Eine fragwürdige Studie zur Wochenarbeitszeit in Europa schürt die Forderung von Friedrich Merz, Deutsche sollen mehr arbeiten. Dabei zeigen echte Statistiken: Frauen arbeiten in Deutschland weit mehr als acht Stunden pro Tag


71 Prozent der Mütter, die unter dreijährige Kinder versorgen, arbeiten in Teilzeit

Foto: Guido Mieth/Getty Images


Die Deutschen arbeiten zu wenig, sagt Kanzler Friedrich Merz. Und stützt sich dabei auf durchaus fragwürdige Zahlen des arbeitgebernahen Institut für Wirtschaftsforschung (IW), die den Vergleich zu anderen europäischen Ländern aufmachen – keine Studie. Die Deutschen arbeiten 135 Stunden weniger als etwa die Griechen, heißt es da.

Die Deutschen, so der Unterton, seien faul. Wer erinnert sich noch, dass das gerade mal den Griechen unterstellt wurde, damals, in der Eurokrise. Glücklicherweise hat ihnen die Troika der Europäischen Union gemeinsam mit Angela Merkel und Wolfgang Schäuble Arbeitsmoral eingeimpft. Das übernimmt heute Merz für die jüngeren Deutschen, die diese vergessen haben.

Dabei hat der Kanzler eine sehr eingeschr&

e Troika der Europäischen Union gemeinsam mit Angela Merkel und Wolfgang Schäuble Arbeitsmoral eingeimpft. Das übernimmt heute Merz für die jüngeren Deutschen, die diese vergessen haben.Dabei hat der Kanzler eine sehr eingeschränkte Wahrnehmung. Die Aufzucht seiner Töchter, zwei an der Zahl und schon erwachsen, wurde entweder von seiner Ehefrau, wahrscheinlich eher mit Hilfe bediensteten Personals bewerkstelligt, um ihm den Rücken für die Politikkarriere freizuhalten. Jede Wette, dass er, es sei denn als Student, noch nie seine Wohnung geputzt hat. Arbeit, so sieht er es, bedeutet ausschließlich Erwerbstätigkeit, die den Unternehmen Profit bringt und dem Staat Steuern.Zehn Stunden Maloche plus Haus-, Erziehungs- und PflegearbeitMerz würde von wertschöpfender Arbeit sprechen, weil er den Wert der Herstellung von Arbeitskraft einfach unterschlägt. Oder meint, wenn man zwei Fünf-Stunden-Schichten am Tag schiebt, hätte man mehr Zeit für Haus und Familie oder pflegebedürftige Eltern. Natürlich mit Rücksicht auf das Unternehmen, denn um deren Zeittakt-Bedürfnisse geht es.2022 leisteten Frauen 72 Milliarden Stunden unbezahlte Care-Arbeit, rund 30 Stunden in der Woche (Männer übernehmen 21 Stunden). Für Frauen in Teilzeitbeschäftigung macht das 50 Wochenarbeitsstunden oder mehr. Einzig das ist der Grund dafür, warum das Angebot, die 40-stündige Arbeitszeit einer Woche auf vier Tage zu verteilen, nach Umfragen bei der Mehrheit ganz gut ankommt. Welchen Einfluss sie darauf haben, wie die Arbeitszeit verteilt wird und welche gesundheitlichen Folgen zehn Stunden Maloche (plus Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit!) bedeuten, steht auf einem anderen Blatt.Zwei Drittel aller Mütter arbeiten TeilzeitDie neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die auf einem Mikrozensus basieren, belegen es: Fast die Hälfte aller Frauen arbeiten Teilzeit. Bei den Müttern sind es über zwei Drittel, 68 Prozent, und bei denjenigen, die unter dreijährige Kinder versorgen, sogar 71 Prozent. Zwar ist die Erwerbsquote von Frauen mit Kindern leicht gestiegen, aber nicht einmal zehn Prozent der männlichen Erwerbstätigen reduzieren ihre Arbeitszeit, wenn sie Väter werden.Diese Zahlen sind wesentlich aussagekräftiger für die Verfasstheit unserer Gesellschaft als jene, die Merz zitiert. Die geschlechtsspezifische Rollenverteilung: zementhart. Sei es, weil Männer durchschnittlich immer noch mehr verdienen, sei es wegen der traditionellen Bilder im Kopf. Teilzeit bedeutet Karrierenachteile und finanzielle Abhängigkeit. Von Altersarmut aufgrund geringerer Rentenanwartschaften ganz abgesehen.Karin Prien will Lohnersatz für pflegende Angehörige – aber nur bei guter KonjunkturFamilienministerin Karin Prien (CDU) hat gerade einen Lohnersatz für pflegende Angehörige in Aussicht gestellt, eine von Sozialverbänden lange geforderte Leistung. Sie soll allerdings von der Konjunkturlage abhängen. Was heißt: Die einen sollen mehr malochen, damit sich die anderen um ihre Angehörigen kümmern können.So war das eigentlich nicht gemeint, als die Frauenbewegung in den 1970er Jahren den Slogan „Lohn für Hausarbeit“ ausgab. Sehr umstritten, auch damals schon.





Source link

Von Veritatis

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert