Tausende Afghanen sitzen in Pakistan fest – blockiert durch deutsche Bürokratie und politischen Willen zur Abschottung. Warum die Klage einer Wissenschaftlerin nun zum Präzedenzfall werden könnte
Afghanische Flüchtlinge warten in Karachi, Pakistan, auf einen Bus in Richtung Afghanistan
Foto: Fareed Khan/AP/picture alliance
Seit Monaten machen Politik und Medien Stimmung gegen die „Afghanen-Flieger“, wie BILD und Co. die Evakuierungsflüge aus Pakistan im Rahmen des Aufnahmeprogramms für Afghanistan bezeichnen. Bereits vor dem Regierungswechsel in Berlin war klar, dass Deutschland sein Versprechen nicht halten würde.
Die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz hatte bereits vor Amtsantritt angekündigt, die Aufnahmeprogramme „so weit wie möglich“ beenden zu wollen. Von den rund 30.000 Afghanen und Afghaninnen, denen man eine Zusage versichert hatte, sind bis jetzt nur knapp über 1.500 angekommen.
Von den rund 30.000 Afghanen und Afghaninnen, denen man eine Zusage versichert hatte, sind bis jetzt nur knapp über 1.500 angekommen
„Die wollen keine B
fghaninnen, denen man eine Zusage versichert hatte, sind bis jetzt nur knapp über 1.500 angekommen.Von den rund 30.000 Afghanen und Afghaninnen, denen man eine Zusage versichert hatte, sind bis jetzt nur knapp über 1.500 angekommen„Die wollen keine Bärte und Kopftücher mehr sehen“, sagte ein befreundeter Journalist. Er hat, ähnlich wie ich, weiterhin viele Freunde und Kollegen, die in Afghanistan ausharren und Angst vor den Taliban haben. Gemeint waren in unserer Konversation jene deutschen Bürokraten, die das Bundesaufnahmeprogramm bewusst sabotierten. Kein Interesse vom Auswärtigen AmtSpäter wurde klar, wie schlimm die Realitäten vor Ort in Pakistan, wo gegenwärtig rund 2.500 Menschen mit ihrer Zusage auf ihr Visum warten, wirklich waren: Rassistische „Sicherheitsprotokolle“ wurden eingeführt, Zusagen wurden zurückgenommen, Finanzmittel wurden gekürzt und Akteure wie die Bundespolizei gingen rigoros und willkürlich gegen Richter:innen, Journalist:innen oder Menschenrechtsaktivist:innen, die allesamt verzweifelt monatelang auf ihre Ausreise warteten, vor. Eine dieser Betroffenen hat nun gegen das Auswärtige Amt geklagt. Laut Berichten der ARD wartet Aisha, eine Wissenschaftlerin und Schriftstellerin, die eigentlich anders heißt, seit über sechzehn Monaten auf ihr Visum. Da ihr klar wurde, dass man sich in Deutschland weder für sie noch für ihre Familie interessiert, hat Aisha mittels ihres Anwaltes jüngst beim Verwaltungsgericht Berlin Klage und einen Eilantrag eingereicht. Bereits im Oktober 2023 erhielt die Afghanin im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms eine Aufnahmezusage vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Das Programm war de facto für Menschen wie Aisha ausgerichtet: Eine afghanische Frau, die unabhängig arbeitete und forschte. Hinzu kam, dass sie auch für die einstige afghanische Regierung tätig gewesen ist.Die deutsche Zusage beinhaltete auch Aishas dreizehnköpfige Familie, darunter mehrere Kinder. Doch auch nach langem Warten wurden die versprochenen Visa nicht vergeben. Stattdessen forderte man weitere Interviews und Dokumente. Dieser Prozess hat nicht nur Aisha und ihre Familie zermürbt, sondern Tausende von Afghan:innenDieser Prozess hat nicht nur Aisha und ihre Familie zermürbt, sondern Tausende von Afghan:innen, die bis heute in Pakistan festsitzen und in eine ungewisse Zukunft blicken. Sie werden dabei nicht nur von Deutschland zurückgelassen, verraten und enttäuscht, sondern auch von Pakistan, das gegenwärtig massiv gegen afghanische Geflüchtete vorgeht. Allein in den letzten Monaten wurden mehrere Hunderttausend Afghan:innen von der Regierung in Islamabad mit Gewalt abgeschoben. Dieses Schicksal droht auch Aisha und anderen Menschen, die sich auf das Bundesaufnahmeprogramm verlassen haben. Mit Deutschland abgeschlossenEin beträchtlicher Anteil jener, die schon längst hätten hier sein sollen, befinden sich vermutlich bereits wieder im Afghanistan der Taliban. Hinzu kommt, dass weitere Menschen, die sich auf den Evakuierungslisten befinden, es noch nicht mal nach Pakistan geschafft haben – obwohl sie Zusagen erhielten. Ein Beispiel hierfür ist mein eigener Kollege, Ahmad Zubair, der regelmäßig als Stringer für ausländische Berichterstatter tätig ist und dabei mehrmals sein Leben riskiert hat.Ein beträchtlicher Anteil jener, die schon längst hätten hier sein sollen, befinden sich vermutlich bereits wieder im Afghanistan der TalibanMittlerweile hat Zubair mit Deutschland abgeschlossen. Zu seinen neuen Nachbarn in Kabul zählen hochrangige Taliban-Offizielle, die (noch!) keine Ahnung haben, wer er ist. „Es ist bedauerlich, wie sich Deutschland verhält. Diese Ungewissheit ist viel schlimmer als eine klare Absage“, meint Zubair.In Anbetracht dieser meist verdrängten Realitäten ist Aishas Klage umso wichtiger. Sie setzt damit für alle Zurückgelassenen ein Zeichen und erinnert Deutschland an sein gebrochenes Versprechen. Womöglich ist dieses bürokratische Vorgehen der letzte Ausweg. Ironischerweise war es auch die deutsche Bürokratie, die den Afghanen und Afghaninnen von Anfang an Steine in den Weg gelegt hat.