Noch nie seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen hat es im Frühjahr so wenig geregnet wie in diesem Jahr. Das hat Folgen: für die Wälder, die Kühe, die Schifffahrt. Und selbst die Konjunktur leidet
Hier war einmal ein Bodensee. Vielleicht braucht auch die Stadt einen neuen Namen? Sie heißt: Wasserburg
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Das Einzugsgebiet des Fredersdorfer Mühlenfließes ist 230 Quadratkilometer groß. Der kleine Fluss entspringt zwischen den Anhöhen des Naturparks Barnim nordwestlich von Berlin und mündet in die Spree. Eigentlich. Aktuell aber ist das Flüsschen ausgetrocknet.
Für Martin Pusch ist das ein dramatisches Alarmsignal. „Einer der besten Indikatoren für den Wasserhaushalt ist die Wasserführung der Fließgewässer“, erklärt der Forscher des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Wasser in Bächen und Flüssen sei „der Überschuss, der aus der Landschaft herausfließt.“ Aktuell aber gibt es nicht viel Überschuss. Im Gegenteil: Deutschland leidet unter großer
oßer Dürre.Fünf Stufen kennt der „Dürremonitur“ des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ). Aktuell sind zwei Drittel der deutschen Landkarte dunkelrot eingefärbt: Die „außergewöhnliche Dürre“ im Oberboden bis 25 Zentimeter Tiefe ist noch schlimmer als eine „extreme Dürre“. Extrem ist es in Franken, der Eifel oder in Thüringen, aber ganz Norddeutschland ist „außergewöhnlich“ von Dürre betroffen, also dunkelrot. Dasselbe gilt für fast komplett Nordrhein-Westfalen und Sachsen, Nordhessen, das Fichtelgebirge, den Oberpfälzer Wald, die Schwäbische Alb oder den Schwarzwald. Nur in Ostbrandenburg, dem nördlichen Württemberg und in Teilen Oberbayerns ist der Monitor orange gefärbt. Aber auch das kein Grund für Entwarnung. Es bedeutet: „schwere Dürre“.Seit Beginn der Aufzeichnung von Wetterdaten – im Falle des Deutschen Wetterdienstes DWD also seit 1931 – war es im Frühling noch nie so trocken wie in diesem Jahr. Den Regen-Negativ-Rekord der zehn Wochen nach dem 1. Februar hielt bislang das Jahr 1976. Damals registrierten die fast 2.000 Messstationen des DWD im Durchschnitt 55 Litern Regen. In diesem Jahr gab es allerdings in diesem Zeitraum lediglich 40 Liter – und das auch nur im deutschlandweiten Durchschnitt.Besonders betroffen ist Norddeutschland. „In normalen Jahren haben wir hier 150 bis 180 Liter Regen bis Anfang Mai“, sagt Björn Scherhorn, der auf 100 Hektar im Landkreis Osnabrück an der Grenze zum Artland eine Biomilchwirtschaft betreibt. „In diesem Jahr waren es bislang 17 Liter“, sagt der Vater von fünf Kindern. Nach zuletzt zwei viel zu nassen Jahren droht dem Betrieb schon wieder das, was ihm 2018, 2019 und 2021 widerfuhr: „Der wirtschaftliche Schaden durch die Dürre lag bei 45 Prozent.“ Auch Getreide baut Familie Scherhorn an, und das ist schon jetzt gefährdet: Keimlinge verfügen noch nicht über ein ausgedehntes Wurzelsystem. Fehlt Feuchtigkeit zu dessen Ausbildung, sind irreversible Störungen die Folge.Zuständig für den Dürremonitor am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig ist Andreas Marx. „Dürre ist kein absoluter Zustand“, erklärt der Hydrologe. „Als Dürremonat wird ein Monat beschrieben, der 80 Prozent weniger Bodenfeuchte aufweist als im Mittel der Jahre 1951 bis 2015.“ Wenn Marx im Gelände unterwegs ist, hat er eine Schaufel dabei, um den Boden zu untersuchen. Sandige Böden nehmen Wasser zwar schneller auf als schwere, tonhaltige; sie speichern Feuchtigkeit aber wesentlich schlechter.Der März dieses Jahres war viel zu heiß: Verglichen mit der internationalen Referenzperiode lag die Temperatur um 2,6 Grad höher. „Der Boden ist dann wie imprägniert, ausgedörrte Böden sind in der Regel selbst nach einem starken Regenguss staubtrocken“, sagt Marx. Zwar sehe die Oberschicht nach einem Platzregen nass aus. Doch in die tieferen Schichten dringe der Regen nicht mehr vor. Marx vergleicht das mit dem Kuchenbacken: „Schüttet man Milch auf trockenes Mehl, vermengt sich beides kaum. Ein feuchter Teig hingegen nimmt Flüssigkeit sehr leicht auf.