Warum ist das Weib negativ konnotiert, der Mann aber nicht? Die Linguistik zeigt, dass von solchen Abwertungen häufig Frauen betroffen waren. Ein Phänomen, das bis heute zu beobachten ist


Der Prozess dahinter heißt semantische Pejorisierung, also: Bedeutungsverschlechterung

Collage: der Freitag; Material: dpa, Midjourney


Für mich ist die Beschäftigung mit Sprache mehr als ein Beruf: Es ist ein Hobby, ein Spleen, eine Leidenschaft. Und so verbringe ich viel Zeit damit, über sprachliche Eigenheiten oder die Etymologie von Wörtern nachzudenken. Dementsprechend genieße ich es, dass mein Social-Media-Algorithmus gelernt hat, mich mit Linguistik-Content zu bespaßen.

Dabei kam mir neulich mal wieder ein Beitrag des Dresdner Linguistik-Professors Simon Meier-Vieracker unter die Augen. Als @fussballinguist erklärt er auf Tiktok und anderen Plattformen alltagssprachliche Phänomene, oft angeregt durch andere Videos. Er löste eins der Rätsel, die mich schon lange beschäftigten: Heutzutage ist das Wort ‚Weib‘ eine pejorative Bezeichnung für Frauen.

r Frauen. Doch in mittelhochdeutschen Texten ist ‚wîp‘ ein neutrales Wort – wie heute die ‚Frau‘. Die ‚frouwen‘ des Mittelalters waren hingegen Adlige. Seltsam, oder? Fand ich jedenfalls immer.Der Prozess dahinter heißt, so habe ich gelernt, semantische Pejorisierung, also: Bedeutungsverschlechterung. Und die betrifft bei diesen Bezeichnungen nur Frauen. Der Herr blieb der Herr, der Mann der Mann. Weil sich Weib und Frau verschlechterten, musste die aus dem Französischen entlehnte ‚Dame‘ die Lücke der Adligen füllen.Meier-Vieracker nennt als Quelle einen Artikel der Mainzer Linguistin Damaris Nübling. Darin finden sich weitere interessante Beispiele: So gehen die Wörter ‚Junker‘ und ‚Jungfer‘ auf Komposita mit dem Wort ‚junc‘ (also ‚jung‘) zurück: Während der ‚junc-herre‘ zum Adligen wurde, stieg die ‚junc-vrouwe‘ zur unberührten Jungfrau oder zur missliebigen alten Jungfer herab.Sexualisiert und abgewertetMitunter ging mit der Abwertung eine Funktionalisierung und Sexualisierung einher: Aus der ‚magat‘, im Althochdeutschen eine junge, unverheiratete Frau, wurde die ‚Magd‘, eine Angestellte niederen sozialen Status’. Und das althochdeutsche junge Mädchen ‚diorna‘ wurde mittelhochdeutsch zur ‚dierne‘ mit der Bedeutung ‚Magd‘ funktionalisiert und schließlich zur ‚Dirne‘ sexualisiert und abgewertet.Faszinierend, oder? Vor allem, weil es bei Bezeichnungen für Männer dieses Phänomen nicht im selben Ausmaß gibt. Nur, warum ist das so? Damaris Nübling bringt einige plausible Argumente für eine eigentlich recht naheliegende Erklärung vor: Die semantische Pejorisierung ist Spiegel patriarchaler Gesellschaftsstrukturen. Es ist auffällig, dass sie vor allem Begriffe für junge, unverheiratete Frauen betrifft – also solche, die für Männer als sexuell verfügbar galten und entlang dieser Zuschreibung abgewertet wurden. Ein Phänomen, das bis heute zu beobachten ist: Mutter und Ehefrau werden idealisiert, die Unverheiratete steht stets unter Verdacht, allzu promisk zu leben.Bei der Beschäftigung mit diesem Thema musste ich an eine Volksetymologie denken, die Männer mitunter hervorkramen, wenn sie – natürlich nur im Scherz – ihre eigene Vorherrschaft begründen wollen: Wenn ‚herrlich‘ von ‚Herr‘ kommt, kommt ‚dämlich‘ von ‚Dame‘? Denk mal drüber nach!Kein Problem, das Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache, auch Kluge genannt, hilft weiter. Und da schau her: Nichts davon stimmt. ‚Herrlich‘, seit dem 9. Jahrhundert belegt, kommt von ‚hehr‘ und wurde erst später auf den Herr bezogen – dem diese positive Eigenschaft zugeschrieben wurde. ‚Dämlich‘ ist erst seit dem 18. Jahrhundert belegt – und kommt vom Verb ‚dämeln‘, was ‚sich kindisch benehmen‘ hieß. Also, Männer: Lieber herrlich benehmen als dämlich abwerten.Super Safe SpaceLeander F. Badura ist Redakteur im Kultur-Ressort des Freitag. Er schreibt fortan alle vier Wochen hier eine Super-Safe-Space-Kolumne



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Von Veritatis

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