Die These Ihres Buches ist, dass die Klimakrise ein Symptom globaler Ungleichheit und Ungerechtigkeit ist. Das wird manchen Leuten ziemlich verquer vorkommen, die meinen, dass die Erderwärmung von der Menge der Treibhausgase verursacht wird, die wir in die Atmosphäre schicken.

Ja, natürlich, wenn man sich einfach an die Physik hält, dann wird die Erwärmung durch die Menge an Kohlenstoff in der Atmosphäre verursacht. Aber die Menge an Kohlenstoff in der Atmosphäre wird durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe verursacht. Dazu kommt, dass diejenigen, die von der Verbrennung fossiler Brennstoffe profitieren, die wenigen bereits reichen Leute sind. Es sind die vermögenden Personen, die an den Unternehmen beteiligt sind oder diese selbst besitzen. Die große Mehrheit der Menschen profitiert nicht. Der Amerikanische Traum ist soziale Mobilität, nicht die Verbrennung von fossilen Brennstoffen.

Sie argumentieren, dass Rassismus, Kolonialismus und Sexismus Ursachen für die globale Erwärmung sind. Diese Dinge in Angriff zu nehmen, dürfte schwieriger sein als eine rein technische Lösung für die Klimakrise.

Natürlich ist das eine größere Herausforderung als nur irgendetwas zu erfinden. Wir haben schließlich Solarenergie und andere Erneuerbare Energien und das löst das Problem nicht. Das Problem lässt sich nur lösen, wenn wir die darunter liegenden Ursachen angehen. Und ich argumentiere, dass das die Ungleichheiten in unserer Gesellschaft sind.

Manche Leute würden sagen, dass das politische Statements sind, und Wissenschaftler sich an die Wissenschaft halten sollten. Was entgegnen Sie?

Die Idee, dieses Buch zu schreiben, kam durch meine Arbeit. Bei jeder unserer Studien untersuchen wir, welche Rolle der Klimawandel bei einem Wetterereignis gespielt hat, das letztlich zu einer Katastrophe geführt hat. Aber wir schauen uns auch an, was sonst noch alles passiert; wer betroffen ist und warum. Für alle Fälle lässt sich Folgendes sagen: Was das Wetter in eine Katastrophe verwandelt, ist nicht die Regenmenge, sondern wie verletzlich die Menschen sind und wie gut oder schlecht vorbereitet. Es kommt darauf an, welches Wetterereignis wir betrachten und wo in der Welt wir uns befinden. Aber letztlich erweisen sich die Folgen als umso schwerer, je ungleicher die betroffene Gesellschaft ist, sei es eine Großstadt in den USA oder ein westafrikanisches Land.

Der Zusammenhang zwischen der Gewinnung fossiler Brennstoffe und Kolonialismus und Rassismus liegt auf der Hand, aber können Sie erklären, was Sexismus mit der Erderwärmung zu tun hat?

In allen unseren Studien kamen wir zu dem Ergebnis, dass je patriarchaler die Strukturen in einer Gesellschaft sind, desto schlimmer auch die Folgen des Klimawandels. Wenn Frauen von Entscheidungen ausgeschlossen sind und keinen Zugang zu Finanzierung haben, sterben bei extremem Wetter viel mehr Menschen oder verlieren ihre Lebensgrundlage.

Warum halten Sie den Begriff „Naturkatastrophe“ für irreführend?

Es gibt Naturgefahren, obwohl sie durch den Klimawandel in manchen Fällen auch ziemlich unnatürlich werden. Aber ob es zu einem Desaster kommt, hat wenig mit der Natur, sondern mit der von den sozialen Bedingungen abhängigen Anfälligkeit zu tun.

Ist der UN-Klimagipfel-Prozess geeignet, das Notwendige zu tun? Das System der Weltklimadiplomatie scheint eher den Status quo zu erhalten?

Nein, bisher hat er sich nicht als geeignet erwiesen, weil er nicht erreicht, was wir brauchen: schnelleren Wandel und vor allem Veränderungen, von denen wirklich die Mehrheit der Menschen profitiert und nicht nur einige wenige. Aber das ist nicht die Schuld des UNFCCC-Prozesses. Durch ihn haben wir tatsächlich sogar relativ viel erreicht. Wenn wir nicht das Gespräch gesucht hätten, wären wir auf dem Weg hin zu einer vier oder fünf Grad wärmeren Welt. Heute sieht es nach einer drei Grad wärmeren Welt aus, was immer noch eine Welt ist, in der wir absolut nicht leben wollen. Aber es ist dem UNFCCC-Prozess zu verdanken, dass wir auf einer internationalen, weltweiten Ebene über den Klimawandel sprechen.

Im Abkommen von Paris steht, dass uns der Klimawandel am Herzen liegt, weil er gegen die Menschenrechte verstößt und wir etwas dagegen tun wollen. Das ist eine große Errungenschaft. Wir dürfen jetzt nicht sagen: „Oh, alles Mist, lasst es uns aufgeben“. Stattdessen müssen wir uns fragen: Wie lassen sich diese Institutionen stärken, denn sie können uns dienen und wir brauchen sie.

Tragen Einzelpersonen auch Verantwortung? Politiker, Geschäftsleute, sogar Wissenschaftler?

