Bundeskanzler Friedrich Merz hatte direkt nach Amtsantritt eine neue deutsche Führungsrolle in der EU verkündet. Doch die einseitige Israel-Politik der CDU-geführten Bundesregierung hat bisher zum genauen Gegenteil geführt. Deutschland findet sich immer mehr in einer Minderheitenposition in der EU wieder. Diese Woche am 20. Mai stimmte Berlin gegen die überwiegende Mehrheit der EU-Länder, die einem niederländischen Vorschlag gefolgt waren, eine Prüfung einzuleiten, ob Israel mit dem Vorgehen in Gaza gegen seine Menschenrechtsverpflichtungen gemäß Artikel 2 des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel verstoßen hat. Die NachDenkSeiten wollten wissen, mit welcher Begründung sich Deutschland gegen eine solche Überprüfung ausgesprochen hat. Von Florian Warweg
Hintergrund
Am 20. Mai erklärte der niederländische Außenminister Caspar Veldkamp, dass die Initiative seines Landes, von der EU-Kommission untersuchen zu lassen, ob Israel mit dem Vorgehen in Gaza nicht gegen seine Menschenrechtsverpflichtungen gemäß Artikel 2 des Assoziierungsabkommens EU-Israel verstoßen hat, eine „breite Unterstützung“ der EU-Mitgliedsstaaten erhalten habe:
„Die humanitäre Lage in Gaza ist katastrophal. Um das Leid zu lindern, bedarf es dringend massiver Hilfe. Es ist gut, dass die EU heute ein starkes Signal an Israel gesendet hat, die humanitäre Blockade vollständig und so schnell wie möglich aufzuheben. Mit der Ankündigung einer Untersuchung zur Einhaltung von Artikel 2 des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel reagierte die Hohe Vertreterin der EU, Kaja Kallas auf eine niederländische Anfrage, die heute breite Unterstützung von den EU-Mitgliedstaaten erhielt.“
By announcing an investigation into compliance with Article 2 of the Association Agreement between the EU and Israel, EU High Representative @KajaKallas responded to a Dutch request that received broad support from EU member states today. 2/3
— Caspar Veldkamp (@ministerBZ) May 20, 2025
Dies bestätigte wenig später auch die Hohe Vertreterin der EU für Außenpolitik, Kaja Kallas, gegenüber Reportern in Brüssel:
„Aus den heutigen Diskussionen geht klar hervor, dass eine starke Mehrheit für eine Überprüfung von Artikel 2 unseres Assoziierungsabkommens mit Israel ist.“
Artikel 2 des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel, welches umfassend die Handels- und diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Seiten regelt, besagt, dass die Beziehungen „auf der Achtung der Menschenrechte und der demokratischen Grundsätze beruhen, von denen sich ihre Innen- und Außenpolitik leiten lässt und die ein wesentliches Element dieses Abkommens darstellen“. Das Abkommen ist von zentraler Bedeutung für Israel, da die EU, weit vor den USA, Israels größter Handelspartner ist – das Handelsvolumen beläuft sich auf über 45 Milliarden Euro pro Jahr.
Der Brüssel-Korrespondent von Euronews, Jorge Liboreiro, veröffentlichte wenig später das Abstimmungsverhalten der EU-Mitgliedsländer. Daraus geht hervor, dass 17 EU-Länder sich für die Überprüfung des Assoziierungsabkommens mit Israel aussprachen, darunter eigentlich alle engen Verbündeten Deutschlands innerhalb der EU: Frankreich, Spanien, alle nordischen und baltischen Länder. Dagegen stimmten 9 Länder, neben Deutschland unter anderem auch Ungarn und Italien. Österreich enthielt sich als einziges Land:
We can now reveal where each country stood during the meeting:
In favour: 🇳🇱🇪🇸🇮🇪🇧🇪🇫🇮🇫🇷🇱🇺🇵🇹🇸🇮🇸🇪🇦🇹🇲🇹🇩🇰🇪🇪🇵🇱🇷🇴🇸🇰
Against: 🇩🇪🇧🇬🇮🇹🇬🇷🇨🇾🇨🇿🇭🇷🇱🇹🇭🇺
Neutral: 🇱🇻 https://t.co/y9U4GloJVl
— Jorge Liboreiro (@JorgeLiboreiro) May 20, 2025
Vor diesem Hintergrund mutet es geradezu lächerlich an, dass das Auswärtige Amt, eine Antwort auf die Frage der NachDenkSeiten, wie die Bundesregierung es begründet, dass man gegen den niederländischen Vorschlag gestimmt hat, mit dem Verweiß darauf verweigert, dass Abstimmungen im EU-Außenrat vertraulich seien:
„Ich kann Ihre Prämisse, wie wir uns da abstimmungsmäßig verhalten hätten, nicht bestätigen. Herr Warweg, die Abstimmungen und Gespräche im EU-Außenrat sind vertraulich.“
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 21. Mai 2025
Frage Towfigh Nia (freier Journalist)
(zum Nahostkonflikt) Herr Wagner, der israelische Finanzminister hat sich dahingehend geäußert, dass alles in Gaza zerstört werden wird und dass die Welt das nicht stoppen kann. Ich bitte um eine Reaktion dazu.
