In seiner ersten Regierungserklärung vor dem Bundestag drischt Friedrich Merz viele Phrasen, vor allem zur Ukraine. Doch drei Kernaussagen zeigen, wohin der neue Bundeskanzler Deutschland außenpolitisch steuern will
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auf dem Weg zu seiner ersten Regierungserklärung im Deutschen Bundestag
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Außenpolitik, so der 2018 verstorbene Politikwissenschaftler Ekkehart von Krippendorff, „ist eine pathologische Erscheinungsform des Politischen“. Sie hat Angst vor der Aggression der anderen und strebt deshalb krankhaft nach der Macht über andere. Carl von Clausewitz goss diese Angst in die berühmte Abschreckungsformel „Si vis pacem, para bellum“ – Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor! Friedensforscher wie Dieter und Eva Senghaas fanden das furchtbar und stellten den Satz vom Kopf auf die Füße: Wenn du den Frieden willst, sagten sie, bereite den Frieden vor!
Die schwarz-rote Regierung hält es lieber mit Clausewitz. Sichtlich stolz präsentierte Bundeskanzler Friedrich Merz in seiner ersten großen Regierungser
lt es lieber mit Clausewitz. Sichtlich stolz präsentierte Bundeskanzler Friedrich Merz in seiner ersten großen Regierungserklärung eine Abwandlung des Clausewitz-Satzes, die sich auch im Koalitionsvertrag findet: „Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen.“ Also soll die Bundeswehr in den kommenden Jahren zur „konventionell stärksten Armee Europas“ aufgerüstet werden. Aber nicht nur das. Deutschland soll die „zentrale Drehscheibe der NATO“ werden. Von deutschem Boden – auf modernisierten Straßen, Brücken und Schienen, von modernisierten Häfen und Flughäfen – sollen deutsche und europäische Kampftruppen in Windeseile nach Osten verlegt werden können. Mit dem 500 Milliarden Euro-Schuldenpaket werden ja nicht nur Schulen gebaut, mit ihm wird „die Widerstandsfähigkeit der Infrastruktur“ gesichert.Europa, behauptet Friedrich Merz, erwartet jetzt „Führung“, und zwar von DeutschlandWenig überraschend stand daher Russlands Krieg gegen die Ukraine im Mittelpunkt der Regierungserklärung. Dieser Krieg, so Merz, entscheide „nicht nur über das Schicksal der Ukraine. Die Friedensordnung des gesamten Kontinents steht auf dem Spiel.“ Europa, behauptete er weiter, erwarte jetzt „Führung“, und zwar von Deutschland, die Partnerländer in der EU würden diese Führung geradezu „einfordern“.Deshalb müsse Deutschland in EU und NATO „mehr Verantwortung“ übernehmen.Aber was genau hat Merz vor? Zieht man die in solchen Regierungserklärungen übliche Phrasendrescherei ab, bleiben drei Kern- oder Richtungsaussagen.Erstens will die Regierung „den Westen“ stabilisieren. Trotz aller Irritationen durch US-Präsident Donald Trumps Behandlung der europäischen Verbündeten, trotz der Irritationen durch Israels Krieg gegen die Palästinenser will man sowohl die unverbrüchliche Freundschaft mit den USA als auch das deutsche Schutzversprechen gegenüber Israel erhalten, selbst dann, wenn große Teile der Welt angesichts dieser Nibelungentreue den Kopf schütteln mögen. Der „Zusammenhalt des Westens“ (hier zeigt sich eine fatale Bunkermentalität) bleibt das oberste Gebot der deutschen Außenpolitik. Die Angst vor einer „Spaltung des Westens“ beherrscht alles andere.Eine europäische Außenpolitik ohne KonsensprinzipZweitens will die Regierung die 27 EU-Mitglieder stärker gewichten, um außenpolitisch mehr Handlungsfreiheit zu gewinnen. Das stärkste Land, Deutschland, soll das Sagen haben. Damit es diese Führungsrolle ausfüllen kann, müssen zentrale EU-Mechanismen wie das Konsensprinzip in der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP) ausgehebelt werden, und zwar durch eine „Nebenaußenpolitik der Willigen“. Das heißt, unter Merz wird die EU häufiger auf außenpolitische Handlungsformate wie „E3“ (Deutschland, Frankreich, Großbritannien), „Weimarer Dreieck“ (Deutschland, Frankreich, Polen) oder „Weimar+“ (Deutschland, Frankreich, Polen, Großbritannien, Spanien, Italien, EU-Kommission) zurückgreifen. Kleinere EU-Staaten und Störenfriede wie Ungarn haben das Nachsehen.Drittens will die Regierung ihre Weltpolitik künftig strategisch ausrichten. Außenamt, Verteidigungsministerium und Entwicklungshilfeministerium sollen ihr Handeln im globalen Süden besser koordinieren. Durch das „vernetzte Handeln“ von Diplomatie, Militär und Geldgebern kann mehr Druck auf schwache Staaten ausgeübt werden, Systemrivalen wie China und Russland nicht ins Land zu lassen. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Merz in seiner Rede nicht mehr von einer wertebasierten Außenpolitik sprach, sondern eine Kombination aus Werte- und Interessenorientierung bevorzugte. Im harten Wettbewerb um Rohstoffe, Einflusssphären und Absatzmärkte spielen Interessen wohl doch eine größere Rolle als westliche Werte. Die „weltweite Zunahme von Systemrivalität und Großmachtpolitik“, so Merz, verlange überdies eine „Vertiefung der Partnerschaften“, zu deutsch: eine stärkere Anbindung politisch labiler Partner. Insbesondere die so genannten BRICS-Staaten, die heute mehr als die halbe Weltbevölkerung umfassen, sollen gezielt in Gut und Böse auseinanderdividiert werden. Brasilien, Indonesien, Indien und Südafrika will Merz wirtschafts- und sicherheitspolitisch hofieren, Russland, China und Iran dagegen weiter sanktionieren.Sattsam bekannte Phrasen zur Ukraine und kein Wort zu IstanbulDer rote Faden der deutschen Außenpolitik bleibt jedoch der Krieg in der Ukraine. Hier bekannte sich Merz zu drei Prinzipien: Man werde die Ukraine weiterhin vorbehaltlos unterstützen, wolle aber nicht zur Kriegspartei werden. Man bemühe sich, die USA im Boot zu halten, da Russlands imperialer Hunger letztlich auf ganz Europa ziele. Und schließlich dürfe es keinen Diktatfrieden gegen den Willen der Ukraine geben. Das sind zweifellos starke Prinzipien, aber leider auch sattsam bekannte Phrasen. Mit keinem Wort äußerte sich Merz zum derzeitigen Verhandlungspoker zwischen den USA, Russland und der Ukraine. Kein Wort auch zu den für Donnerstag geplanten Gesprächen in Istanbul.Merz wollte das europäische Diplomatie-Desaster lieber vergessen machen. Das vollmundig angekündigte Ultimatum der vier europäischen Regierungschefs (Waffenstillstand bis Montag oder neue Sanktionen gegen Russland; ohne Waffenstillstand keine Gespräche) ließen Putin und Trump achselzuckend verstreichen. Die angedrohten EU-Sanktionen (die wievielten?) blieben heiße Luft. Durch ihr ungeschicktes Ultimatum haben sich Merz und seine drei Musketiere selbst aus den Verhandlungen gekegelt. Die deutsche Außenpolitik mag tolle Prinzipien haben, Ideen hat sie nicht. Sonst wüsste sie: Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten.