Mit viel Demokratiepathos und politischem Theater haben die Wiener Festwochen eröffnet. Intendant Milo Rau hat als Höhepunkt Elfriede Jelineks „Burgtheater“ ins selbige gebracht – zum ersten Mal in 40 Jahren. Wie gefährlich ist es noch?


Milo Rau hat die Wiener Festwochen mit einem bunten Strauß und Politik eröffnet. Nur die Würste hatte er vergessen

Collage: der Freitag, Material: iStock, Franzi Kreis


Also, man steht am Würstelstand im 8. Bezirk und beißt in einen Käsekrainer. Ausgehungert kam man von der offiziellen Eröffnung der Wiener Festwochen, wo eben die Republik der Liebe ausgerufen wurde – eine Fortführung der unter der Intendanz von Milo Rau vergangenes Jahr ausgerufenen Freien Republik Wien. Das arg sprachlich verrenkte Motto „V is for LoVe“ prangt schon seit Wochen überall in der Stadt. Umringt von bunten Fantasiefahnen und Menschen mit Blumenkränzen – die 60er haben angerufen, sie wollen ihren Jesus-Lookalike zurück – präsentierte Milo Rau einen Strauß an Live-Acts, garniert mit blumigen Worten: „Wir werden den Faschismus besiegen – mit Liebe!“ Dass Liebe durch den Magen geht,

t, ist den Organisatoren wohl entfallen. Oder sie hatten vor lauter großen Worten selber den Mund schon voll.Das junge Publikum auf dem Rathausplatz scheint vor allem wegen der angekündigten Konzerte gekommen zu sein: Mit Soap&Skin, Laurie Anderson, Der Nino aus Wien und Faber treten beliebte Künstler auf. Insbesondere Letzterer löst immer wieder Begeisterungsstürme aus. Wer allerdings festivalhaft aneinandergereihte Konzerte erwartet, fällt herein. Vielmehr kommen alle im Wechsel immer nur kurz dran.Placeholder image-1Ihren Auftritt reichern sie mit Politik an: Faber bittet um einen Moment des Schweigens für die Opfer von Gewalt und Krieg, der irakische Musiker Khalid Rawi erzählt, wie er unter der IS-Herrschaft das Oud-Spiel nur heimlich üben konnte und ruft dann noch „Free Palestine“ und die slowenische Schauspielerin Nika Korenjak erzählt, dass sie in ihrer Familie Österreich immer gehasst hätten, weil die SS das Dorf ihres Urgroßvaters ausgelöscht und ihn nach Mauthausen verschleppt habe – aber sie sei heute gekommen, um Liebe zu bringen. Daran ist per se nichts auszusetzen, aber warum entlässt man dieses Land so billig aus der Verantwortung?Eröffnung der Wiener Festwochen auf dem Rathausplatz: Eher enttäuschend, oder?Zwischendurch kommt immer wieder Milo Rau auf die Bühne und freut sich – dass sich jenseits der Bühne der Spaß in Grenzen hält, scheint oben nicht anzukommen. Bei soviel Selbstbesoffenheit an der eigenen Bedeutung braucht es kein Budweiser mehr. Dass hier Pop auf Operngesang, E-Gitarre auf Oud trifft, ist gar nicht das Problem. Eher, dass hier Pop und Politik derart ineinander fließen, dass Letztere sich auflöst wie ein Brühwürfel in der Suppe der Gefühlsduselei.Dass einem zum Thema der Festwochen auch Kluges einfallen konnte, hatte dabei am Vortag die Philosophin Lea Ypi in ihrer „Rede an Europa“ bewiesen. Geschickt verwob sie den Ort ihres Sprechens – den Judenplatz mit der Lessing-Statue – und ihren Sprechort – als Migrantin und Denkerin der Aufklärung – zu einem emphatischen Plädoyer für ein kosmopolitisches Europa. Geht, ganz ohne Theater.Placeholder image-2Auf dem Rathausplatz werden die Erwartungen großer Teile des jungen Publikums indes so konsequent unterlaufen, dass es schon lange vor Schluss beginnt, vom Platz zu fliehen. „Na, das war ja eher enttäuschend“, sagt eine junge Frau und ein Unbekannter pflichtet bei: „Ja, oder?“„Three Times Left is Right“ von Julian Hetzel: Beunruhigendes HumtataAber halt, losgegangen war es schon früher am Abend. Zum mehrwöchigen Programm der Festwochen gehört auch ein sogenanntes Volksstück. Ja, mit dem Volksbegriff ist man in Österreich auch unter Linken offenbar nicht sehr gschamig. Gemeint ist damit ein Stück mit zwei Schauspielern und wenig Aufwand, das nicht in den großen Spielstätten der Innenstadt, sondern in den äußeren Bezirken gespielt wird – am Abend der Eröffnung im 23. Bezirk. Ob dadurch das örtliche Publikum angelockt wird, oder sich nur die Anreise für die Innenstädter verlängert? Im Bus sagt jedenfalls eine Wiener Dame zur anderen: „So kommer auch amal nach Atzgersdorf.“Ein gefräßiger Schatten von Mariano Pensotti erzählt die Geschichte einer doppelten Bergbesteigung: Ein Bergsteiger will die letzte Tour seines Vaters – von der dieser nie zurückkehrte – bezwingen. Und ein Schauspieler soll die Rolle eben jenes Bergsteigersohnes in einer Verfilmung verkörpern. Im Zentrum steht das Verhältnis von Geschichten und ihrer Verwertbarkeit, vor allem aber der Kampf zweier Männer gegen die übermächtigen Väter, in deren Fußspuren sie wandeln. Ein solider Abend.Placeholder image-3Aber zurück zu Politik, Liebe und Würsten. Der Künstler und Theatermacher Julian Hetzel bringt am nächsten Tag diese thematische Trias als wienerische Wurstiade mit dem Titel Three Times Left is Right auf die Bühne. Das belgische Künstlerpaar Josse De Pauw und Kristien De Proost schlüpft in die Rollen des Kulturwissenschaftlers Helmut Lethen und seiner Frau Caroline Sommerfeld-Lethen. Vor ein paar Jahren machten die beiden in Wien lebenden Autoren Schlagzeilen im Feuilleton: Lethen ist ein Linker. Seine 30 Jahre jüngere Frau schreibt für das rechtsextreme Magazin Sezession und verkehrt mit Identitären. In dieser „very German love story“ (New York Times) will Hetzel eine Parabel auf die Gegenwart erkennen: Wie kann man über so tiefe politische Gräben hinweg miteinander leben? Mit Liebe etwa?Elfriede Jelinek: „Burgtheater“ begründete vor 40 Jahren die Hetze gegen sieDazu fährt eine automatische Blaskapelle über die Bühne und spielt beunruhigendes Humtata. Am Ende ist die Pointe jedoch bildlich eindeutig: Der tolerante Linke wird von seiner rechtsextremen Frau sehenden Auges entmannt und geschlachtet. Von Liebe geblendet stimmt er seiner eigenen Verwurstung zu und erklärt seiner Frau dabei noch – Berufskrankheit – die Kulturgeschichte der Wurst. Sein Argument, dass diese, wie die von der Frau gefürchteten „bärtigen Männer“ ebenfalls aus Mesopotamien stammt, entblößt die Hilflosigkeit des Linksliberalismus im Angesicht eines gewaltbereiten Faschismus.So an den Themenkomplex (Anti-)Faschismus herangepirscht, ist man vorbereitet für den Höhepunkt dieses Eröffnungswochenendes: Burgtheater von Elfriede Jelinek – am Burgtheater. Vor 40 Jahren begründete die Uraufführung in Bonn die Hetze gegen die Autorin in Österreich. Burgtheater behandelt die Geschichte der Wiener Schauspieler-Familie Wessely-Hörbiger. Paula Wessely, ihr Mann Attila Hörbiger und dessen Bruder Paul waren als Schauspieler im Nationalsozialismus von Publikum und Partei gefeiert und geschätzt.Nach dem Krieg machten sie nahezu ungebrochen weiter. Jelineks Stück, in dem die drei als Käthe, Istvan und Schorsch firmieren, thematisierte österreichische Mittäterschaft lange vor der Waldheim-Affäre; die Lüge von Österreich als erstem Opfer nationalsozialistischer Aggression war noch Staatsdoktrin. Vierzig Jahre lang hatte Jelinek weitere Aufführungen untersagt, nun hat sie Milo Rau das Recht dazu erteilt.Placeholder image-4Der hat den Stoff mit zahlreichen Gegenwartsbezügen angereichert. Die Schauspieler kommentieren ihr Tun und deklinieren die eigene Biografie: Caroline Peters etwa, die Deutsche vom Dienst, berichtet, wie sie als Kind die Uraufführung von Burgtheater in Bonn sah. Und Mavie Hörbiger erzählt von ihrem Großvater Paul, den sie hier selber spielt: Erst ein Herold des Anschlusses und auf der Gottbegnadeten-Liste des Führers, brachte ihn die Unterstützung des Widerstands 1945 in Haft. Die Läuterung wurde zur Grundlage für die Reinwaschung der ganzen Familie nach Kriegsende.„Burgtheater“ bei den Wiener Festwochen: Zum Glück gibt es Schauspieler!Rau scheint mit diesem Sprechtheaterstück zu fremdeln. Immer mehr hat er sich im Lauf der Proben offenbar von der Vorlage entfernt. Was ursprünglich als „von und mit Elfriede Jelinek“ angekündigt war, ist letzten Endes nur noch „nach Elfriede Jelinek“. Eine zehn Tage vor der Premiere gezeigte „Urlesung“ war noch mit einer Videobotschaft Jelineks versehen – die fehlte bei der Premiere und auch ihr Stück drohte etwas unterzugehen zwischen den politischen Aktualisierungen und provokanten Szenen mit Nazigesängen und Folter.Aber zum Glück gibt es Schauspieler! Mit Caroline Peters als Istvan und Birgit Minichmayr als Käthe treten zwei Große an. Der Fantasiedialekt, den Jelinek entworfen hat und der gerade nicht wie Wienerisch klingen soll, sei am besten von einem deutschen Schauspieler wie eine Fremdsprache zu erlernen, heißt es in den Regieanweisungen. Peters gelingt das ausgesprochen gut. Minichmayr wiederum spielt die Käthe so überzogen, dass kaum noch etwas zu verstehen ist – grandios. Wie hervorragend sie außerdem die Propagandarollen Paula Wesselys nachspielt, lässt einen erschauern.Doch der insgeheim erhoffte nachgeholte Theaterskandal bleibt aus – Bundespräsident Alexander van der Bellen sitzt in der Loge, das Publikum applaudiert höflich.Das war etwas enttäuschend, oder? Nur kulinarisch lässt einen Wien nicht im Stich – frei nach Georg Kreisler: Wie schön ist es, in eine Wurst zu beißen und gleichzeitig die Festwochen zu verreißen! Lieb gemeint!



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Von Veritatis

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