Nicht die Industrie, nicht der Verkehr: In Mecklenburg-Vorpommern kommen die meisten Emissionen aus trocken gelegten Mooren. Annie Wojatschke will das ändern. Allerdings muss die Pionierin viele Widerstände überwinden
Annie Wojatschke ist Deutschlands erste Moormanagerin: Im Hintergrund das Gemälde „Wiesen vor Greifswald“ von Caspar David Friedrich aus dem Jahr 1822. Richtigerweise müsste es aber „Moorlandschaft vor Greifswald“ heißen, denn trocken gelegt wurden die Flächen erst später.
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Sie fällt auf die Knie und greift mit beiden Händen in den Modder. Fast zärtlich zwirbeln die Finger von Annie Wojatschke das tiefbraune Erdreich. „Diese grob zersetzten Pflanzenreste waren vor hunderten von Jahren Schilf, wie an der Struktur erkennbar ist.“ Zwar ist der Modder feucht, aber nicht so, dass er triefen würde. „Herrlich“, sagt Anni Wojatschke, legt das Material an seine Stelle zurück und drückt es mit den Händen fest. Dieser Modder ist Torf, eine Form von Humus, die in Mooren unter Wasser durch Sauerstoffmangel aus abgestorbenen Pflanzen entstanden ist.
Annie Wojatschke ist Moormanagerin in Greifswald. Das ist insofern beachtlich, als die ostdeutsche Hansestadt in Mecklenburg-Vorpommern mit diesem Posten Vorreiter in De
Moormanagerin in Greifswald. Das ist insofern beachtlich, als die ostdeutsche Hansestadt in Mecklenburg-Vorpommern mit diesem Posten Vorreiter in Deutschland ist. „Etwa 50 Hektar ist diese Fläche hier groß, sie gehört der Stadt.“ Im Hintergrund sind die Kirchtürme des Greifswalder Domes und von Sankt Marien zu sehen, Annie Wojatschke sagt: „Ziel ist, dem Moor eine neue Chance zu geben.“ Die Stadt Greifswald nämlich hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu werden, „und da gehören natürlich Moore dazu“.Im 18. Jahrhundert begannen die Menschen, Moore trocken zu legen, um daraus landwirtschaftliche Nutzflächen zu gewinnen, besonders in Norddeutschland und den Niederlanden. „Damals wusste man vom Klimawandel noch nichts. Aber trocken gelegte Moore sind wahre Kohlendioxid-Schleudern“, sagt Wojatschke. Moore binden gigantische Mengen an Kohlenstoff. Werden die Jahrhunderte alten Torfschichten trocken gelegt, beginnt der Luftsauerstoff dieses Material zu zersetzen und Treibhausgase freizusetzen. Nach Berechnungen des „Greifswald Moor Centrum“ emittiert allein diese eine Fläche, auf der Greifswalds Moormanagerin gerade steht, 1.900 Tonnen Kohlendioxidäquivalente jedes Jahr. „Über ein Drittel aller Treibhausgase kommen in Mecklenburg-Vorpommern aus den Mooren“, sagt Annie Wojatschke. Damit sei nicht die Industrie, nicht die Energiebranche oder der Verkehr Hauptklimasünder Nr. 1, sondern die trocken gelegten Moore.Die erste Moor-ManagerinAllerdings könnte das Problem gelöst werden: „Wiedervernässung ist die Devise, wenn der Torf vom Wasser luftdicht abgedeckt wird, bleiben die Treibhausgase im Boden.“ Langfristig kann sich sogar neuer Torf bilden. Dabei bedeutet Wiedervernässung gar nicht, dass große Mengen Wasser auf die Flächen gepumpt werden müssten. „Diese hier, der Steinbecker Vorstadtpolder, liegt beispielsweise deutlich unter dem Wasserspiegel des Flüsschens Ryck“, sagt die Moormanagerin. „Die Wiedervernässung funktioniert hier bereits, wenn man aufhört, Wasser abzupumpen.“Freilich heißt das nicht, dass die Wiedervernässung einfach wird. Da ist zunächst der Graben 15, der sich durch die Fläche zieht und unter anderem das Dörfchen Wackerow entwässert. „Manche Mitglieder der Gemeindeverwaltung befürchten nasse Keller, wenn das Schöpfwerk am Ende des Grabens abgeschaltet wird“, sagt Annie Wojatschke. Da ist zweitens eine Öko-Bäuerin, die diese Fläche als Weide für ihre Kuhherde gepachtet hat. Kühe müssen trocken stehen. Wenn die Fläche wieder nass wird, verliert die Bäuerin, ein Sechstel ihrer Betriebsfläche. Annie Wojatschke kennt die Bäuerin gut, beide haben zusammen Abitur gemacht. Und die Stadt verliert drittens dringend notwendige Pachteinnahmen, die kompensiert werden müssen. Aber auch dafür haben sie in Greifswald eine Lösung: Die Firma „Moor and more“ nutzt beispielsweise das, was auf dem Moorboden wächst, um daraus Baumaterial herzustellen, Dämmstoffe etwa.Dass ausgerechnet Greifswald in der Moorfrage so innovativ ist, hat viel mit Michael Succow zu tun: Der wurde als Vater des Nationalparkprogramms der DDR bekannt, kurz vor der Wiedervereinigung stellten der ehemalige Vize-Umweltminister fünf Prozent der DDR-Fläche unter Schutz. Dafür wurde Succow mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt. An der Universität Greifswald baute er danach als Professor den Studiengang „Landschaftsökologie und Naturschutz“ auf. Annie Wojatschke, die selbst aus Greifswald stammt, studierte bei ihm.