Es gibt eine extrem große Wissenslücke in der Bevölkerung, was Steuern anbelangt, sagt Martyna Linartas. Eine Erbschaftsteuer käme Ostdeutschland beispielsweise kaum zugute. Gegen Ungleichheit könnte hier die Idee eines Grunderbes helfen
Schwer vorstellbar, aber in Deutschland besitzen nur wenige Familienunternehmen zusammen mehr als die ärmere Hälfte der Bevölkerung. In ihrem Buch Unverdiente Ungleichheit schreibt die Politikwissenschaftlerin Martyna Linartas über das Ausmaß, über Ursachen und die Folgen. Wir brauchen eine gerechtere Gesellschaft, sagt Linartas, alles andere gefährde die Demokratie.
der Freitag: Frau Linartas, Vermögen steht in Deutschland für Leistung. Die Erzählung ist: Es ist das Ergebnis Ihres Fleißes. Wie sehen Sie das?
Ich verstehe Vermögen nicht als eine rein individuelle, sondern auch als gesellschaftliche Leistung. Die großen Vermögen in Deutschland sind Betriebsvermögen, die von den Menschen in den Betrieben erarbeitet wurd
d Betriebsvermögen, die von den Menschen in den Betrieben erarbeitet wurden. Daher bin ich kein Fan der Erzählung dieser sogenannten Selfmade-Milliardäre. Wenn die sterben, geht das Vermögen aus dem Betrieb nur an ihre Familie oder in Teilen zurück an den Staat, nicht etwa an die Menschen in den Betrieben, die das Vermögen mit aufgebaut haben.Wenn es um die Umverteilung von Geld geht, kommt schnell der Neidvorwurf. Was entgegnen Sie dem?Der Neidvorwurf ist ein Machtinstrument, um diejenigen zu immunisieren, die von Gerechtigkeitsfragen ablenken wollen. Wer mir Neid vorwirft, greift mich individuell an, sodass ich mich rechtfertigen muss. Das ist ein wirksamer rhetorischer Kniff. Organisationen wie taxmenow oder Millionaires for Humanity führen diesen Neidvorwurf allerdings völlig ad absurdum. Hier setzen sich vermögende Menschen dafür ein, selbst höher besteuert zu werden.Sie haben Interviews mit den Chefs der größten deutschen börsennotierten Unternehmen geführt, darunter Siemens, BASF und Thyssenkrupp. Die Mehrheit findet Ungleichheit zwar problematisch, Steuern aber auch?Die meisten Befragten sahen in der Ungleichheit eine große Herausforderung und befürchteten, dass die Spaltung in der Gesellschaft langfristig zu Zerwürfnissen führen wird. Bei der Besteuerung sprachen sich viele für eine progressivere Gestaltung und für eine Erhöhung der Einkommensteuer aus. Sobald es aber um vermögensbezogene Steuern ging, wurde es kritisch. Wirklich alle waren gegen die Wiedereinsetzung der Vermögensteuer, die Hälfte war gegen eine Stärkung der Erbschaftsteuer, immerhin ein Drittel war dafür, der Rest unentschieden.Vermutlich weil sie annehmen, dass eine höhere Erbschaftsteuer der Wirtschaft schaden könnte, beispielsweise indem Arbeitsplätze verloren gehen?Ja, diese Annahme entspricht aber nicht dem Stand der Wissenschaft. Es gibt eine Reihe von Studien wie die der OECD 2021 oder die des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium 2012, die genau das Gegenteil festgestellt haben: Eine Besserstellung reicher Firmenerben bei der Erbschaftsteuer könnte sogar dazu führen, dass Arbeitsplätze gefährdet werden, wenn deshalb Erben von Unternehmen aus steuerlichen Gründen als Nachfolger eingesetzt werden. Erben sind nicht unbedingt die besseren Manager. Es ist ein großer Erfolg der Lobby des großen Geldes, allen voran der Stiftung Familienunternehmen, so zu tun, als würde die Stärkung der Erbschaftsteuer die Breite der Gesellschaft treffen.Placeholder image-1Wieso hält sich das Narrativ so hartnäckig, wenn die Fakten doch dagegensprechen?Der erste Faktor ist die lang anhaltende Kommunikationsstrategie der Lobby des großen Geldes. Sie starten Kampagnen und platzieren Lobbyvertreter in Talkshows, haben außerdem einen sehr guten Draht zur Politik. Infolge einer Anfrage an die Bundesregierung von Lisa Paus, damals Sprecherin für Steuerpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, kam 2016 heraus, dass sich Teile der damaligen