Nachdem die Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am vergangenen Dienstag dem Pandemievertrag zugestimmt haben, hat die Bundesregierung dieser weitere zehn Millionen Euro an Unterstützung zugesagt. Das gab Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) nach einem Treffen mit Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus bekannt, teilten Agenturen mit. Demnach sagte sie, dass die Annahme des internationalen Pandemievertrages zeige, wozu die WHO-Mitgliedstaaten fähig seien. „Weltweit die Gesundheit der Menschen durch bessere Zusammenarbeit zu schützen – das hätte kaum einer nach dem Rückzug der USA aus der WHO für möglich gehalten.“ Umso wichtiger sei es, dass die WHO ihren Reformprozess vorantreibe und sich auf ihre Kernaufgaben konzentriere.

Über 400.000 Unterschriften gegen Abkommen

Doch gibt es auch Stimmen, die das, was am Dienstag in Genf zustande kam, negativ beurteilen. Dazu gehört etwa die Nichtregierungsorganisation (NGO) CitizenGo, die das Pandemieabkommen äußerst kritisch sieht. Eine Petition mit der Aufforderung an die deutschen Delegierten, dem Abkommen nicht zuzustimmen, hatten bis Dienstag mehr als 400.000 Menschen unterzeichnet.

Sebastian Lukomski, Kampagnenleiter bei CitizenGo, äußert in einem Newsletter, dass der Vertrag „ohne Transparenz, ohne Zeitplan“ zustande kam. In einer Ausschusssitzung am Dienstagabend, in der der Weg für die Abstimmung am Tag darauf frei gemacht wurde, seien nur 124 der 195 Länder vertreten gewesen.

Auch werde ein Vertrag als fertig verkündet, obwohl er noch gar nicht richtig fertig sei. Lukomski verweist dabei auf das Thema Technologietransfer (Pathogen Access and Benefit Sharing System, PABS). Hier hätten sich die Länder nicht einigen können, daher müsse nachverhandelt werden. Darüber hatte auch der österreichische „Standard“ berichtet. Laut Lukomski ist die Entscheidung dazu auf 2026 vertagt worden. „Anstatt den gesamten Vertrag noch einmal zu verschieben, hat die WHO im Eiltempo einen halben Vertrag durchgeboxt und den Sieg verkündet“, sagt er. Nach mehr als drei Jahren Diskussionen habe die Organisation etwas vorlegen müssen, meint Lukomski. Er verwies auch auf die finanziellen Probleme nach dem Austritt der USA, des bisher größten Geldgebers.

WHO-Kritiker Roguski sieht eine Zweiteilung des Abkommens

Der amerikanische Journalist und WHO-Kritiker James Roguski schreibt in seinem Substack von einer Teilung des Pandemieabkommens, da der Vorteilsausgleich (PABS) ausgeklammert und als Anhang hinzugefügt wurde. Somit sei das Pandemieabkommen nicht abgeschlossen. Er warf der WHO eine „theatralische Umdeutung ihres Scheiterns“ vor, um die Verabschiedung am Dienstag „wie einen Erfolg aussehen zu lassen“. Diese Zweiteilung des Pandemievertrages sei ein nach internationalem Recht „höchst ungewöhnlicher Schritt“. Nun müssten die Verhandlungen um PABS fortgeführt werden. Da der Anhang als integraler Bestandteil des Pandemieabkommens angesehen werde, könnten die Staaten es erst nach Abschluss der PABS-Verhandlungen und dessen Verabschiedung auf der nächsten Weltgesundheitsversammlung unterzeichnen. Diese ist für Mai 2026 geplant.
Das Aktionsbündnis Freie Schweiz (ABF Schweiz) sieht gar einen erneuten Verstoß gegen die WHO-eigene Verfassung. So ist in § 19 festgeschrieben, dass für die Annahme von Verträgen oder Abkommen eine Zweidrittelmehrheit der Versammlung nötig ist. Dies setze eine Feststellung des Quorums der stimmberechtigten Länder voraus. Die Slowakei hatte als einziges Land die Missachtung der Vorschriften gerügt und eine formelle Abstimmung verlangt, allerdings ohne Erfolg. Nachdem der Ausschuss am Montagabend mit 124 Ja-Stimmen bei elf Enthaltungen und 46 abwesenden Mitgliedsstaaten den Vertrag verabschiedet hatten, erfolgte die Annahme am Tag darauf in der Vollversammlung „im Konsens“. Das Bündnis wies zudem darauf hin, dass die WHO bei der Abstimmung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) ebenso verfahren sei.