“Jede Nacht wird der Dürremonitor aktualisiert, Daten der Wetterstationen des Deutschen Wetterdienstes werden eingespeist. Die Ergebnisse zeigen, dass Deutschland seit den 1950er-Jahren bereits deutlich trockener geworden ist. Seit dem Start des Dürremonitors 2014 gab es kein einziges Jahr mehr, in dem er nicht irgendwo in Deutschland tiefrote Gebiete zeigte: „außergewöhnliche Dürre“.Natürlich gab es auch früher trockene Jahre, erklärt Andreas Marx, etwa 1963/64 oder besagtes Jahr 1976. Doch 2018 und 2019 seien wirklich extrem gewesen: Gleich zwei Jahre hintereinander so großflächig so wenig Wasser – das gab es in Europa seit 250 Jahren nicht. Dann folgte die Frühjahrstrockenheit 2020: Es war das bis dato sechsttrockenste Frühjahr seit 1881. „Als Landwirt bist du unmittelbar betroffen“, sagt Björn Scherhorn, „wir müssen auf den Klimawandel reagieren.“ Kühe fühlen sich am wohlsten bei 15 Grad, steigt die Temperatur über die 30-Grad-Marke leiden sie unter Hitzestress. Der sorgt nicht nur dafür, dass die Kühe weniger Milch geben – auch die Eutergesundheit, die Fruchtbarkeit, der gesamte Stoffwechsel leidet.260 Tage im Jahr dürfen die Kühe der Scherhorns auf die Weide, die Aufzucht nennt sich „muttergebunden“: Anders als in vielen anderen Landwirtschaften wird das Kalb nicht von der Mutter getrennt, sondern darf sich Milch holen, so oft es will. Björn Scherhorn will, dass es seinen Kühen gut geht. „Wir züchten deshalb jetzt kleinere Kühe“, sagt der 44-Jährige. Scherhorn hofft, so den Hitzestress schmälern zu können.Modellrechnungen zeigen, wie sich das Problem verschärfen wird. Eine so extreme Trockenheit wie 2018, 2019 und 2021 wird bei ungebremstem Klimawandel bis Ende des Jahrhunderts etwa sieben Mal häufiger auftreten als bisher. Welchen Unterschied strenger Klimaschutz machen würde, führt eine andere Studie vor Augen: Erwärmt sich die Erde um drei Grad, wären in Mitteleuropa 40 Prozent mehr Gebiete von Dürre betroffenen als bei 1,5 Grad Erwärmung. Auch die Zahl der Dürremonate würde steigen, hierzulande wären besonders Ost- und Süddeutschland betroffen. Genau dort zeigt aktuell ein anderer Index höchste Gefahr: Der Waldbrandgefahrenindex ist in Brandenburg rot eingefärbt, vor zwei Wochen war er das auch in Teilen Süddeutschlands.Natürlich lässt sich die Trockenheit auch an den Gewässern beobachten: Auf dem Rhein musste wegen Niedrigwasser die Schifffahrt gedrosselt werden. Mitte April fiel der Pegel in Kaub an der Loreley unter 80 Zentimeter, zu wenig für vollbeladene Lastkähne. Aktuell reicht der Wasserstand nur noch für ein Drittel der Frachtkapazität. Konzerne wie BASF oder Thyssenkrupp, die viel Fracht über den Rhein beziehen, müssen diese deshalb auf mehrere Schiffe verteilen. Das erhöht die Kosten, weshalb das RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung die niedrigen Pegel als Gefahr für das Wirtschaftswachstum sieht.Zum ausbleibenden Regen fehlt dem Rhein Schmelzwasser aus dem Alpenschnee. Was auch am Bodensee sichtbar ist: Der aktuelle Wasserstand in Konstanz liegt 15 Zentimeter unter dem langjährigen Mittelwert. Besserung nicht in Sicht.Was tun gegen diese dramatische Lage und gegen die trüben Aussichten? „Wir probieren neue Wirtschaftsformen“, sagt der 43 Jahre alte Bauer Björn Scherhorn. Etwa Agroforste: Neben den Feldern werden Bäume gepflanzt, die Schatten spenden und die Verdunstung reduzieren sollen. „Mittlerweile sind aber auch Kiwis oder Aprikosen denkbar“, sagt Scherhorn.Und zwar in Niedersachsen. Der Klimawandel ist längst da.