Vielfach attackiert, neuerdings auch gebraucht: Die Linke sorgt für Wirbel. Sie fällt auf mit klaren Worten, selbstbewusster Medienpräsenz und einem überraschenden Machtmoment. Doch wie viel Pragmatismus verträgt die Oppositionsrolle?


Heidi Reichinnek hat auf dem Linke-Parteitag in Chemnitz allen Grund zur Freude

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Spätestens am Tag der Kanzlerwahl wurde deutlich, wie stark die Linke im Bundestag mitmischen kann. Als Friedrich Merz als erster designierter Kanzler in der Geschichte im ersten Wahlgang scheiterte, mussten die Abgeordneten der Union über ihren Schatten springen und die Linke um einen Gefallen bitten: Nur durch die Zustimmung der Linken konnte der zweite Wahlgang noch am gleichen Tag stattfinden und Merz als Kanzler gewählt werden.

Establishmentisiert sich die Linke, ausgerechnet jetzt, wo sie als starke Oppositionspartei wieder sichtbar werden kann? Das Auftreten von Heidi Reichinnek und Ines Schwerdtner im Bundestag und von Jan van Aken in der ARD bei Maischberger sprechen eine andere Sprache.

Aber ganz praktisch, wenn’s sein muss, muss es sein

Ich habe eigentli

und von Jan van Aken in der ARD bei Maischberger sprechen eine andere Sprache.Aber ganz praktisch, wenn’s sein muss, muss es sein„Ich habe eigentlich mein Leben lang schon einen inneren Unvereinbarkeitsbeschluss mit der CDU“, sagt van Aken am Mittwochabend im Fernsehen. Wie gewohnt lässig, gekleidet in Jeans und Sakko, diskutiert er mit dem CDU-Politiker Norbert Röttgen über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und über das Verhältnis von Union und Linkspartei. Und ergänzt: „Aber ganz praktisch, wenn’s sein muss, muss es sein“. Die Strategie, die hier anklingt: Wenn die Linke vermeidet, inhaltlich auch nur einen Schritt auf die Union zuzugehen, sie gleichzeitig aber da unterstützt, wo andernfalls die rechtsextreme AfD profitieren würden, kann sie ihre neue Rolle im Bundestag sinnvoll nutzen. Start im BundestagAuch sonst legte die Linke als linke Opposition los: Den Finger in die Wunde legen, freche Reden halten und die soziale Frage zum Kernthema machen. Heidi Reichinnek holte in ihrer ersten Rede in dieser Legislaturperiode zum Rundumschlag aus. Die 37-jährige Abgeordnete aus Osnabrück, die im Wahlkampf zum TikTok-Star wurde, kritisierte hohe Mieten, forderte kostenloses Mittagessen in Kitas und Schulen, einen höheren Mindestlohn, mehr Tarifbindung und die Abschaffung des Ehegattensplittings.Deutliche Worte fand Reichinnek auch für die von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) veranlassten Grenzschließungen. Knapp 800 Menschen wurden in der letzten Woche an den deutschen Grenzen abgewiesen, darunter auch 32 Asylsuchende. Dobrindt lobte die Zurückweisungen. „Sie schleifen damit das Asylrecht. Eine wichtige Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus. Und dafür sollten sie sich wirklich schämen“, so Reichinnek.Den Finger in die Wunde legen, freche Reden halten und die soziale Frage zum Kernthema machenDie neu in den Bundestag eingezogene Parteivorsitzende Ines Schwerdtner legte in ihrer ersten Rede nach. „Sie wollen die stärkste Armee Europas finanzieren, aber sie können nicht sagen, wie man den sozialen Wohnungsbau finanziert. Das ist peinlich!