Wagner (AA)
Herr Towfigh Nia, danke für die Frage. – Wir haben in der Vergangenheit ja schon Äußerungen bestimmter israelischer Kabinettsmitglieder zurückgewiesen, wenn sie für den Friedensprozess und für eine politische Lösung dieses Konflikts nicht hilfreich sind. Ich glaube, in diese Kategorie fällt auch dieses Statement.
Frage Towfigh Nia
Das ist schon fast eine Völkermordansage. Verurteilt die Bundesregierung diese Äußerung?
Wagner (AA)
Ich habe doch gerade sehr klar gesagt, was wir davon halten. Es ist eine nicht hilfreiche Aussage, und natürlich muss sich Israel bei seinem Vorgehen im Kampf gegen die Hamas und bei seinem Vorgehen im Gazastreifen an humanitäres Völkerrecht halten.
Frage Fried
Herr Kornelius, trifft es zu, dass die Staats- und Regierungschefs der drei Staaten, die Israel jetzt sehr scharf kritisiert haben, nämlich Frankreich, Großbritannien und Kanada, dies vorher der Bundesregierung nicht angekündigt haben, obwohl der Bundeskanzler wiederholt mit Herrn Macron zu tun hatte?
Regierungssprecher Kornelius
Das Statement von Frankreich, Großbritannien und Kanada wurde unter diesen drei Nationen abgesprochen. Natürlich wurde auch unter den jeweiligen Regierungschefs über das Thema gesprochen. Es gab aber keine Notwendigkeit, da einen Ausgleich oder eine Koordinierung zu suchen.
Die Bundesregierung hat ihre Position zur Militäroffensive sehr klar deutlich gemacht. Diese Offensive besorgt uns wirklich sehr. Der Bundeskanzler hat bei verschiedenen Gelegenheiten und vor allem in seiner Regierungserklärung darauf hingewiesen, dass er in großer Sorge über die humanitäre Lage in Gaza ist. Das hat er auch heute im Kabinett noch einmal sehr deutlich gemacht. Er ist auch im engen Austausch mit den europäischen Partnern darüber, um das in geeigneter Form auch noch einmal Israel zu vermitteln.
Vieles, was in diesem Statement angesprochen wurde, wurde auch hier immer angesprochen, wurde vonseiten der Bundesregierung angesprochen. Ich glaube, man muss jetzt nicht sozusagen nach einer Formateinheitlichkeit suchen, um den Kern der Botschaft bzw. die Parallelität der Botschaft zu sehen. Ich glaube, dass da eine hohe Deckungsgleichheit besteht.
Es ist für die Bundesregierung immer wichtig, dass sie ihre Kommunikationswege zur israelischen Regierung offenhält und ihre Punkte auch direkt anbringen kann. Das ist auch durch den Besuch des Außenministers – am vorletzten Wochenende war es, glaube ich – geschehen.
Es ist natürlich auch das Ziel der Bundesregierung, im EU-Kreis weiter diese Abstimmungen zu suchen. Auch diesbezüglich gibt es momentan Vorstöße auf Brüsseler Ebene. Seien Sie versichert, dass die Bundesregierung sich an diesen Abstimmungen intensiv beteiligt.
Zusatzfrage Fried
Es gab gestern den Vorstoß der Niederlande, man sollte überprüfen, ob sich Israel eigentlich noch an das Partnerschafts- und Wirtschaftsabkommen hält. Wenn ich richtig informiert bin, sind 22 EU-Staaten dafür. Gehört Deutschland dazu, Herr Wagner, oder wo positionieren wir uns da?
