesgericht (OLG) Celle verlegt hat. Der 1958 in Karlsruhe geborenen Klette werden 13 zwischen 1999 und 2016 verübte Überfälle auf Geldtransporte und Supermärkte zur Last gelegt, bei denen 2,7 Millionen Euro erbeutet wurden. In einer parallel von der Bundesanwaltschaft Karlsruhe vorbereiteten Anklage geht es außerdem um ihre Mitgliedschaft in der RAF, jener selbst ernannten Avantgardetruppe, die seit 1970 als „Stadtguerilla“ den Staat bewaffnet herausforderte. Verdächtig ist Klette der Tatbeteiligung am letzten Anschlag der RAF auf die hessische JVA Weiterstadt 1993, obwohl diese ein Jahr zuvor ihren Gewaltverzicht erklärt hatte. In zwei weiteren Fällen steht sie unter Mordverdacht. Voriges Jahr war Klette, die seit 30 Jahren unerkannt und völlig unauffällig in der Kreuzberger Sebastianstraße lebte, ohne jeden Widerstand, aber unter viel Tamtam festgenommen worden. Schwer belastend die Funde in ihrer Wohnung: Feuerwaffen, falsche Ausweise und sehr viel Bargeld.MPs zur BegrüßungEs handele sich in Celle nicht um ein Staatsschutzverfahren, bemühte sich der Vorsitzende Richter, Lars Engelke, von Anfang an klarzustellen. Der Augenschein in der fachwerkschmucken Residenzstadt erzählt anderes. Schon um halb acht Uhr morgens fahren gegenüber dem malerischen Schloss Polizeiwannen auf, das noch schlafende Städtchen ist blau-weiß.Noch haben sich keine Schlangen vor dem OLG gebildet, nur die Unterstützer:innen, die als unermüdlichste Protokollanten den Prozess begleiten, sind schon vor Ort. Allein um in das Gebäude zu gelangen, in dem die Audio-Übertragung des Prozesses für die Medien stattfindet, müssen mehrere maschinengewehrbewehrte und vermummte Polizisten am Eingang, eine Sicherheitsschleuse und eine penible Personenkontrolle überwunden werden.Am Ende des Tages werde ich das mit viel Hin und Her fünfmal hinter mich gebracht haben, weil spät doch noch ein Platz im Verhandlungssaal gefunden wird. Trotz Verlegung nach Celle ist der Raum für die zugelassene Öffentlichkeit extrem begrenzt.Ein normales Verfahren hätte allerdings niemals einen solchen Sicherheitsaufwand befördertAn diesem dritten Verhandlungstag geht es um den Überfall auf jenen Geldtransport auf den Real-Markt in Stuhr bei Bremen, bei dem es auch zum Einsatz von Schusswaffen gekommen ist. Ein normales Verfahren hätte allerdings niemals einen solchen Sicherheitsaufwand befördert. An diese Diskrepanz knüpfen Klettes Anwält:innen an, wenn sie von „Vorverurteilung“ sprechen wie an diesem Vormittag.Die in der Anklageschrift der Verdener Staatsanwaltschaft vorgetragene angebliche RAF-Mitgliedschaft von Klette sei so noch gar nicht bewiesen. Ein Zusammenhang mit den „vermeintlichen Erkenntnissen“ zur RAF – von der Praxis der frühen Gruppe bis zu deren „dritter Generation“, von der fast nichts bekannt sei – würde einfach unterstellt, das verstoße „gegen die Unschuldsvermutung“. Deshalb, so ihr Antrag, sei das Verfahren vorerst auszusetzen.Die prozessualen Abläufe der Verhandlung – die Anwälte fordern zumindest Einsicht in die Ermittlungsakten in Karlsruhe – sind zeitaufwendig und ermüdend. Daniela Klette sitzt zwischen ihren drei Verteidiger:innen in einem mit Panzerglas gesicherten kleinen Käfig, der Verhandlungsraum ist von Medien und Publikum noch einmal durch hohe Scheiben getrennt. Die kleine Frau mit dem grauen Knoten im Nacken und dem schwarzen Pullover lächelt und wirkt elastisch. Der Kampfsport vielleicht, den sie in Berlin betrieben hat. Auffällig ihre freundliche Gelassenheit – so weit entfernt von den rabiaten Auftritten der RAF-Angeklagten in den Stammheimer Prozessen vor 50 Jahren.Eine solche Frau mit einer Panzerfaust auf der Schulter, mit der sie am Fluchtauto ihre beiden mutmaßlichen Mittäter Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub beim Überfall in Stuhr abgesichert haben soll? So unterstellt es der Teil der Anklage, um den es an diesem dritten und vierten Verhandlungstag geht. Zum Prozessauftakt hatte sich Klette zu den Vorwürfen nicht geäußert, sondern nur eine allgemeine Erklärung verlesen, in der sie über die Weltlage sinniert, sich über die „wertvolle Zeit“ bedankt, in der sie frei leben konnte, und sich bei denen entschuldigt, denen sie eine falsche Identität vorgespielt hat. Noch immer stehe sie ein „für eine bessere Welt“.