Der Prozess – in Form von Institutionen, Welt-Klimakonferenzen, internationalem Justizsystem und so fort – ist großartig, aber er kann nur funktionieren, wenn er von allen unterstützt wird. Im Moment ist zu beobachten, dass viele versuchen, diese Institutionen zu demontieren. Wir alle – Politiker, Wissenschaftler und so weiter – haben die Pflicht, für sie zu kämpfen. Ohne diese Institutionen wird es keinen Wohlstand geben.

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Sie haben über die Hitzewelle 2021 in der US-amerikanischen Pacific North-West geschrieben, die mehr als tausend Todesfälle und enorme wirtschaftliche Auswirkungen verursachte. Sind Sie darüber besorgt, dass dramatische Ereignisse wie diese nicht als Weckrufen wirken?

Wir brauchen nicht Weckrufe, sondern mehr als das. Ohne eine Vorstellung davon, was getan werden muss, werden sie nicht ausreichen. Aber wir haben einige Dinge von diesen Ereignissen gelernt. Zum Beispiel ist einer der größten Unterschiede für die Zahl der Todesopfer bei jedem extremen Wetterereignis, ob es funktionierende Frühwarnsysteme gibt oder nicht. Das war bei Hurrikane Helene deutlich zu sehen.

In Florida sind die Leute an Hurrikane gewöhnt und wissen: Wenn eine Wettervorhersage besagt, dass man das Gebiet verlassen soll, muss man das Gebiet verlassen. Im Gegensatz dazu sind ein bisschen weiter nördlich im Appallachen-Mittelgebirge die Menschen weniger daran gewöhnt und befolgten die Evakuierungsaufrufe weniger. Dazu kam sehr viel Fehlinformation und dass die Bundesagentur für Katastrophenschutz FEMA dafür angegriffen wurde, Leuten zu helfen. Daher war die Zahl der Todesopfer dort deutlich höher.

Eine republikanische Kongressabgeordnete erklärte Anfang Oktober 2024, die damals noch regierende US-Regierung unter Joe Biden stecke hinter dem verheerenden Hurrikan Helene.

Die Tatsache, dass man so etwas sagen kann und möglicherweise die Hälfte der Leute, die es hören, denkt: „Ja, wieso nicht?“ – das ist ein großes Problem. Ich weiß nicht, wie sich das Problem „Fakten spielen keine Rolle mehr“ lösen lässt.

Diese Leute Klimakrisen-Leugner zu nennen, wirkt unzureichend?

Je unglaublicher die Lüge ist, desto besser bleibt sie haften. Wir haben so viele Beweisketten und so viele Daten und alles besagt das Dasselbe. Damit, die Daten zu hinterfragen, lässt sich nicht argumentieren, dass der Klimawandel nicht passiert. Daher ist der „faktenfreie Ansatz“ tatsächlich das Ergebnis des Erfolgs der Wissenschaft.

Sie haben die Hitzewelle in der US-Region Pacific Nordwest als „mathematisch unmöglich“ bezeichnet; so selten, dass sie nur einmal in 100.000 Jahren vorkommen könnte.

Ja, wenn sie die Klima-Wissenschaften nicht einbeziehen. Sobald man die globale Erwärmung berücksichtigt, ändert sich das: von einem Wert, der außerhalb dessen liegt, was man bei einer normalen statistischen Auswertung erwarten würde, auf 1 zu 100 oder 200.

Und die Wahrscheinlichkeit wird größer?

Ja, viel größer. In einer Welt mit zwei Grad Erderwärmung würde man so etwas ungefähr alle fünf Jahre erwarten.

Anfang April wies ein Vorstandsmitglied des weltweiten Versicherungsunternehmens Allianz SE darauf hin, dass wir auf dem Weg sind, einen Anstieg von 2,2 bis 3,4 Grad Celsius über das vorindustrielle Niveau zu erreichen. Bei einem Anstieg von drei Grad seien viele Regionen nicht mehr versicherbar und Investitionen dort zu unsicher – letztlich wäre der Kapitalismus nicht mehr lebensfähig. Halten Sie das für richtig?

Es ist interessant, das so von einem Versicherer zu hören. Der Kapitalismus, wie wir ihn heute kennen, wäre nicht überlebensfähig. Wir sind auf dem besten Weg, ihn unabsichtlich zu Fall zu bringen.

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Friederike Otto ist Dozentin für Klimawissenschaften am Imperial College London. Sie ist auch Mitgründerin der Initiative World Weather Attribution, die versucht, den Einfluss der Erderwärmung auf die Intensität und Wahrscheinlichkeit eines Extremwetterereignisses zu bestimmen. Das Projekt untersucht außerdem, wie bestimmte Faktoren, etwa schlecht geeignete Architektur oder Armut, Hitzewellen, Hurrikane, Überflutungen und Waldfeuer verstärken. Das ist auch das Thema ihres zweiten, gerade auf Englisch erschienenen Buches Climate Injustice: Why We Need to Fight Global Inequality to Combat Climate Change. (Deutscher Titel: „Klimaungerechtigkeit – was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat“. Erschienen 2023 im Ullstein Verlag).

Ian Tucker leitet die Rubrik „Wissenschaft, Technologie und Natur“ beim Guardian.



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Von Veritatis

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