Wagner (AA)
Mit Blick auf die humanitäre Lage in Gaza haben wir immer wieder gesagt – das hat Herr Kornelius eben auch zum Ausdruck gebracht -, dass sich ernsthafte Fragen stellen. Es ist doch auch klar, dass das regelmäßig Thema im EU-Außenrat ist, so eben auch gestern. Wir sind überzeugt – das hat Herr Kornelius eben auch gesagt -, dass wir derartige Fragen im Dialog mit der israelischen Regierung beantworten müssen. Aus Sicht der Bundesregierung ist das EU-Israel-Assoziierungsabkommen ein wichtiges Forum, um auch diese kritischen Fragen zu erörtern und zu besprechen, und es sollte in diesem Sinne genutzt werden.
Was Ihre konkrete Frage zum Abstimmungsverhalten betrifft: Die Gespräche, die dazu im EU-Außenrat liefen, sind natürlich vertraulich.
Frage Dr. Rinke (Reuters)
Herr Kornelius, direkt daran anknüpfend: In der Ukraine-Debatte wird von der Bundesregierung die Notwendigkeit der Einheit unter den EU-Regierungen stark betont. Warum ist das hier bei Israel eigentlich nicht der Fall? Es wurde eben schon darauf hingewiesen, dass die große Mehrzahl der EU-Länder mittlerweile in Richtung Sanktionen oder Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel geht. Auch Frau Kallas hat das gestern ins Gespräch gebracht. Warum ist es für die Bundesregierung bei diesem Thema anscheinend nicht das Ziel, diese europäische Einheit herzustellen?
Kornelius
Sie wissen, dass ich kein Freund von Krisenvergleichen bin und diese Art von geopolitischem Whataboutism eigentlich nicht anstellen möchte.
Ich glaube, dass die Situation in Gaza für sich spricht. Die Bundesregierung hat sehr klar ihre große Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Sie nutzt jetzt ihre direkten Gesprächskanäle, und sie verfolgt auch die Abstimmung im Europäischen Auswärtigen Dienst bezüglich des Partnerschaftsabkommens sehr genau und gestaltet sie auch mit. Lassen Sie sich versichert sein, dass die Abstimmungen dazu momentan laufen.
Zusatzfrage Dr. Rinke
Herr Wagner, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie dafür sind, dass die Gespräche im EU-Assoziierungsabkommen weitergehen und nicht ausgesetzt werden sollten? Ist das die Position der Bundesregierung?
Wagner (AA)
Ich habe gesagt, dass aus Sicht der Bundesregierung das EU-Israel-Assoziierungsabkommen ein wichtiges Forum ist, das eben auch dazu da ist, kritische Fragen zu erörtern, und in diesem Sinne genutzt werden sollte.
Lassen Sie mich zu Ihrer ersten Frage vielleicht auch noch sagen: Wir stehen in enger Abstimmung mit unseren Partnern. Sie haben vielleicht auch gesehen, dass der Außenminister gestern gemeinsam mit 21 Amtskollegen – zum Beispiel auch der E3 und der EU – die israelische Regierung aufgefordert hat, die vollständige Wiederaufnahme von Hilfslieferungen zu genehmigen und den Vereinten Nationen und humanitären Organisationen die unabhängige und unparteiische Arbeit in Gaza zu ermöglichen.
Frage Jung (jung und naiv)
Ich wundere mich gerade: Es ist ja bekannt, dass Deutschland in Brüssel gestern gegen die Überprüfung des Assoziierungsabkommens gestimmt hat und dass Sie das klar in der Minderheit sind und sich weiter isolieren. Auch bei der Kritik von Großbritannien, Frankreich und Kanada ist Deutschland nicht dabei, und Herr Kornelius tut gerade so, als ob das ebenfalls nicht so wäre. Was machen Sie uns hier eigentlich vor?
Herr Wagner, ich habe in den letzten zwei Tagen auch keine Kritik daran gehört, dass Israel am Ende nur neun Lkw nach Gaza hineingelassen hat, obwohl Sie ja selber sagen, pro Tag seien 600 Lkw notwendig. Warum gab es auch dazu nichts?
Wagner (AA)
Ich weise zurück, Herr Jung, dass es dazu nichts gab. Wir stehen in einem engen Austausch mit der israelischen Regierung, und es ist doch völlig klar, dass die bisherigen Hilfslieferungen viel, viel zu wenig sind, dem Bedarf nicht entsprechen und dass sehr viel mehr rein muss. Vor allem müssen auch die Vereinten Nationen und die humanitären Organisationen dort unabhängig arbeiten dürfen.
Zu Ihrer ersten Bemerkung: Es tut mir leid, aber ich war, glaube ich, sehr transparent. Ich habe ja dargelegt, was die Position der Bundesregierung ist. Es ist doch vollkommen unstrittig, dass wir innerhalb der EU immer wieder unsere Position diskutieren und angleichen, und natürlich gibt es auf manches einen etwas unterschiedlichen Blick. Zu der Frage des EU-Israel-Assoziierungsabkommens haben wir aber eine sehr klare Position. Die haben wir dort auch deutlich gemacht und die werden wir dort auch weiter einbringen.
Am Ende eint uns alle in der EU aber, glaube ich, dasselbe Ziel: Es geht darum, eine Lösung für diesen Konflikt in Gaza zu finden, es geht darum, eine Lösung für das Leid der Menschen in Gaza zu finden, mehr humanitäre Hilfe hineinzubekommen, die Geiseln freizubekommen und endlich in einen politischen Prozess zu kommen, der eine nachhaltige Lösung des Nahostkonflikts ermöglicht. Das ist eben hochkomplex und schwierig. Ich weiß, das Leid ist grenzenlos und das frustriert uns alle – es frustriert Sie, es frustriert uns -; aber es geht doch darum, konkrete Dinge zu erreichen. Insofern sind diese ersten Lieferungen durch die israelische Regierung ein guter, wichtiger, richtiger Schritt, und das haben wir hier auch unterstrichen. Es ist aber vollkommen klar, dass sehr viel mehr hineinkommen muss.
Frage Warweg
Noch einmal auf den niederländischen Vorschlag zurückkommend: Die Niederländer hatten ja lediglich eingefordert bzw. vorgeschlagen, dass man überprüft, ob Israel mit seinem Vorgehen in Gaza gegen seine Menschenrechtsverpflichtungen gemäß Artikel 2 des EU-Israel-Assoziierungsabkommens verstößt. Ihre Antwort dazu hat sich mir immer noch nicht erschlossen. Wieso hat Deutschland als eines der ganz wenigen Länder gegen diesen niederländischen Vorschlag gestimmt.
Wagner (AA)
Ich kann Ihre Prämisse, wie wir uns da abstimmungsmäßig verhalten hätten, nicht bestätigen. Ich habe jetzt zweimal dargelegt, wie die deutsche Position zum deutsch-israelischen Assoziierungsabkommen ist, und darauf verweise ich noch einmal.
Frage Warweg
Aber entschuldigen Sie, Herr Wagner – das hat auch der Kollege schon angesprochen -, das Abstimmungsverhalten der EU-Länder ist presseöffentlich. Sie können doch nicht sagen, dass Sie das nicht sagen, wenn bereits bei Euronews und Reuters öffentlich einsehbar ist, wie Deutschland abgestimmt hat. Ich glaube schon, dass Sie uns da eine Begründung geben können, wieso man sich sogar gegen eine Überprüfung von Menschenrechtsverletzungen im Zuge des Assoziierungsabkommens stellt. Das sollten Sie in der deutschen Öffentlichkeit schon begründen können.
Wagner (AA)
Herr Warweg, die Abstimmungen und Gespräche im EU-Außenrat sind vertraulich. Es mag Presseberichte darüber geben, was dort besprochen wird. Darüber zu berichten, steht Ihnen ja frei, und das ist auch Ihre Arbeit.
Es gibt eine Position der Bundesregierung, wie wir zum EU-Israel-Assoziierungsabkommen stehen. Wir finden, das ist ein Forum, das man nutzen muss, um eben auch kritische Fragen zu stellen. Wir haben im Übrigen eine Menge Fragen zur völkerrechtlichen Situation in Gaza, die wir hier auch immer wieder darbieten und Ihnen erläutern. Insofern, glaube ich, ist Ihre Frage beantwortet worden.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 21.05.2025