Russland und die USA sind sich in vielen Punkten einig. Jedoch müssen Kiew und Moskau ebenfalls verhandeln
Das war Rom. Donald Trump gönnte Wolodymyr Selenskyj 15 Minuten
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Bei Friedensverträgen gibt es häufig Sieger und Verlierer, Überlegene und Unterlegene, Konzessionen und Kompromisse, nie aber einen solchen Interessenausgleich, dass sich zwei oder mehrere Kriegsparteien in jeder Hinsicht gerecht behandelt fühlen. Im März 1918 diktierten die Mittelmächte (Deutschland/Österreich-Ungarn) in Brest-Litowsk dem Russland der Bolschewiki einen Frieden, bei dem es zu Gebietsverlusten von 1,4 Millionen Quadratkilometern kam. Von den „Versailler Verhandlungen“ 1919 war das Deutsche Reich durch Frankreich, Großbritannien und die USA, den Siegermächten des Ersten Weltkrieges, vollständig suspendiert. Eine deutsche Delegation durfte lediglich entgegennehmen, was entschieden war. Beim Pariser Vietnamabkommen
en im Januar 1973 erbombten sich die USA Zugeständnisse der Nordvietnamesen, die ihnen aus Prestige- und innenpolitischen Gründen als unverzichtbar erschienen, sich später aber als vollkommen belanglos erwiesen.Jeder Vertragsfrieden kann zum „Diktatfrieden“ werden, wenn sich darin militärische Kräfteverhältnisse spiegeln – und sei es ein Patt. Wird verhandelt, geht dem in der Regel die Einsicht voraus, dass auf politischem Wege künftig mehr zu erreichen sein könnte als bisher auf kriegerischem. Nur gibt es keinerlei Garantien, dass es so kommt. Zwischen den USA und Russland als den maßgeblichen Antipoden im Kampf um die Ukraine genießen derzeit – erstmals seit gut einem Jahrzehnt – diplomatische Kontakte Priorität. Zwischen Russland und der Ukraine dürften diese unumgänglich sein, sollte es zwischen Washington und Moskau unumstößliche Übereinkünfte geben. Es hat den Anschein, als seien die größtenteils gefunden, wie sich dem Treffen zwischen Wladimir Putin und dem US-Gesandten Steve Witkoff am 25. April in Moskau entnehmen ließ. Besiegelt allerdings ist nichts.Mutmaßlich handelt Donald Trump in der Überzeugung, dass Nachteile für Kiew unabwendbar sind, sich aber eingrenzen lassen, sofern Wolodymyr Selenskyj zu Konzessionen bereit ist und die USA davon profitieren. Das erneuerte, unterschriftsreife, noch mehr auf US-Interessen zugeschnittene Rohstoffabkommen – es war noch Ende Februar gescheitert – deutet an, in welche Richtung das gehen soll. Pläne der USA, mit Russland den noch intakten Strang der Gaspipeline „Nord Stream II“ zu reaktivieren, ebenso.Kampfkraft und KriegswendeNach dem Treffen Trump-Selenskyj während der Trauerfeier für Papst Franziskus in Rom wurde kolportiert, man sei sich einig gewesen, dass der Ukraine die Waffen fehlen, um die Krim zurückzuerobern. Unausgesprochen blieb, dass die USA dafür so wenig aufkommen wollen, wie eine NATO ohne USA dafür aufkommen kann. Ganz abgesehen davon, dass es Kiew an Truppenstärke und Kampfkraft für eine Kriegswende fehlt. Eine Feuerpause und die Verständigung mit Russland sind alternativlos, will man der Alternative Krieg ohne Ende entkommen. Wer sich dagegen entscheidet, verantwortet Tod und Zerstörung, die ein Land wie die Ukraine an den Rand seiner ökonomischen Existenz und die unterstützenden EU-Staaten den ihrer Zahlungswilligkeit bringen. Insofern lautet die Frage weniger, ob die ukrainische Regierung Zugeständnisse machen muss, sondern welche das sein werden.Das kursierende Witkoff-Papier kommt Russland fraglos entgegen, ohne durchweg dessen Positionen zu bedienen. Die USA erkennen de jure die russische Übernahme der Halbinsel Krim an, desgleichen die Kontrolle von Saporischschja, Donezk und Cherson – nicht jedoch eine Beherrschung dieser Regionen in Gänze. Die Ukraine erlangt bei vorübergehender US-Kontrolle die Verwaltung des Kernkraftwerk Saporischschja zurück, das künftig beiden Seiten Strom liefern soll, wie das nach einer Wiederinbetriebnahme der Turbinen des Kachowka-Staudamms am Unterlauf des Dnepr gleichsam der Fall wäre. Die Ukraine hat das Recht zur ungehinderten Schifffahrt auf diesem Strom, inklusive der Präsenz auf der Kinburn-Nehrung, einem Gebiet im Nordwesten der Kinburn-Halbinsel, die der ukrainischen Küste und der Hafenstadt Otschakiw gegenüberliegt.Wenn die Ukraine auf eine Mitgliedschaft in der NATO verzichtet, bleibt die Frage nach „umfassenden Sicherheitsgarantien“, für die sich bisher bei den Amerikanern nur die vage Formel findet: Die Garantiestaaten würden eine Ad-hoc-Gruppe europäischer Staaten und williger nichteuropäischer Staaten sein. Wer dafür in Betracht kommt, bleibt offen. Nachdem die USA erneut bekräftigt haben, sich dabei auf nichts Verpflichtendes einzulassen, hat sich Großbritannien als Truppensteller mit der Begründung zurückgezogen, die Risiken einer solchen Mission seien zu hoch.Würden die russischen Eroberungen zunächst hingenommen, wäre ein Territorialkonflikt eingefroren wie zwischen Moldawien und Transnistrien oder Abchasien und Georgien. Präsident Selenskyj kann das billigen, solange dadurch die russische Landnahme auf eigenem Gebiet nicht als dauerhaft und legal anerkannt wird, was sich als gesichtswahrende Formel festhalten ließe – zwischen den USA und der Ukraine etwa. Freilich wäre damit ein Territorialkonflikt offen eingestanden, sodass eine NATO-Aufnahme auch aus diesem Grund entfiele. Denn damit entstehen im Konfliktfall Beistandspflichten, denen sich das Bündnis wegen der Tragweite eines Eingreifens nicht aussetzen will. Bisher jedenfalls war das so.