Nach vier Jahren in der Regierung müssen die Grünen aus der Opposition Politik machen. Wie kann die Partei ihrem Kernthema wieder Leben einhauchen?


Klimaschutz sollte nicht das Hobbyprojekt der Grünen sein

Illustration: der Freitag


Nach der Wahl sind Bündnis 90/Die Grünen in einer Findungsphase auf dem Weg in die Opposition. Enttäuschte Anhänger des Merkel-Kurses in der CDU konnten nicht genug mobilisiert werden, um zumindest drittstärkste Kraft hinter Union und AfD zu werden. Viele Menschen aus sozialen Bewegungen und Jungwähler waren nach einer Anfangseuphorie von der Performance der Ampel enttäuscht. Dilemma-Entscheidungen kratzten an der hohen Moral der Grünen, wie etwa, Deutschlands Versorgung mit Gas aus dem kriegsverbrechenden Aserbaidschan zu sichern statt aus dem kriegsverbrechenden Russland. CDU/CSU, FDP, AfD, BSW sowie eine Auswahl reichweitenstarker Zeitungen erkoren die Grünen zum Hauptgegner. Diese Diskreditierungen, die oft den Charakter von Hetzkampagnen an

Hauptgegner. Diese Diskreditierungen, die oft den Charakter von Hetzkampagnen annahmen, haben das Politikfeld des Klimaschutzes insgesamt schwer beschädigt.Die Grünen stehen nun vor der Herausforderung, dieses Thema – ihr Kernthema – neu, ambitioniert und zugleich realistisch zu vitalisieren. Gerade weil Klimaschutz auf intelligenzbeleidigende Weise stigmatisiert wird (looking at you, Söder & Co.), ist eine Offensive nötig. Nun ist Klimaschutz nicht das Hobbyprojekt der Grünen, sondern eine weltweite Menschheitsaufgabe, deren sich auch ein privatjetfliegender Blackrock-Ex wie Merz dringlich annehmen müsste. Müsste, hätte, könnte. Wenn die Grünen und ihr politisches Vorfeld Klimaschutzmaßnahmen nicht einfordern, nicht strategisch Druck und Macht aufbauen, wird in diesem Feld wenig passieren.Klimaschutz ist SicherheitspolitikBei diesem Unterfangen sollten zwei Dinge besonders beachtet werden:Erstens sollten die Grünen ein verstärktes Bewusstsein für die Klassengesellschaft sowie eine Kommunikation über Sicherheit entwickeln. Letzteres meint nicht den Irrweg besinnungsloser militärischer Hochrüstungsforderungen. Es meint eine Sprache, die ohne angsteinflößende Endzeitdystopien, ausgelöst durch die Klimakrise, kommuniziert. Klimaschutz muss als Sicherheitspolitik erzählt und so die Angst vor Klimaschutzmaßnahmen bekämpft werden, die besonders von den Rechten mobilisiert wird.Die Herausforderung ist, Klimaschutz als eine Notwendigkeit zu beschreiben, die das Leben der Vielen besser machen kann und nicht verschlimmert. Das geht nicht ohne die Verschränkung mit Umverteilungspolitik, denn die Transformation darf nicht von den knappen Kassen der Beschäftigten geschultert werden. Klimaschutz als Garant für Wohlstand und Zukunft muss zwingend die arbeitenden Menschen fokussieren, um sozial und demokratisch denk- und gestaltbar zu sein. Bisher werden die Grünen von einer relativ wohlhabenden Wählerschicht getragen. Es muss ihnen nun darum gehen, mit einem glaubwürdigen politischen Angebot auch an die Bürger der unteren Mittelschicht heranzutreten, von dem diese spürbar materiell profitieren.Zweitens bedarf es einer besseren Positionierung in einer neuen Phase verschärfter Systemkonkurrenz. In den USA etabliert sich eine autoritäre Abschottungspolitik inklusive Tech-Oligarchentum, Russland sichert seine imperialen Interessen nach innen autoritär, nach außen militärisch ab, in China regiert ein autoritärer Staatskapitalismus. Als Reaktion auf diese verschiedenen Autoritarismen reflexartig Neoliberalismus und Globalisierung zu verteidigen, ihre Probleme kleinzureden und die Zusammenhänge zwischen ihnen und dem Aufstieg der Rechten auszublenden, wird scheitern.Ein kluger WegFreiheit und Demokratie in Europa dürfen politisch nicht mit Neoliberalismus, Freihandelsabkommen, militärischer Aufrüstung und Deregulierung gleichgesetzt werden. Ein kluger Weg ist von den Grünen zu entwickeln, der an regulierten Produktions- und Handelsbeziehungen entgegen dem diffusen Zoll-Zirkus festhält sowie einen gerechteren europäischen Binnenmarkt vorantreibt – und gleichzeitig die Verwerfungen sozial abfedert, zu denen Globalisierung und ökologische Transformation führen und geführt haben. Um Leitlinien für die Arbeitswelt und Wirtschaft der Zukunft zu skizzieren, sind die Gewerkschaften organische Bündnispartner, mit denen die Grünen ihren Austausch intensivieren sollten.In den Verhandlungen um die Infrastrukturmilliarden haben sich die Grünen als machtbewusste und realistische Verhandler*innen positioniert, die pragmatisch Korrekturen durchsetzen. Ein lediglich reaktiver Modus bei einer Regierung ohne besondere Strahlkraft wird den Anforderungen an eine Opposition in diesen Zeiten nicht gerecht.



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Von Veritatis

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