“ Ein Thema, das nicht nur bei der Wählerschaft der Linken ins Schwarze treffen dürfte: Über eine halbe Million Wohnungen fehlen in Deutschland laut einer aktuellen Analyse des Pestel-Institut. Im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD zwar auf eine Verlängerung der Mietpreisbremse verständigt. An der Durchsetzung hapert es bisher aber: Durch Kurzzeitvermietungen und möblierte Wohnungen umgehen viele Vermieter:innen das Gesetz bisher und streichen so hohe Gewinne ein. Einen bleibenden Eindruck hinterließ die neue Abgeordnete der Linksfraktion Stella Merendino. Die Abgeordnete aus Berlin-Mitte, die selbst als Krankenpflegerin in der Notaufnahme arbeitete, trat in blauer Arbeitskleidung hinter das Rednerpult und berichtete von dem belastenden Alltag als Pflegekraft. Die Kritik an schwarz-rot blieb dabei nicht zu knapp: „Dieser Koalitionsvertrag ist eine Ohrfeige für alle, die dieses verdammte System Tag für Tag auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit am Laufen halten“, sagte Merendino.Eine Provokation leistete sich die 31-Jährige zum Schluss ihrer Rede: Die Anwesenden seien auch auf ein funktionierendes Gesundheitssystem angewiesen, der Altersschnitt sei im Bundestag schließlich nicht gerade niedrig. „Ach nee, die meisten von ihnen sind ja leider privatversichert“, stichelte Merendino und kehrte unter Applaus der Linksfraktion zu ihrem Platz zurück. Schwelende Konflikte unter der OberflächeTrotz starker erster Reden im Bundestag und Partystimmung beim Parteitag, den die Linke vergangenes Wochenende in Chemnitz abhielt, schwelen Konflikte unter der Oberfläche. Viele der Linke-Wähler:innen dürften mit den außenpolitischen Positionen der Partei nicht unbedingt einverstanden sein. Laut einer Umfrage befürwortet ein Großteil von ihnen Waffenlieferungen an die Ukraine – die Partei lehnt diese dagegen konsequent ab. Und schließlich fand der Konflikt nach dem Linke-Parteitag fast am meisten Aufmerksamkeit, der offenbar nie ganz gelöst werden kann: Mit einer knappen Mehrheit entschied sich der Bundesparteitag, künftig die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus als Leitlinie für den Umgang mit Antisemitismus zu nutzen. Prominente Parteimitglieder wie Bodo Ramelow, Petra Pau und Katharina König-Preuss übten deutliche Kritik an der Vorgehensweise bei der Abstimmung und der Definition selbst. Der Präsident des Zentralrats der Juden Josef Schuster mahnte, die Linke verlasse „den Rahmen des breiten Spektrums jüdischen Lebens in Deutschland“ und lehne „die Lebensrealität der Juden in Deutschland ab.“ Andere lobten den Beschluss.Vielleicht findet die Partei einen Weg, den Spagat zu schaffenIm Bundestag und bei Maischberger aber gelang es der Linken, jene Themen zu setzen, in denen sie stark ist: die soziale Frage und ihre Kritik an Rheinmetall. „Ich habe zwei Aktien bei Rheinmetall“, erzählte Jan van Aken bei Maischberger – viele linke Aktivist:innen wissen das längst, denn wer eine Aktie besitzt, darf zur Aktionärsversammlung, und kann dort protestieren. 180 Euro habe er ausgegeben, jetzt seien sie 3.400 Euro wert, den vielen Waffenlieferungen und Kriegen sei Dank.Van Aken sagte der verblüfften Maischberger: „Dass Menschen daran Geld verdienen, das geht doch nicht!“ Selbst wenn die Wähler:innenschaft in der Frage von Waffenlieferungen gespalten ist: Die Kritik daran, dass Rheinmetall und seine Aktionär:innen sich an diesem Krieg bereichern, teilen wohl alle.Vielleicht findet die Partei einen Weg, den Spagat zu schaffen: Zwischen Fundamentalopposition und konstruktiver Zusammenarbeit, wenn es um das Kleinhalten faschistischer Kräfte geht. Zwischen der friedenspolitischen Tradition und einer modernen Außenpolitik. Zwischen einer dezidiert linken Position zur israelischen Kriegsführung, die sich klar von antisemitischen Positionen abgrenzt. Schafft die Linke all das, kann sie ihre wahre Qualität entfalten: Sozialpolitische Forderungen stark machen, Regierungshandeln aus linker Perspektive einordnen und Perspektiven marginalisierter Gruppen in den Vordergrund stellen.



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Von Veritatis

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