In Beiruts großer armenischer Gemeinde gibt es Sympathien für die Hisbollah


Burj Hamoud, im Osten von Beirut

Foto: Roy Issa/AFP via Getty Images


Bourj Hammoud, in den 1920ern Jahren auf Sümpfen östlich des Beirut-Flusses errichtet, dürfte mit etwa 170.000 Menschen die größte armenische Stadt außerhalb des Staates Armenien sein. In der Stadtverordnetenversammlung sind 13 der 21 Abgeordneten armenisch. Wer im Ostbeiruter Whiskybar-Viertel Mar Michael loswandert, ist in einer Viertelstunde da. Bourj Hammoud ist eine unprätentiöse Arbeitervorstadt, statt Fine Dining gibt es das in ganz Beirut bekannte Takeaway-Lokal „Mano“. Armenische Juweliere und die martialisch roten Fahnen der dominanten Traditionspartei „Armenische Revolutionäre Föderation“ (Daschnak) markieren das Terrain, es gibt in Beirut zehn Klubs armenischer Parteien, acht sind von Daschnak. Dort lungern abends fußballaffine ältere Herren herum, darunter der Rentner Sarkis. Er kam als Kind mit der vom arabischen Nationalismus ausgelösten Fluchtwelle aus Syrien, der erwogene Alterssitz Jerewan ist ihm wegen der Aufwertung des armenischen Dram zu teuer.

Der Explosionskoordinator

Man sieht in Bourj Hammoud viele Märtyrer-Poster der Hisbollah. Ein armenischer Fastfood-Verkäufer flüstert mir zu, der Griller meines Hähnchens habe als syrischer Schiit bei Damaskus für die Hisbollah gekämpft. „Die ist aber nicht terroristisch, bloß doktrinär.“ Bei einer armenischen Schule verstört mich eine Heiligenvitrine. Die Madonna erinnert an Italien, nur dass jemand ein Foto von Hisbollah-Führer Nasrallah hinter sie stellte. Das Foto scheint niemanden zu stören, freilich ist es ziemlich verblichen.

In einem fünfstöckigen Silber-Metallic-Würfel finden sich der Sitz der Partei Daschnak, einer Radiostation und der Zeitung Aztaq. Einer ihrer älteren bildungsstolzen Autoren nennt den Libanon „das Herz der armenischen Diaspora“, ein anderer einen „failed state“. Die armenische Community blieb im Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990 weitgehend neutral. Der traurige Hintergrund: In Bourj Hammoud hatte es schon 1958 geknallt, die prowestliche Daschnak und die prosowjetische Huntschak schossen aufeinander. Nach der Nasrallah-Madonna gefragt, grinsen die beiden: „This is Lebanon!“

Es folgt ein Interview im Rathaus mit George Grigorian, Mitstreiter des armenischen Oberbürgermeisters und Daschnak-Abgeordneter in der Stadtverordnetenversammlung. Im Sommer 2020 – nach der Explosion von 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen („54 Prozent der Häuser in Bourj Hammoud waren betroffen“) – wurde er zum Explosionskoordinator. Der einstige Lehrer für arabische Literatur beschreibt seinen Job in bestem Englisch als „managing diversity“: „Wir haben in Beirut kein Kolosseum, nur die Diversität unserer Menschen.“ Gerade unter den 10.000 Syrien-Flüchtlingen gebe es unzählige Identitäten, „turkmenische Schiiten, turkmenische Sunniten, eben alles“. Grigorian betont, dass Armenier den Völkermord vor 110 Jahren in der heutigen Türkei nicht mit der Religion der Täter assoziieren würden: „Es waren arabische Sunniten, die uns hier willkommen geheißen haben.“ Wie bei vielen libanesischen Armeniern ist seine Haltung zu den Nachbarn der Hisbollah differenziert. „Nicht wenige sehen sie als Widerstandsbewegung.“ Ich bringe das Thema auf den Vorwurf eines israelischen Genozids in Gaza. Die Frage, ob Libanons Armenier Israel als Feindstaat ansehen, verneint er nicht: „Als loyale Bürger fühlen sie sich mehrheitlich der Position des libanesischen Staats verpflichtet“ – der sich offiziell seit jeher im Kriegszustand mit Israel befindet.

Hinterher tauche ich noch einmal in das Gewühl des Hisbollah-Kiezes von Bourj Hammoud ein. Bald brauchen die Sinne Erholung, ich setze mich ins Innere eines Straßencafés und schließe für längere Zeit die Augen. Als ich sie wieder öffne, sitzt ein neuer Gast auf der Terrasse und zeigt eine Pistole dem offenbar sachkundigen Barista. Dass ich zusehe, ist ihnen schnurz.

Europa Transit

Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrost über nahe und fernab gelegene Orte in Europa

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Von Veritatis

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