Die Linke hat auf ihrem Parteitag für die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus gestimmt. Für das jüdische Leben in Deutschland sei das fatal, meint der Präsident des Zentralrats der Juden in diesem Beitrag für den „Freitag“
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, befürchtet, dass die Linke ihren eingeschlagenen Kurs nicht mehr korrigieren kann
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„Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.“
Dieser Absatz stammt aus der Arbeitsdefinition für Antisemitismus der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA). Ich kann hier also – ohne in den Verdacht des Antisemitismus zu geraten – schreiben: Das Leid der Palästinenser in Gaza ist unerträglich und Israel trägt dafür auch eine Verantwortung. Ich stehe im Übrigen hinter dieser Aussage und habe sie in dieser oder angelehnter Form schon mehrere Male öffentlich getätigt. In Kulturkampf-Pol
e und habe sie in dieser oder angelehnter Form schon mehrere Male öffentlich getätigt. In Kulturkampf-Polemik heißt es allerdings häufig, halte man sich an die IHRA-Definition, könne Israel und die israelische Regierung gar nicht mehr kritisiert werden.So geschehen am vergangenen Wochenende auf dem Bundesparteitag der Linken. Es solle daher eine andere Beschreibung verwendet werden; die Jerusalem Declaration (JDA). Ein entsprechender Antrag fand eine Mehrheit der Delegierten. Am Sonntagabend stellte sich Ines Schwerdtner in der ARD hinter diese folgenschwere Entscheidung ihrer Partei – nachdem sie am Tag zuvor noch empfohlen hatte, dem Antrag nicht zuzustimmen. Auch Schwerdtner ließ es erneut so aussehen, dass die Partei lediglich die Kritik an der israelischen Regierung ermögliche. Leider blieb ihre bewusst verzerrte Darstellung erneut von der Moderatorin unwidersprochen.Bewusste AbsichtWer glaubt, dass es sich in dieser für den unbedarften Betrachter zuweilen etwas unverständlichen Debatte um die Frage zwischen zwei verschiedenen Antisemitismusdefinitionen handelt, der irrt. Allein schon der Name der Jerusalem Declaration zeigt, dass es sich vielmehr um eine Erklärung handelt, die sich darüber hinaus explizit gegen die IHRA richtet, die wiederum mit dem Titel Arbeitsdefinition eindeutig einen Hinweis auf ihre praktische Verwendung liefert. Die Symbolik dieser Entscheidung ist also immens. Ehrlicherweise, vieles, was in der JDA steht, ist nicht grundlegend falsch; es sind vielmehr die Widersprüche, Ungenauigkeiten und Leerstellen, die erschrecken.Mit dem Wissen, dass die JDA von Wissenschaftlern erarbeitet wurde, die sich in der Thematik auskennen, muss hier zudem eine bewusste Absicht unterstellt werden. So machen besonders die Aussparung der Negierung des Existenzrechts Israels sowie Schoa-Relativierung in Form von Gleichsetzungen Israels mit dem NS-Staat die JDA unbrauchbar. Auch der Hamas-Slogan „From the River to the sea“ wird auf einmal zur Diskussion gestellt – von der BDS-Bewegung, die zum Boykott gegen alles Israelische aufruft, möchte ich gar nicht anfangen.Rückzug der antisemitismuskritischen LinkenIndem sich die Partei Die Linke nun endgültig auf diesen Pfad begibt, verlässt sie den Rahmen des breiten Spektrums jüdischen Lebens in Deutschland; sie lehnt die Lebensrealität der Juden in Deutschland ab und wir müssen uns die Frage stellen, inwieweit die Linke noch dieses jüdische Leben hier in Deutschland wünscht. Wer angesichts der vergangenen anderthalb Jahre bewusst und mit voller Absicht dazu beiträgt, israelbezogenen Antisemitismus zu verschweigen, der steht nicht an der Seite der Jüdinnen und Juden in Deutschland.Wir erwarten in den kommenden Wochen die neuen Zahlen antisemitischer Vorfälle der Meldestelle RIAS. Alles deutet darauf hin, dass der explosionsartige Trend seit dem 7. Oktober 2023 anhält. Die Zahlen werden getrieben von einem israelbezogenen Antisemitismus, dem die JDA in keiner Weise Rechnung trägt, und nun auch Die Linke systematisch verschweigt. Dabei sehen wir an den Erfassungen der vergangenen Monate, dass es direkte Zusammenhänge zwischen israelbezogenem Antisemitismus und Schoa-Relativierung sowie einer „Schlussstrich“-Mentalität gibt.Ich habe die Befürchtung, dass die Partei diesen Kurs nicht mehr korrigieren kann. Es mag einige in diesem Thema aufrechte Linke geben, doch das Wesen der Partei Die Linke hat sich gerade in dieser Frage kontinuierlich radikalisiert. Der Rückzug einer antisemitismuskritischen Linken (Klaus Lederer, Petra Pau) aus der Partei ist ein Verlust für die politische Landschaft in Deutschland. Schon der nächste Parteitag wird noch geprägter von einer israelfeindlichen Linie sein. Linker Antisemitismus hat parteipolitisch einen Platz in Deutschland. Das ist ein trauriger Befund.