„Für mich stand schon in der fünften Klasse fest, dass ich Biologie studieren möchte“, sagt die heute 45-Jährige. Dabei habe Michael Succow sie mit seinem landschaftsökologischen Gesamtansatz geprägt. „Für das Moor begeistert hat mich allerdings Hans Joosten.“ Succow hatte den renommierten, niederländischen Moorforscher nach Greifswald gelotst, der dort das „Greifswald Moor Centrum“ aufbaute, eine weltweit führende Forschungseinrichtung. Nicht, dass ihr Weg zur ersten Moormanagerin Deutschlands programmiert gewesen sei, eine Zeitlang arbeitete Annie Wojatschke in Großbritannien, zum Beispiel bei der „Royal Society for the Protection of Birds“ in Schottland. Aber auch dort ging es um Moore. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat arbeitete die Mutter dreier Kinder zuerst für die Universität, dann für die Untere Naturschutzbehörde.Innerstädtisch besitzt Greifswald 470 Hektar Moorfläche, zählt man die Flächen vor der Stadt dazu, summiert sich das auf 1.400 Fußballfelder – ungefähr 1.000 Hektar. Man könnte meinen, zu viel für das Leben einer einzelnen Moormanagerin. Aber Annie Wojatschke strahlt Energie aus, die hochgewachsene Frau mit den langen Haaren sagt: „Zunächst werden die hydrologischen Daten in den einzelnen Moorprojektflächen ermittelt.“ Die sind dann Basis für Machbarkeitsstudien. Ergebnis dieser Studien sollen Varianten für die Wiedervernässung werden – abgestimmt auf die speziellen Erfordernisse an den Flächen. „Es muss natürlich ausgeschlossen sein, dass Häuser am Rande einer Niederung oder ein Bahndamm absacken“, sagt Wojatschke. Deshalb sind für die Arbeiten viele Genehmigungen einzuholen, Wasserbehörde und Naturschutzbehörde müssen zustimmen.Das alles kostet Geld, weshalb die Moormanagerin die „Ökosystemdienstleistungen durch die Wiedervernässung“ berechnen möchte. Um sie dann zu Geld zu machen. Und zwar durch den Verkauf von Kohlendioxid-Zertifikaten, sogenannten „MoorFutures“, beispielsweise an Menschen und Unternehmen, die ihren Klima-Fußabdruck reduzieren wollen. Diese Form der Finanzierung wurden in Mecklenburg-Vorpommern erfunden und mittlerweile in andere Bundesländer „exportiert“.Als „Moor-Taliban“ beschimpftGelingen wird das aber nur, wenn Wojatschke es schafft, Widerstände und Vorurteile abzubauen. „Greifswalder Moorzentrum“ hin oder her, es ist kein Geheimnis, dass die CDU in Mecklenburg-Vorpommern Stimmung gegen nasse Moore macht. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor, der auch in Greifswald studiert hat, sieht Vorpommern „absaufen“ und zog mit Gummistiefeln auf den Wahlplakaten in den Kampf. Der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Diener nennt Experten des Greifswalder Moorzentrums „Moor-Taliban“.Zudem gebe es, so Wojatschke, zu wenig Anreize für Landwirte, auf herkömmliche Nutzung von Moorflächen zu verzichten. „Wir dürfen den kulturellen Aspekt nicht vergessen: Jahrhunderte lang galt das Trockenlegen von Mooren als Kulturleistung.“ Jetzt plötzlich gelte das Gegenteil. Das „Greifswald Moor Centrum“ mahnt deshalb, die Wiedervernässung der Moore wie den Kohleausstieg zu behandeln: Nach dem Vorbild der Kohlekommission soll eine Moorkommission eine gesellschaftliche Strategie zum Wiedervernässen finden. Zudem soll dafür ein wirtschaftlicher Anreiz her. „Wir wollen das Konzept der Paludikultur ausprobieren und weiter entwickeln“, sagt Wojatschke. Paludikultur, das ist Landwirtschaft auf feuchten Mooren, etwa der Anbau von Dachreet, mit dem in Norddeutschland Dächer gedeckt werden. Seggen oder Rohrkolben könnten klimafreundlich zur Erzeugung von Fernwärme genutzt werden, Torfmoose als Substrat im Gartenbau. Hier gibt es viel Knowhow, schließlich wurde das Konzept der Paludikultur in Greifswald entwickelt.Mecklenburg-Vorpommern könnte Vorreiter beim Moorschutz werden – wäre da nicht die aktuell rigide Sparpolitik des Landes. „Alle zusätzlichen Aufgaben in den Kommunen sollen ‚überprüft‘ werden“, sagt Annie Wojatschke. Moorschutz ist zusätzlich. Zwar gebe es bundesweit derzeit viele Fördermittel. Deutschlands erste Moormanagerin sagt aber: „Dafür sind Eigenmittel notwendig.“ Und ausgerechnet die könnten jetzt gekürzt werden.