Viele Menschen lesen bewusst nicht mehr so viele Nachrichten – Medienhygiene. Gute Idee. Unsere Autorin hat das auch versucht und stößt an ihre Grenzen
Glücklicher ohne Nachrichten? Wenn es so einfach wäre
Foto: Dasha Yukhymyuk/unsplash
Wussten Sie schon, liebe Lesende, dass in Ulm kürzlich eine Brücken-Weltneuheit eingeweiht wurde? Es ist die erste befahrbare Brücke, die zu 25 Prozent aus Flachs besteht und zudem noch Töne von sich gibt. Genial, was? Und jetzt spüren Sie bitte in sich hinein. Geht es Ihnen jetzt besser als zuvor, als Sie vielleicht noch nichts von der Flachsbrücke wussten? Ja? Fragen Sie sich dann manchmal auch – wie ein Nachrichtenleser namens „jimjimjim“, der mir neulich im Netz begegnete – wo eigentlich die positiven Nachrichten hin sind?
Denn: „Früher hieß es immer wieder ‚neue Brücke fertiggestellt‘ oder so. Und zwar im Sinne einer das Volk betreffenden Meldung, also etwas, das Fortschritt zeigte“. So komment
So kommentierte jener jimjimjim einen aktuellen Artikel zur sogenannten News Fatigue.Diese Fatigue treibt ihr Unwesen zwar schon seit 20 Jahren, doch noch nie habe sie so grassiert wie derzeit. Letztes Jahr meldete die Nachrichtenagentur Reuters, dass 69 Prozent der Erwachsenen im Internet bewusst an den News vorbeiklickten. 41 Prozent fühlten sich von der Menge an verfügbaren Nachrichten erschöpft. 2019 waren es nur 26 Prozent. Uff! Schon wieder so ein Downer! Schnell nochmal an die Brücke denken? Oder an Zollhündin Heidi! Sie erschnüffelte am 24. April am Berliner Flughafen 68 Kilogramm Cannabis. Wow! Zuerst beeindruckt mich der Super-Hund. Dann überlege ich: Hätte ich es – bei einer solchen Menge – vielleicht selbst erschnüffeln können? Die newsgetriggerte Vision, wie ich am Flughafen Cannabis erschnüffle, steigert meine Laune erheblich.Habe ich jetzt genug Medienhygiene betrieben, um mich mit den vier K (Krisen, Kriege, Katastrophen und Kapitalverbrechen) zu konfrontieren? Oder befeuere ich damit nur wieder das sogenannte „Gemeine-Welt-Syndrom“? Das wurde schon vor mehr als 30 Jahren entdeckt und Leuten attestiert, die zu viel Gewalt – ob echt oder fiktional – im Fernsehen konsumiert hatten. Diese Vielseher sähen sich dann vermehrt als Opfer. Also was tun?Jan Michael Rasimus, Leiter des Eye-Tracking-Labors der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Karlsruhe, gibt in einer Pressemitteilung folgende Tipps: „1. Feste Zeiten für den Nachrichtenkonsum setzen.“ Okay. „2. Seriöse Quellen nutzen“. Ja, aber doch nicht ausschließlich! Ich muss doch auch wissen, was andere lesen. „3. Lösungsorientierte Berichterstattung wählen“ Hm? Lösungsorientiert über Mord und Totschlag, Gaza, Ukraine berichten? Wie soll das denn gehen? „4. Pausen einlegen“. Genau! Hinaus in die echte Welt. Natürlich!Und so setze ich mich dann in Bewegung, hinein in die Berliner Öffis, vielleicht schaue ich mal im Kommunikationsmuseum vorbei, da gibt es gerade eine große Ausstellung über Nachrichten und was sie mit uns anstellen. Aber, ach, liebe Lesende, nun kommt‘s. Das, was ich da in und um die Öffis sehe und erlebe, menschliche Existenzen, liegend, schwankend, ausdünstend, brüllend, das löst bei mir – so fürchte ich – eine kleine Real World Fatigue aus. Und nach allem, was ich jetzt weiß, ist dann ja wohl dringend eine Runde Realitätshygiene angesagt, bevor mich diese Eindrücke noch völlig überschwemmen.Einfach eine Pause einlegen, einfach mal raus aus der Realität also, zum Glück habe ich mein Smartphone, da kann vielleicht die News checken … Was?! NATO steht vor der Auflösung!!Placeholder image-1Die RatgeberinSusanne Berkenheger war früher Netzliteratin (Zeit für die Bombe) und Satirikerin (SPAM bei Spiegel online). Für den Freitag schreibt sie sehr gerne ihre monatliche Kolumne „Die Ratgeberin“.