Überfall am SamstagnachmittagDie Ereignisse am 6. Juni 2015, einem Samstagnachmittag, auf der Rückseite des Real-Marktes schildert der mittlerweile 63-jährige Fahrer des Geldtransporters, Klaus I. Als er und sein Beifahrer am Ende ihrer Route mit rund einer Million Euro den Parkplatz verlassen wollen, stößt ein Transporter rückwärts gegen eine Wand und blockiert ihre Weiterfahrt. Eine Person springt aus dem Fahrzeug, gibt einen Schuss auf den rechten Vorderreifen ab und fordert den Beifahrer des Geldtransporters auf, das Fahrzeug zu verlassen: „Kollega raus, Kollega raus“, soll er mit osteuropäischem Akzent mehrmals gerufen haben. Eine zweite Person sichert den Schützen mit einer Maschinenpistole seitlich ab, eine dritte, bei der es sich um Klette handeln soll, nimmt Klaus I. erst später wahr.Er habe Todesangst gehabt, erinnert sich der gefasst wirkende FahrerDem Beifahrer gelingt es jedoch, sich nach hinten in den Werteraum zu retten, der Fahrer Klaus I. schafft es, ihn zu verriegeln. „Die Zweite geht durch“, droht der erste Täter und schießt wieder. Er habe Todesangst gehabt, erinnert sich der äußerlich gefasst wirkende Fahrer zehn Jahre später vor Gericht. Was wohl nur wenige Minuten gedauert hat, für die Täter erfolglos blieb, weil sie nicht an das Geld herankamen, und mit ihrem „seelenruhigen“ Abzug endete, erschien Klaus I. ewig. Ausführlich berichtet er von den traumatischen Folgen des Überfalls, der langen Reha. Sowohl die Fahndung in Aktenzeichen XY … ungelöst als auch nun der Prozess hätten ihn wieder etwas aus dem Gleis geworfen.Alles quer durch den KopfNachdem er von den Anwält:innen nachdrücklich ins Kreuzverhör genommen und einmal von Staatsanwältin Annette Marquardt genervt unterbrochen wurde, bleiben nach den Berichten des Fahrers Fragen offen.Handelte es sich nur um zwei Täter, wie am folgenden Tag auch Zeugen berichten? Oder wurde die dritte, entfernter stehende Person mit der Panzerfaust nicht gesehen? Hatte diese eine echte Panzerfaust auf der Schulter, wie Klaus I. annahm, oder nur eine Attrappe, wie ein schusswaffenkundiger Zeuge aussagt? Kann es sich nach Größe und Statur überhaupt um eine kleine Frau wie Daniela Klette gehandelt haben? Sprach der erste Täter tatsächlich osteuropäisch, wie auch der inzwischen verstorbene Beifahrer ausgesagt hat? Und wie sind die Aussagen nach der Tat überhaupt zu bewerten? „Es ging eigentlich alles quer durch meinen Kopf“, erklärt Klaus I., der sich nicht einmal mehr an eine Skizze erinnern konnte, die er angefertigt haben soll.Die Anwälte hatten vor der Beweisaufnahme darum gebeten, bei den Fahrten zum Verhandlungsort von der schweren Bleiweste für Klette abzusehen – diese sei „zu ihrer eigenen Sicherheit“, entgegnete Richter Engelke. Die kleinteilige Beweisaufnahme und die Aussagen des Hauptzeugen verfolgt die Beschuldigte ernst, konzentriert und ohne erkennbare Emotionen.Daniela Klette, so viel ist sicher, gehörte in den 1980er Jahren der militanten Unterstützerszene der RAF in Wiesbaden an Daniela Klette, so viel ist sicher, gehörte in den 1980er Jahren der militanten Unterstützerszene der RAF in Wiesbaden an. Zu einer Zeit, als das Konzept des militärischen Widerstandes längst obsolet und nicht mehr zu rechtfertigen war. Hat sie weitergemacht, weil es keinen Plan B gab? Warum hat es so lange gedauert, diesen Weg als das zu erkennen, was er war: als Irrsinn? Solche Fragen spielen in Celle keine Rolle, obwohl die RAF als Gespenst allgegenwärtig ist. Es lebendig zu halten, ist jedoch zweifelsfrei gewollt.



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Von Veritatis

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