Es fehlt das Geld – trotz möglicher Erhöhung der Pflichtbeiträge

Deutschland unterstützte die WHO in den Jahren 2024/25 bereits mit 323 Millionen Euro. Anfang April stellte Berlin zusätzlich 2 Millionen Euro bereit. Damit zählt Deutschland zu den wichtigsten Geldgebern der Organisation.

US-Präsident Donald Trump hatte kurz nach seinem Amtsantritt im Januar den Austritt der USA aus der WHO angeordnet. Schon jetzt überweisen die USA, die der größte Beitragszahler waren, kein Geld mehr. Das treibt die WHO in die roten Zahlen, erklärte Ghebreyesus Ende April. Die Organisation müsse daher ihre Aktivitäten verringern und Personal abbauen. Der Generalsekretär kündigte an, das Führungsteam von elf auf sechs Mitglieder zu verkleinern.

Die WHO hofft, dass andere Mitgliedstaaten den Ausfall der US-Gelder teilweise ausgleichen. In der kommenden Woche sollen diese über eine Erhöhung der Pflichtbeiträge um 20 Prozent im Haushaltsjahr 2026/2027 abstimmen.

Selbst bei einer Zustimmung würden im künftigen Budget 1,7 Milliarden Dollar fehlen. Die WHO plante bereits, ihre ursprünglich auf 5,3 Milliarden Dollar angesetztes Budget um 21 Prozent auf 4,2 Milliarden Dollar (3,75 Milliarden Euro) zu kürzen.

Kennedy ruft zum Austritt aus der WHO auf

US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy jr. rief die WHO-Staaten in einer Videobotschaft auf, dem Beispiel der USA zu folgen. „Die WHO steckt in aufgeblähter Bürokratie, fest verwurzelten Paradigmen, Interessenkonflikten und internationaler Machtpolitik fest“, sagte Kennedy.

Die USA setzten sich hingegen für internationale Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich ein, frei „von der Zwangsjacke politischer Einmischung durch zerstörerische Einflüsse“. Die WHO lasse sich zu oft von den „Interessen der Medizin-Wirtschaft“ leiten.

Kennedy schlug vor, neue Organisationen zu gründen oder bestehende zu reformieren: Nötig seien Institutionen, die schlank, effizient, transparent und rechenschaftspflichtig sind.

Chinas Einfluss auf die WHO

Er kritisierte zudem ausdrücklich Chinas „unangemessenen Einfluss“ auf die WHO. Die Organisation habe auf Betreiben Chinas Berichte über Mensch-zu-Mensch-Übertragungen des Coronavirus zurückgehalten und stattdessen mit Peking die „Fiktion“ verbreitet, der Erreger stamme „eher von Fledermäusen oder Schuppentieren als aus Chinas staatlich geförderter Forschung in einem Biolabor in Wuhan“.

Die Frage der Herkunft des Virus ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Chinas Regierung erschwerte die Aufklärung, indem sie Untersuchungen der WHO blockierte.

Kennedy erklärte der Pandemievertrag werde „alle Fehlfunktionen bei der Pandemie-Reaktion der WHO verfestigen“.

Berlin begrüßte den Pandemievertrag

Deutschland und die EU hingegen begrüßten den Pandemievertrag als wichtigen Schritt für internationale Zusammenarbeit. Die Weltgemeinschaft setze damit „auch ein wichtiges Zeichen für Solidarität und Multilateralismus – und gegen den Trend zu Alleingängen, der am Ende allen schadet“, erklärte Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) im Onlinedienst X.

Aus Sicht der EU ist das Abkommen „ein entscheidender Schritt hin zu einem wirksameren und kooperativeren globalen Ansatz“ zur Pandemiebekämpfung. Die EU werde „im Bereich der globalen Gesundheit weiterhin eine Vorreiterrolle einnehmen“, versicherte EU-Gesundheitskommissar Oliver Varhelyi.

Die 78. Weltgesundheitsversammlung begann am Montag in Genf und dauert noch gut eine Woche.

Mit Text von Agenturen (afp/dpa/red)



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Von Veritatis

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