Regierung während des Gesetzgebungsverfahrens zur Erbschaftsteuer insgesamt ein Dutzend Mal mit Vertreterinnen der Stiftung Familienunternehmen getroffen hatten. Am Ende wurden dann Formulierungen aufgenommen, die genau dem Wortlaut der Stiftung entsprachen. In anderen Ländern spricht man bei solchen Leuten von Oligarchen, hier nennt man sie dagegen liebevoll Familienunternehmer.Und der zweite Faktor?Wir haben in der Bevölkerung eine extrem große Wissenslücke, was die Zusammenhänge von Steuern und Demokratie anbelangt. Steuern sind nicht sexy und ultrakompliziert, aber gerade da muss man ansetzen. Deswegen wurde ungleichheit.info gegründet: um den Menschen in der Breite klarzumachen, wie extrem die Ungleichheit in Deutschland ist und welche wissenschaftlich fundierten Werkzeuge es gibt, dagegen vorzugehen.Die Besteuerung von Betriebsvermögen fällt deutlich geringer als die von Privatvermögen aus. Das soll Erben von Unternehmen davor schützen, verkaufen zu müssen, um ihre Steuern bezahlen zu können. Sorgt Sie das nicht?Ich würde diese Sorgen unbedingt ernst nehmen. Aber bis zu dem Zeitpunkt, als die ganzen Ausnahmen für Betriebsvermögen eingeführt wurden, gab es keine empirische Evidenz dafür, dass ein Unternehmen schließen oder Angestellte entlassen musste, weil es die Erbschaftsteuer nicht aufwenden konnte. Niemand ist daran interessiert, dass ein Unternehmen verkauft werden muss oder dass Arbeitsplätze gefährdet werden, nur um Steuern einzunehmen. Die Erbschaftsteuer dient aber auch nicht nur dazu, Steuereinnahmen zu generieren. Sie soll auch gerecht gestaltet sein und Ungleichheit reduzieren. Wenn Leute ohne Erbe ein Unternehmen aufbauen wollen, müssen sie die Finanzierung zu 100 Prozent stemmen. Und wir möchten den reichsten Erben nicht einmal 30 Prozent Steuern zumuten? Das ist eine absolute Verzerrung des Wettbewerbs. Ungleichheit wird so über Generationen fortgeschrieben.Placeholder image-2Sie setzen sich nicht nur für eine Erhöhung der Erbschaftsteuer ein, sondern auch für ein Grunderbe, ein Startkapital mit Eintritt der Volljährigkeit. Warum braucht es das?Im 20. Jahrhundert hat sich die wirtschaftliche Ungleichheit durch progressive Steuern, Gewerkschaften und Bildungsoffensiven extrem reduziert. Und trotzdem hat es die ärmere Hälfte der Bevölkerung nicht geschafft, irgendein nennenswertes Vermögen aufzubauen. Laut führenden Ökonom:innen ist das Grunderbe das effektivste Werkzeug gegen die sehr hohe Vermögensungleichheit. Damit geben wir allen etwas vom bestehenden Vermögen ab und verhelfen jungen Erwachsenen dazu, in ihre Ausbildung und Zukunft zu investieren oder einen Kredit für eine eigene Immobilie zu kriegen.Die Erbschaftsteuer kommt den Ländern zugute – Ostdeutschland würde aufgrund der viel geringeren Vermögenswerte kaum davon profitieren.Das Grunderbe wäre eine Möglichkeit, die Ungleichheiten hier ein Stück weit aufzubrechen, um zu kompensieren, dass im Osten viel weniger vererbt und verschenkt wird. Eine Reform der Erbschaftsteuer und ein Grunderbe allein werden die Probleme nicht lösen, sie können nur der Beginn eines neuen Paradigmas sein, bei dem wir Demokratie und Steuergerechtigkeit an die oberste Stelle setzen. Ein Paradigmenwechsel weg vom Neoliberalismus würde bedeuten, dass wir über eine Vermögensteuer und eine Vermögensabgabe reden.Bei all den Widerständen … Klingt so, als wenn es noch lange dauern könnte.Wir haben jetzt die Wahl: Entweder machen wir business as usual und bewegen uns in Richtung Donald Trump. Und ich habe große Sorge, dass Friedrich Merz das tut. Oder wir erkennen an, dass der Neoliberalismus uns nicht die Antworten auf die drängenden Fragen bietet, und arbeiten an einem gerechten Gegenprogramm, wie es Menschen in Wissenschaft und Zivilgesellschaft bereits tun. Die OECD spricht gerade über eine Mindestbesteuerung von globalen Unternehmen, die G20 über eine Milliardärssteuer – das wäre vor fünf Jahren nicht denkbar gewesen.