Es ist ein wiederkehrendes Muster: Sobald Namen wie Putin, Trump oder Erdoğan in Verbindung mit möglichen Friedensgesprächen fallen, dominiert reflexartig Skepsis. Misstrauen. Ablehnung. Die Liste der Vergehen, der autoritären Maßnahmen und der kriegerischen Eskalationen dieser Akteure ist lang – und dennoch stellt sich eine grundsätzliche Frage: Führt uns diese starre Haltung tatsächlich näher an den Frieden? Oder hält sie uns gefangen in einem Kreislauf des Misstrauens, der selbst kleinste Chancen erstickt?
Von Lothar Renz
Gerade jetzt wäre es an der Zeit, sich von dieser Eindimensionalität zu lösen. In der Türkei erleben wir wirtschaftliche und gesellschaftliche Öffnungen, die auch dem Westen zugutekommen könnten. Dennoch begegnen viele Medien und Politiker dieser Entwicklung mit Argwohn. Dabei ist es richtig, genau hinzuschauen, Fragen zu stellen, Mechanismen zu hinterfragen. Aber wer immer nur die Risiken betont und die Chancen ignoriert, beraubt sich selbst der Möglichkeit, die Dynamiken des Wandels mitzugestalten.
Zugleich sollte auch die Rolle des Westens – allen voran der NATO – kritisch hinterfragt werden. Zu oft hat sich die NATO als Verteidigungsbündnis inszeniert, während sie sich in vielen Konflikten als treibende Kraft hinter Eskalationen zeigte. Die einseitige Darstellung des Westens als moralische Instanz führt dazu, dass alternative Stimmen diskreditiert und diplomatische Brücken frühzeitig abgebrochen werden, bevor sie überhaupt betreten wurden. Friedensprozesse dürfen jedoch keine exklusiven Bühnen westlicher Ideale sein, sondern müssen auch jene Akteure einschließen, die wir bisher mit Skepsis betrachten.
Frieden beginnt fast nie mit perfekten Akteuren. Es sind oft genau die umstrittenen, widersprüchlichen Figuren, die – ob aus Kalkül oder Einsicht – zu Initiatoren von Friedensgesprächen werden. Wer Dialoge ablehnt, nur weil die Gesprächspartner unbequem sind, blockiert jede Form von Bewegung und Entwicklung. Es ist höchste Zeit, zu akzeptieren, dass Friedensprozesse mit Kompromissen beginnen, nicht mit Idealen.
Der Blick auf Kriege muss sich endlich verändern. Ja, es ist wichtig, die Realität der Fronten zu dokumentieren, die Opfer zu zählen, die Brutalität der Auseinandersetzungen zu benennen. Aber wir dürfen uns nicht darauf beschränken. Wo bleibt die gleiche Energie, wenn es um erste Gesprächsfäden geht, um lokale Waffenruhen, um diplomatische Öffnungen? Warum zählen wir die Tage des Krieges akribisch, aber nicht die Tage, an denen sich Fenster zum Frieden auftun?
Eine neue Haltung wäre überfällig: weder naive Verklärung autoritärer Machthaber, noch die fortwährende Selbstinszenierung des Westens als Hüter von Demokratie und Freiheit. Stattdessen ein nüchterner, offener Blick auf Chancen, Dialoge und auf jenen schmalen Grat zwischen Pragmatismus und Vision.
Es wird Zeit, den Fokus zu verschieben. Weg von der Angst vor dem Scheitern, hin zur Hoffnung auf Erfolg. Wer den Frieden will, muss ihn denken können – auch mit jenen, die uns unbequem sind. Zählen wir also ab heute nicht nur die Toten – sondern auch die Tage bis zum Frieden.