Die ostdeutsche Autorin Heike Geißler ist für ihre systemkritischen Texte bekannt. Ihr neuer lesenswerter Essay heißt „Arbeiten“ und es geht darin von Brecht über Elke Erb zu Steuerbetrüger René Benko
Die Autorin Heike Geißler
Foto: Cihan Çakmak
Wenn es nach Heike Geißler geht, ist alles Arbeit. Nicht nur die Lohnarbeit, die Reproduktionsarbeit und die Sorgearbeit, sondern eben auch das: die Gegenwart wahrzunehmen, nicht in Groll und Panik zu verfallen, bei Verstand zu bleiben, sich zu beruhigen, innezuhalten, auf konstruktive Gedanken zu kommen und diejenigen zu suchen, die tröstende Ablenkungen und gute Ideen haben.
Einig sind sich alle: Die Arbeitswelt kennt keine Gnade
2014 schrieb Geißler Saisonarbeit (2014), ein Buch über ihren dreimonatigen „Arbeitsaufenthalt“ als Aushilfskraft beim Versandhändler Amazon. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich Geißler für die Essayreihe über die „zehn wichtigsten Themen des Lebens“ von Hanser Berlin mit dem Thema Arbeiten als Autorin empfiehlt. Auch biografisch ist Geißler prädestiniert: Als Arbeiterkind aufgewachsen in Riesa und Karl-Marx-Stadt, ist die Schriftstellerin, die 2022 mit ihrem Roman Die Woche (Suhrkamp) für den Leipziger Buchpreis nominiert war, für ihre systemkritischen Texte bekannt.
Arbeiten ist eine Abrechnung. In kurzen, zwar liebevollen, aber doch wütenden Briefen adressiert die Autorin darin immer wieder die Arbeitswelt, kritisiert und erklärt, warum die „Deckungsgleichheit mit dem vorherrschenden System“ sie beschädigt hat. Dazwischen entfaltet sich eine Mischung aus alltäglichen Beobachtungen aus dem Arbeitszimmer heraus, Zitaten von Bertolt Brecht bis hin zu Elke Erb, der Büchner-Preisträgerin von 2020, Interviewfetzen aus Gesprächen mit Bauarbeitern, Paketzustellern, Freunden und Bekannten, die aufgrund ihrer chronischen Krankheit oder ihres Aktivismus eine ganz eigene Sicht auf Arbeit haben. Einig sind sich alle: Die Arbeitswelt kennt keine Gnade.
Liest man diesen Essay, kommt man gar nicht umhin, sich die Arbeit hinter den Gebrauchsgegenständen, die wir täglich benutzen, buchstäblich vorzustellen: das Nähen der Kleidung, das Verpacken der Ware, bei all den Dingen, die wir täglich nutzen. Auch das ist eine Stärke des Buchs: die Erinnerung an den Ursprung der Dinge, der in einer globalisierten Welt zwar nicht unbekannt, aber oft unsichtbar bleibt. Und dann sind da noch die biografisch-historischen Bezüge zur Arbeit in zwei Systemen, in DDR und BRD. Die Wende ging auch an der Erwerbsbiografie von Geißlers Eltern nicht spurlos vorüber.
Was zunächst beliebig erscheinen mag, ist klug verwoben, zieht gerade aufgrund der Freiheit zum Assoziativen in den Bann. Das Buch ist aber auch ein Zeugnis der gegenwärtigen Arbeitswelt. Denn Geißler verwebt aktuelle Bruchstücke aus Politik und Gesellschaft mit der Wirklichkeit der Menschen, die sie umgeben: Während Steuerbetrüger René Benko also noch versucht, seinen luxuriösen Lifestyle über Stiftungen zu sichern, spielt Geißlers Sohn in Ermangelung von öffentlichen Räumen mit seinen Freunden in Benkos Kaufhäusern Verstecken. Und da dessen Kaufhaus nur durch Steuergelder gerettet werden konnte, folgert Geißler: „Dieses Kaufhaus – und alle seine Filialen – gehört uns.“
Was bleibt einer Arbeitswelt entgegenzusetzen, die den Armen viel und den Reichen wenig abverlangt? „Ich denke, wären mehr Leute faul, dann ginge es der Welt bedeutend besser“, konstatiert Geißler. Lässt man die Frage aus den Augen, wie man dann eigentlich so über die Runden kommt – denn ohne Geld geht es ja wohl kaum –, dann möchte man sie direkt einleiten: die Massendemonstrationen der Faulheit.